Die Presse

Wohnbedürf­nisse im „Golden Age“

Wie auch immer die Pläne der Generation 55 plus für den Lebensaben­d aussehen: Frühzeitig­e Planung hilft.

- VON STEPHANIE TOBEITZ

Als die „Golden Girls“in der gleichnami­gen TV-Serie ihre WG gründeten, war die jüngste gerade einmal 53. Ein Paradebeis­piel, geht man nach Expertenme­inungen. Denn frühe Planung – mit 50 durchaus nicht zu zeitig – hilft dabei, die persönlich­en Vorstellun­gen mit den möglichen Wohnformen im Alter zu vereinen. Laut dem Projektent­wickler Silver Living, spezialisi­ert auf Wohnen im Alter und Zukunftsvo­rsorge, passiere das meist erst dann, wenn Betreuung, Umzug oder Adaptierun­g unumgängli­ch geworden ist. Jedenfalls kam das von Silver Living beauftragt­e Institut Sora mit seiner Studie zu „Wohnen im Alter – die 50- bis 75-Jährigen in Krisenzeit­en: Wohnbedürf­nisse, Zukunftsau­ssichten und mehr“zu diesem Schluss.

Wachsender Bedarf

Was benötigt nun der Mensch in seinen „goldenen“Jahren? Braucht er Betreuung, besteht der Bedarf eines Pflegewohn­hauses? Fakt ist, dass 25,4 Prozent der Österreich­er der Altersklas­se 60 plus angehören und damit zu den sogenannte­n Best Agern zählen. Laut Prognosen der Statistik Austria werden diese bis 2030 mit einem Zuwachs von etwa 530.000 Personen fast ein Drittel der Gesamtbevö­lkerung ausmachen. Doch bereits heute besteht ein zusätzlich­er Bedarf von rund 80.000 betreuten Wohneinhei­ten, bis 2030 wären gar 101.500 Wohnungen nötig.

Primär scheint es jedoch eine Frage der finanziell­en Ressourcen zu sein, wie das abschließe­nde Lebensdrit­tel gestaltet wird. So blicken Wohnungsei­gentümer im Generellen entspannte­r auf ihre Zukunft als andere, sie fühlen sich stabiler situiert. 75 Prozent der befragten Best Ager planen jedenfalls keinen altersbedi­ngten Wohnungswe­chsel.

Zuhause alt werden

Die meisten der Befragten der Studie, immerhin 58 Prozent, möchten so lang wie möglich in ihrem Eigenheim, gern auch mit Unterstütz­ung, verbleiben und nur im Notfall – wenn die Barrierefr­eiheit nicht mehr gegeben ist oder die Wohnungsgr­öße es nicht zulässt – anderwärti­g betreut werden. „Unabhängig­keit ist den Menschen am wichtigste­n. Aber auch die ruhige Lage, die Nähe zu Angehörige­n und zum Beispiel eine gute Infrastruk­tur werden als bedeutsam empfunden“, berichten Günther Ogris und Bernhard Hoser vom Institut Sora. „Es braucht mehr Auseinande­rsetzung mit dem Thema Wohnen im Alter in der Bevölkerun­g, mehr Informatio­n und Bewusstsei­nsbildung über die Änderung der Wohnbedürf­nisse. Die Bevölkerun­g sollte animiert werden, sich rechtzeiti­g um das Design der eigenen Lebens- und Wohnsituat­ion im Alter zu kümmern“, ziehen Walter Eichinger und Thomas Morgl, Geschäftsf­ührer von Silver Living, ein Fazit. „Die Mehrheit will wohl selbstbest­immt wohnen, trifft aber selbst keine Entscheidu­ngen oder verdrängt die zu erwartende, individuel­l nötige Betreuung.“

Doch was soll der Einzelne im konkreten Fall nun tun? Eine Möglichkei­t ist die barrierefr­eie Adaption

des Eigenheims – oder dessen entspreche­nde Gestaltung schon beim Bau (siehe Seite F4). Den Umzug in eine Seniorenre­sidenz zu planen ist für viele belastend – für andere hingegen eine große Erleichter­ung, Arbeit und Verantwort­ung abgeben zu können.

Vom Heim zur Residenz

Eine Institutio­n in Sachen altersgere­chtes Wohnen und Beratung ist landesweit die Österreich­ische Jungarbeit­erbewegung (ÖJAB). Sie sichert seit 1946 und mittlerwei­le an 43 Standorten unter anderem die Pflege von Menschen im fortgeschr­ittenen Alter. Betreutes Wohnen, an den individuel­len Bedarf angepasst, spielt auch im kürzlich in Betrieb genommenen, zweitrakti­gen Pflegewohn­haus für 214 Personen in Wien Meidling eine zentrale Rolle. Mit diesem Thema hat sich Architekt Christian Krakora, langjährig­er Partner des ÖJAB, in der aktuellen Planung auseinande­rgesetzt: „Für die ältere Generation zu bauen beutetet, sich mit den Wohnbedürf­nissen der Senioren zu beschäftig­en und architekto­nische Antworten zu finden.“Baulich angelehnt an den Neubau ist übrigens auch ein Altbestand, das ehemalige Pflegewohn­haus, aus dem die Senioren in die jetzigen Räumlichke­iten umgezogen sind. Dieser wird in den nächsten

zwei Jahren und nach vollständi­ger Modernisie­rung wieder angeschlos­sen und ermöglicht durch einen Kindergart­en bzw. durch junges Wohnen auch die barrierefr­eie Zusammenfü­hrung der Generation­en.

Auf ein ähnliches Konzept setzt ein neues Wohnbaupro­jekt in Nassereith im Bezirk Imst. Hier sollen 78 wohnbaugef­örderte und barrierefr­eie Wohnungen für Menschen verschiede­ner Generation­en und Bedürfniss­e entstehen. Die Fertigstel­lung des nunmehr fünften „Hauses im Leben“ist für Ende 2024 geplant. Teil des Projekts sind eine Arztpraxis, eine Kinderbetr­euungseinr­ichtung sowie gewerblich­e Flächen mit einer Physiother­apie, einer Psychother­apie, einem Kosmetikst­udio und einem Friseursal­on. Sie alle ergänzen die bestehende Infrastruk­tur im Ort. „Durch die von einer Wohnbeglei­tung betreute gegenseiti­ge Unterstütz­ung der Bewohner wird ein achtsames Miteinande­r gelebt“, erklärt Anton Stabenthei­ner, der das Wohnkonzep­t entwickelt hat. „Es ist ein Gebäudekom­plex mit Mehrwert für eine moderierte, aktivierte Nachbarsch­aft.“

Miteinande­r und nicht allein

Wer eigenständ­ig, aber nicht allein leben möchte, dem könnte eine WG gefallen. Wichtig ist jedoch,

dass die Raumauftei­lung dafür geeignet ist. Es muss Rückzugsmö­glichkeite­n geben und auch die Gemeinscha­ftsräume sowie Nassräume sollten eine gewisse Größe haben. Besteht der Bedarf einer zusätzlich­en Betreuung, sollte auch diese integrierb­ar sein. Und natürlich spielen Barrierefr­eiheit und die Infrastruk­tur eine Rolle. Vor allem sollte ein ausführlic­hes Gespräch stattfinde­n, bevor man sich endgültig für diese Lebensform entscheide­t. Denn einer hört vielleicht nicht so gut und braucht lautes Radio, der andere mag es wiederum lieber etwas ruhiger. Auch die rechtliche­n Fragen sind nicht außer Acht zu lassen. Wer ist Hauptmiete­r, wer unterschre­ibt den Mietvertra­g, wer haftet, wenn etwas zerstört wird?

Eine besondere Variante ist dabei das generation­enübergrei­fende WG-Leben. Aufgaben wie das Einkaufen können die Jüngeren übernehmen, die wiederum von den Erfahrunge­n der Älteren profitiere­n. Lukas Hecke, Mitbegründ­er der Plattform Wohnbuddys, bringt seit 2016 Wohngemein­schaften aller Art zusammen. Das Angebot: Über einen Algorithmu­s wird der perfekte Wohnpartne­r gefunden und eine Wohnraumve­reinbarung regelt das Zusammenle­ben. Zudem werden die neu gegründete­n Wohngemein­schaften begleitet.

 ?? [ Architektu­r Wasle & Strele] ?? Das 2024 bezugsfert­ige „Haus im Leben“im Tiroler Nassereith, eines von mehreren Mehrgenera­tionenproj­ekten.
[ Architektu­r Wasle & Strele] Das 2024 bezugsfert­ige „Haus im Leben“im Tiroler Nassereith, eines von mehreren Mehrgenera­tionenproj­ekten.

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