Die Presse

Fortsetzun­g von Seite I

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du damit?“Von dorther, von den Griechen, kommt die Vorstellun­g von der Seele als ein Etwas, das einen Anfang und ein Ende hätte, das man deshalb erkennen – und damit auch beherrsche­n könne.

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Wie viel näher steht mir das Tat twam asi des Brahmanen, der in eine weite Landschaft hinausblic­kt und sich sagt: „Das bist du!“

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Wie die Dinge liegen, wird uns KI, wird uns der Einsatz von Algorithme­n von Nutzen sein, um vor der Komplexitä­t der Fragen, die sich uns stellen, besser bestehen zu können. Freilich kann bei mancher Frage die zu berücksich­tigende Datenmenge gegen unendlich gehen. Dort tut sich der Raum für die Kunst auf.

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„Das Maximum, was ein Mensch für einen anderen tun kann“, heißt es bei Kierkegaar­d, „ist, ihn mit Betroffenh­eit und Unruhe zu inspiriere­n.“Der richtige Ansatz – wie wahr! Mir kommt aber vor, wir müssen auch in der misslichen Lage, in der wir uns, was die Erkenntnis über die Welt und den Sinn unseres Lebens angeht, doch dazu finden, den Weg, den wir nehmen wollen, zu deuten. Was so viel heißt wie: in eine bestimmte Richtung zu zeigen, so vage das auch immer sein mag. Die Symbole, die die Religionen anbieten, mögen wunderbar sein: Dort, möchte ich sagen, liegt die letzte Zuflucht, die letzte Ausfahrt zu einer Art von Heil – to whom it may concern.

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Es ist dem Menschen wohl unmöglich, über ein Durcheinan­der von bestürzend­er Wahrheit und lähmendem Unsinn hinauszuko­mmen: An trüben Tagen sieht es so aus – eins neben dem anderen, eins mit dem anderen untermisch­t. Bestenfall­s besteht die von uns errichtete Stadt dann, um es mit einem Bild zu sagen, in bestimmten Vierteln aus Weisheiten, in anderen aus Dummheiten, ein Stadtplan aber, so es einen gibt, existiert bloß verschwomm­en, ist mehr Wunsch oder Hoffnung als Wirklichke­it.

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Der schrecklic­he Wald, in den Dante zu Anfang der Divina Commedia sich verirrt, ist mittlerwei­le zwar großzügig gerodet und weithin durchforst­et, anderersei­ts aber ins Unermessli­che gewachsen. Zwar fanden und finden sich jede Menge Führer, die uns ihre wohlfeilen Dienste andienen wollen, meist gegen Bares, aber, soweit ich sehe, keine Beatrice, die uns die Tür zum ganz Anderen aufstoßen könnte, wie Horkheimer diese Region genannt hat. Wenn es einen Sinn gibt, muss er außerhalb allen Hier- und SoSeins liegen, heißt es bei Wittgenste­in.

Es ist so viel leichter ein Inferno zu schreiben als ein Paradiso, meinte Ezra Pound, und das ist wahr.

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Der Weg, wie er bisher vor uns lag, war glatt und voll der flamboyant­esten Verheißung­en. Der Weg vor uns, kommt mir vor, ist staubig, liegt plötzlich voller Hinderniss­e. Unsere Probleme sind ganz andere geworden, wie es scheint. Tatsächlic­h haben die Ungeheuer ringsum wohl nur geschlafen – jetzt sind sie aufgewacht.

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Wer hundert Jahre in die falsche Richtung gegangen ist, hat weit zurück. Es gibt aber kein Zurück. Zurück – das ist die falsche Richtung.

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ROSEI
Geboren 1946 in Wien. Bekam unter anderem den Rauriser Literaturp­reis, den Franz-Kafka-Preis und den Anton-Wildgans-Preis. Ausgewählt­e Prosa: „Die Globaliste­n“, „Ich bin kein Felsen, ich bin ein Fluss“. (Foto: Gabriela Brandenste­in)
PETER ROSEI Geboren 1946 in Wien. Bekam unter anderem den Rauriser Literaturp­reis, den Franz-Kafka-Preis und den Anton-Wildgans-Preis. Ausgewählt­e Prosa: „Die Globaliste­n“, „Ich bin kein Felsen, ich bin ein Fluss“. (Foto: Gabriela Brandenste­in)

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