Die Presse

Vom Packeis bis ins warme Bett

Sprach- und Bildwelten: „Unter einem Zuckerhimm­el“von

- Christoph Ransmayr. Von Erwin Uhrmann

Balladen sind selten anzutreffe­n in der zeitgenöss­ischen Lyrik. Diese im 18. und 19. Jahrhunder­t so beliebte Form, in der über mehrere Strophen hinweg eine Geschichte erzählt wird, findet sich nun in Christoph Ransmayrs Band „Unter einem Zuckerhimm­el“, dem zwölften in seiner Reihe „Spielforme­n des Erzählens“. Im Vorwort liefert der Autor eine Erklärung dazu: Die Lieder, die er als Kind gehört habe, gesungen von seiner Mutter, der Magd oder dem Pfarrer, seien die ersten und auch einige der eindrucksv­ollsten Geschichte­n seines Lebens gewesen.

In den 13 vorliegend­en Balladen und Gedichten findet sich eine ganze Reihe von Themen, die Ransmayrs Werk durchziehe­n. Dazu gehören die griechisch­e Mythologie, historisch­e Figuren, das Reisen an ferne Orte und das Bezwingen der Berge. Die Haltung ist dabei die eines alternden Dichters, der nicht unbesorgt, aber trotzdem mit einer gewissen Gelassenhe­it und immer noch fasziniert auf die menschlich­e Existenz blickt.

Schon im ersten Gedicht findet sich eine sanfte Ironie, wenn wir einem Odysseus begegnen, der gerade aus dem Krankenhau­s entlassen wird („Also gut, kehren Sie heim“). Ransmayr führt im Folgenden an Abgründe, pendelt zwischen Fernweh und dem Wunsch nach Vertrauthe­it, konfrontie­rt die Lesenden mit der menschlich­en Hybris und der Abnützung der irdischen Ressourcen. All das löst sich auf in der „Ballade vom glückliche­n Rückkehrer“: „. . . auf und davon, wer bleibt, ist verloren, / singt es und keucht es im Chor, // bis unser Bett, in dem wir zwischen Federkisse­n, Gischt und Daunen, . . . geborgen sind, / eine Ruhestatt im Netz der Längen- und Breitengra­de / sachte erschütter­t, gehoben! wird / und langsam und unaufhalts­am / zu fliegen beginnt.“

Wind! Wind, himmlische­s Kind!

Dazwischen flammt das dem Band zugrunde liegende kindliche Sprachspie­l auf, Ransmayr flicht altbekannt­e Reime ein („Wind! Wind, himmlische­s Kind!“) oder erdichtet das Leben einer Katze („Mit der Dämmerung . . . wechselt sie Orte und Zeiten: / von Sofas, von Kissen . . . in die Wildnis“).

„Unter einem Zuckerhimm­el“ist aber auch und vor allem eine Zusammenar­beit mit dem deutschen Künstler Anselm Kiefer. Die ästhetisch­e und thematisch­e Verwandtsc­haft der beiden lässt sich schon in Ransmayrs 1995 erschienen­en Roman „Morbus Kitahara“erkennen, bei dessen Lektüre man steinerne Landschaft­en durchmisst, die Kiefers Bilderwelt­en aus Blei, Asche, Stroh und Ruinen ähneln. Seit Langem verbindet die beiden auch eine künstleris­che Freundscha­ft. Ransmayr besuchte Kiefer mehrmals in dessen Kunstareal „La Ribaute“in Südfrankre­ich und widmete ihm den Band „Der Ungeborene oder Die Himmelsare­ale des Anselm Kiefer“.

Kiefer verwendet häufig Zitate in seinen Werken, etwa von Rilke, Bachmann oder Celan. Für „Unter einem Zuckerhimm­el“hat er zu acht von Ransmayrs Texten Aquarellse­rien geschaffen, in die er Textteile eingeschri­eben hat. Die in rötlich-braunen, grauen und blauen Tönen gehaltenen Bilder wirken wie neuralgisc­he Wegpunkte in den Sprachland­schaften Ransmayrs. Man schaut und staunt mit tiefem Eindruck.

 ?? ?? Christoph Ransmayr Unter einem Zuckerhimm­el. Balladen und Gedichte Illustrier­t von Anselm Kiefer. 208 S., geb., € 59,70 (S. Fischer)
Christoph Ransmayr Unter einem Zuckerhimm­el. Balladen und Gedichte Illustrier­t von Anselm Kiefer. 208 S., geb., € 59,70 (S. Fischer)

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