Rache für den Kurz-Sturz: Kann die ÖVP der Versuchung widerstehen?
Wiens Türkise wollen Handydaten Bürgermeister Michael Ludwigs. Die U-Kommission Wien Energie könnte zur brutalen Retourkutsche werden.
Die Situation ist, um sich in WM-Zeiten eine Wendung aus dem Fußball auszuborgen, einem aufgelegten Elfmeter ähnlich. Eine Möglichkeit für die Opposition, die dominierende Heimmannschaft schlecht dastehen zu lassen und gegen sie einmal einzunetzen.
Die Spitzen der Wiener SPÖ und damit der Stadt haben sich bei den Milliardenhilfen für die ins Straucheln geratene Wien Energie erschreckend unprofessionell bis unverantwortlich verhalten. Am Freitag tagt erstmals die Untersuchungskommission, die ÖVP und FPÖ eingesetzt haben. Am Sonntag haben die Türkisen gezeigt, wohin die Reise geht.
Sie legen ihre Rolle eher nicht als handzahme Opposition an, die pro forma eine U-Kommission veranstaltet, aber es sich mit Blick auf später nicht mit den Machthabern verscherzen will. Was ÖVPKlubchef Markus Wölbitsch als Wunsch äußert, ist bemerkenswert. Er will nicht weniger als Handydaten Michael Ludwigs, um untersuchen zu können, was dieser wann über finanzielle Probleme von Wien Energie gewusst und was er wann dagegen unternommen hat. Die Vermutung liegt nahe: Die ÖVP ist in Versuchung, die Veranstaltung als Rache für den Sturz „ihres“Kanzlers Sebastian Kurz zu sehen.
Was die U-Kommission – außer es passiert völlig Unvorhersehbares – trotzdem nicht leisten kann: Bürgermeister Michael Ludwig wird nicht als Beschuldigter enden oder gar als Angeklagter. Die FPÖ hat zwar Anzeige wegen Verdachts des Amtsmissbrauchs eingebracht. Strafrechtler sehen aber kaum eine Gefahr für den Bürgermeister. Er wird wegen juristischer Verfehlungen nicht zurücktreten müssen. Der SPÖ-Landesvorsitzende wird auch nicht aus politischen Gründen gedrängt sein, sich zurückzuziehen. Man kann und muss sein Handeln kritisch sehen: In Gutsherrenmanier einem Unternehmen der Stadt Wien (und damit im Besitz der Steuerzahlerinnen und -zahler) in zwei Tranchen insgesamt 1,4 Milliarden Euro (und damit Mittel der Steuer-/Gebührenzahler und -innen) in einer Geheimaktion zuzuschieben ist durch die Stadtverfassung gedeckt, aber Lehrbuchbeispiel von Uraltpolitik. Der Fall sollte besser gestern als heute zum Anlass genommen werden, die für die SPÖ maßgeschneiderte Stadtverfassung neu zu schreiben, demokratischen Standards anzupassen, die heutigen Mindesterfordernissen gerecht werden. Hinweise auf schwarz regierte Länder wie Niederösterreich bringen nichts. Wie immer man es dreht und wendet, Wiens Bürgermeister wird, auch wenn die U-Kommission die Akten schließt, Michael Ludwig heißen.
Was aber die U-Kommission leisten wird und die Ereignisse geleistet haben: Die jahrzehntelange Nummer eins der Stadt und sehr selbstbewusste bis überhebliche SPÖ zeigt Schwäche, ist außer Tritt. Eingespielte Mechanismen haben nicht funktioniert. „Alles gut, nur keine Wellen“musste scheitern, weil selbst für politisch und ökonomisch Unbedarfte zu offensichtlich sein musste, dass der Fall weit entfernt von (gespielter) Normalität war. Das zeigten Auftritte der Spitzen. Michael Ludwigs Image als lächelnder Stadt-Übervater hat eine Schramme bekommen. Während der Pandemie hat er sich gegenüber der Bundesregierung als Meister der Krise inszeniert. Umso größer der Gegensatz zum Handling der Wien-Energie-Krise.
Apropos Spitzen: Peter Hanke ist eigentlich für Finanzen und Wirtschaft verantwortlich. Der ist in der Öffentlichkeit bei dem für ihn peinlichen Thema weitgehend abgetaucht und überlässt das Feld generös seinem Chef, dem Bürgermeister. Der wiederum ist bekannt dafür, in derartigen Fällen ein besonders gutes Gedächtnis zu haben. Für Wien wäre aber ein reibungsloses Funktionieren des Zusammenspiels der Verantwortlichen gerade in Wirtschaftsangelegenheiten dringend geboten. Die Achse Michael Ludwigs zum ÖVP-Wirtschaftskammer-Chef Walter Ruck reicht nicht. Auch nicht, um schonendes Vorgehen in der U-Kommission zu bewirken.
Das nennt man Demokratie. Die Wähler sollen sich ein Bild machen: War das Vorgehen Normalfall oder größter Finanzskandal der Stadt. Mit Rachegefühlen sollte das nichts zu tun haben – zumindest in einer idealen Welt.