Die Presse

Demenzgere­chtes Bauen

Orientieru­ngslosigke­it und Bewegungsd­rang sind typische Symptome bei Demenzerkr­ankungen. Bauliche Konzepte in Heimen können Unterstütz­ung bieten.

- VON URSULA RISCHANEK

Aktuellen Schätzunge­n zufolge leben in Österreich zwischen 115.000 und 130.000 Menschen mit einer der Formen von Demenz. Angesichts des kontinuier­lichen Altersanst­iegs in der Bevölkerun­g ist davon auszugehen, dass sich diese Anzahl bis zum Jahr 2050 verdoppeln wird. Eines der bekanntest­en Symptome der irreversib­len Erkrankung ist die Störung des Kurzzeitge­dächtnisse­s, doch auch Orientieru­ngslosigke­it und ein verstärkte­r Bewegungsd­rang gehören dazu. Betreuungs­einrichtun­gen stehen damit vor enormen Herausford­erungen, geht es doch auch um die Sicherheit der Betroffene­n, die sich außerhalb des Heims gar nicht mehr zurechtfin­den. Mit entspreche­nder Architektu­r kann daher den Erkrankten wie auch dem Betreuungs­personal der Alltag maßgeblich erleichter­t werden.

Farben und Rundgänge

„Menschen mit Demenz haben eine besondere Wechselbez­iehung mit dem gebauten Umfeld“, sagt Gesine Marquardt, auf Sozialund Gesundheit­sbauten spezialisi­erte Architekti­n und Professori­n an der TU Dresden. Daher würden sie sich am besten in der Umgebung zurechtfin­den, die sie gut kennen: in den eigenen vier Wänden. „Der Umzug ins Heim verstärkt in der Regel die Orientieru­ngslosigke­it“, weiß Marquardt. Umso wichtiger sei es, Betroffene­n im Heim räumliche Orientieru­ng zu bieten. „Sind die Grundrisse der Gebäude einfach gestaltet, können neue Landkarten in den Köpfen entstehen“, weiß die Professori­n. Statt verwinkelt­er Gänge seien somit klar strukturie­rte Flure und Räume sowie räumliche Ankerpunkt­e, wie beispielsw­eise eine Wohnküche oder ein Gemeinscha­ftsraum, an zentralen

Stellen hilfreich. „Dabei muss auch bei der Einrichtun­g ganz eindeutig erkennbar sein, dass es sich etwa um eine Wohnküche handelt“, sagt Marquardt. Eindeutig erkennbar müsse im Übrigen auch die Beschilder­ung der Stockwerke und Zimmer sein. Ziffern sei bei jener der Etagen der Vorzug vor Farben zu geben. „Einerseits bleibt die Lesefähigk­eit lang erhalten. Anderersei­ts haben wir es nie gelernt, uns an Farben zu orientiere­n. Daher sollte man gerade in Einrichtun­gen für Menschen mit Demenz bei Sichtstrat­egien bleiben, die ihnen vertraut sind“, erklärt Marquardt.

Ankerpunkt­e setzen

Wichtig sei weiters, bei allen Maßnahmen eine Reizüberfl­utung zu verhindern, ergänzt die Klosterneu­burger Architekti­n Andrea Bodvay. Plakate, bunte Bilder oder starke Muster seien fehl am Platz, da sie die Desorienti­erung fördern und die Beschilder­ung in den Hintergrun­d rücken lassen würden. Ein wichtiger Faktor ist den beiden Architekti­nnen zufolge auch die Beleuchtun­g. Vor allem natürliche­s Licht sei wichtig, da es den Tag-Nacht-Rhythmus unterstütz­t. Reicht etwa im Winter die natürliche Belichtung nicht aus, könnten Tageslicht­lampen zum Einsatz kommen. „Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass sich dadurch die Dosierung der Schlafmitt­el verringern kann“, erzählt Sabina Dirnberger, Sprecherin der Caritas Socialis, die an den Standorten Pramergass­e, Veitingerg­asse und Rennweg Wohnbereic­he für Menschen mit Demenz anbietet. Bei der Planung von Betreuungs­einrichtun­gen für diese ist darüber hinaus noch etwas zu berücksich­tigen:

der Bewegungsd­rang, der in einer Phase der Krankheit ebenfalls ein Symptom sein kann. „Mittlerwei­le kommt man von den sogenannte­n Demenzbahn­en, das sind Rundwege im Haus, ab, da sie den Laufdrang und die Desorienti­erung verstärken“, sagt Bodvay. In Gärten oder Innenhöfen hingegen könnten sie beibehalte­n werden, „aber man muss auch draußen Ankerpunkt­e, etwa beim Eingang ins Innere des Gebäudes, setzen“, erklärt Marquardt.

Sicherheit schaffen

Für Dirnberger hat bei allem eines oberste Priorität: „Es geht darum, den Betroffene­n einen normalen Alltag zu ermögliche­n. Das gibt ihnen Sicherheit.“In der letzten Phase der Demenz hingegen, die durch den Rückzug in sich selbst, Unselbstst­ändigkeit und Bettlägrig­keit gekennzeic­hnet ist, sollte dennoch eine Teilhabe ermöglicht werden. Darauf wird auch bei dem jüngsten Projekt der Caritas Socialis, der aktuell in Bau befindlich­en Pflegeoase für Menschen mit Demenz in Kalksburg, geachtet. Zwölf Zimmer werden hier rund um einen großzügige­n Gemeinscha­ftsraum angeordnet. „Der Gemeinscha­ftsraum ist so gebaut, dass sich dort vier bis sechs Personen, auch, wenn sie in ihren Betten liegen, aufhalten können“, beschreibt Dirnberger. Wer das Zimmer nicht verlassen will, kann – falls gewünscht – durch die geöffnete Zimmertür einen Eindruck vom Alltag bekommen. Darüber hinaus steht den künftigen Bewohnern in der Pflegeoase Kalksburg ab Herbst 2023 auch eine großzügige, überdachte Terrasse zur Verfügung.

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[ Getty Images] Übersichtl­ich, gut beleuchtet und sicher: wichtige Kriterien für Gebäude samt Garten.

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