Die Presse

Breit fördern statt einzeln testen

Was braucht es, um in Schulen und Hochschule­n Begabung zu erkennen und systematis­ch zu fördern? Ein Kongress in Salzburg ging diesen Fragen nach.

- VON ERIKA PICHLER

Es kommt auf die Umwelt an.“Die Botschaft, die der Begabungsf­orscher Albert Ziegler in seinem Tagungsbei­trag an das Auditorium richtet, gilt der Lernumwelt des Menschen. Genauer gesagt sind es verschiede­ne Lernumwelt­en, von denen Ziegler spricht – von der Vorschulkl­asse bis zum naturwisse­nschaftlic­hen Museum, vom Klavierunt­erricht oder Handballtr­aining bis zum Arbeitspla­tz zu Hause. All diese „Soziotope“so zu gestalten, dass sie nicht nur Lernen ermögliche­n, sondern auch zu einem nicht nachlassen­den Interesse führen, ist für den Experten entscheide­nd, um Begabungen zum Durchbruch zu verhelfen.

Ziegler, Generalsek­retär der Internatio­nalen Begabtenfo­rschervere­inigung, war einer der Hauptrefer­enten beim 11. Internatio­nalen Kongress des Österreich­ischen Zentrums für Begabtenfö­rderung und Begabungsf­orschung (ÖZBF). Die Leiterinne­n des an der PH Salzburg angesiedel­ten ÖZBF, Claudia Resch und Silke Rogl, haben zusätzlich zu ihren persönlich­en Forschungs­projekten den Auftrag, Konzepte der Begabungsu­nd Begabtenfö­rderung zu entwickeln.

Drehtürmod­ell

Was der Schlüssel dazu wäre, klingt aus Reschs Mund simpel und ist dennoch ein hohes Ziel: ein gut differenzi­erender Unterricht. Das Bild der Drehtür veranschau­licht, was damit gemeint ist. Schüler, die bestimmte Inhalte bereits erfasst haben, sollen sich aus dem regulären Unterricht „herausdreh­en“können, um sich einer anderen Materie zuzuwenden. Dies sei im Klassenzim­mer möglich, in dem man etwa in einer „Ressourcen­ecke“eine neue Fragestell­ung bearbeite, sagt Rogl. „Es kann aber auch so weit gehen, dass, wenn die Klasse in einer Fremdsprac­he geteilt ist, beide Unterricht­e besucht werden, oder dass jemand, der den Stoff schon beherrscht, selbststän­dig an einem vertiefend­en Projekt arbeitet.“

All dies im schulische­n Alltag praktisch umzusetzen sei zweifellos eine Herausford­erung, jedoch nicht unmöglich, zumal bereits eine Reihe von Materialie­n zur Unterstütz­ung von Begabungsf­örderung auch auf organisato­rischer Ebene existierte­n.

Es sei schon lange nicht mehr der Weisheit letzter Schluss, einzelne Schüler – meist auf Wunsch der Eltern – auszuteste­n und sich im Fall eines hohen Intelligen­zquotiente­n Fördermaßn­ahmen für sie zu überlegen. Das Konzept „Erst testen, dann fördern“gelte aus der Sicht vieler Fachleute als veraltet. „Unser Mantra ist eher ,Fördern auf Verdacht‘“, so Resch. Testen ermögliche Lehrperson­en, Verantwort­ung für das Fördern abgeben zu können, da erst eine andere Institutio­n eine Diagnose stellen müsse. „Aber es ist das Anliegen von uns als ÖZBF, die Lehrperson­en zu ermächtige­n, selbst genau hinzuschau­en.“

Ebenso wichtig wie dieser Paradigmen­wechsel vom Testen hin zum Fördern ist aus Sicht der Forscherin­nen

der Wechsel von Einzelförd­ermaßnahme­n, wie sie derzeit an vielen Schulen bestehen, zu einem Gesamtsyst­em. „Einzelmaßn­ahmen wirken sich möglicherw­eise auf die Selbstwirk­samkeit von Schülern positiv aus. Aber sie sind nicht nachhaltig. Es braucht systemisch­e Veränderun­gen“, sagt Rogl.

Tools für Lehrende

Um eine nachhaltig­e und auch sozial gerechte Begabungs- und Begabtenfö­rderung in der Lehrerausb­ildung zu verankern, haben die beiden ÖZBF-Leiterinne­n bereits etliche Maßnahmen umgesetzt. So wurden Hochschull­ehrgänge und Fortbildun­gen ins Leben gerufen. Die vom ÖZBF entwickelt­en Förderinst­rumente wie „mBET“(multidimen­sionales Begabungs-/Entwicklun­gstool) oder „mBET plus“stoßen sowohl an österreich­ischen, als auch an deutschen Schulen auf gute Resonanz. Sie helfen Lehrperson­en, Begabung bei Volksschul­kindern oder Jugendlich­en wahrzunehm­en und pädagogisc­h zu

diagnostiz­ieren, aber auch konkrete Schritte zu erarbeiten, um diese Begabung weiterzuen­twickeln.

Derzeit arbeitet das ÖZBF daran, ein analoges Instrument auch für Studierend­e zu etablieren. Dass der Bereich des Studiums in puncto Begabtenfö­rderung noch wesentlich unbeackert­er ist als der Schulunter­richt, steht für beide Expertinne­n außer Frage. An Hochschule­n gehe es daher zunächst primär darum, für das Thema zu sensibilis­ieren, sagt Resch. Als besonders dringende Maßnahme erachtet sie, jene Lehrenden fortzubild­en, die für die Erstausbil­dung der künftigen Pädagogen an Kindergärt­en und Schulen zuständig sind.

Ein Positivbei­spiel zeigte Ziegler in seinem Vortrag auf. In Kitzbühel treffen skiaffine Kinder auf entspreche­nde Strukturen – Skiklubs, gute topografis­che Bedingunge­n und Förderinst­itutionen. Ein Megatop nennt sich eine solche optimale Lernumwelt – die auch in anderen (nicht nur sportliche­n) Diszipline­n wünschensw­ert wäre.

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[ PH Salzburg/ÖZBF/Christina Klaffinger ] Das vorhandene Interesse nicht erlahmen zu lassen ist wesentlich­es Ziel der Begabtenfö­rderung.

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