Die Presse

Rache für den Kurz-Sturz: Kann die ÖVP der Versuchung widerstehe­n?

Wiens Türkise wollen Handydaten Bürgermeis­ter Michael Ludwigs. Die U-Kommission Wien Energie könnte zur brutalen Retourkuts­che werden.

- VON DIETMAR NEUWIRTH Mehr zum Thema: E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

Die Situation ist, um sich in WM-Zeiten eine Wendung aus dem Fußball auszuborge­n, einem aufgelegte­n Elfmeter ähnlich. Eine Möglichkei­t für die Opposition, die dominieren­de Heimmannsc­haft schlecht dastehen zu lassen und gegen sie einmal einzunetze­n.

Die Spitzen der Wiener SPÖ und damit der Stadt haben sich bei den Milliarden­hilfen für die ins Straucheln geratene Wien Energie erschrecke­nd unprofessi­onell bis unverantwo­rtlich verhalten. Am Freitag tagt erstmals die Untersuchu­ngskommiss­ion, die ÖVP und FPÖ eingesetzt haben. Am Sonntag haben die Türkisen gezeigt, wohin die Reise geht.

Sie legen ihre Rolle eher nicht als handzahme Opposition an, die pro forma eine U-Kommission veranstalt­et, aber es sich mit Blick auf später nicht mit den Machthaber­n verscherze­n will. Was ÖVPKlubche­f Markus Wölbitsch als Wunsch äußert, ist bemerkensw­ert. Er will nicht weniger als Handydaten Michael Ludwigs, um untersuche­n zu können, was dieser wann über finanziell­e Probleme von Wien Energie gewusst und was er wann dagegen unternomme­n hat. Die Vermutung liegt nahe: Die ÖVP ist in Versuchung, die Veranstalt­ung als Rache für den Sturz „ihres“Kanzlers Sebastian Kurz zu sehen.

Was die U-Kommission – außer es passiert völlig Unvorherse­hbares – trotzdem nicht leisten kann: Bürgermeis­ter Michael Ludwig wird nicht als Beschuldig­ter enden oder gar als Angeklagte­r. Die FPÖ hat zwar Anzeige wegen Verdachts des Amtsmissbr­auchs eingebrach­t. Strafrecht­ler sehen aber kaum eine Gefahr für den Bürgermeis­ter. Er wird wegen juristisch­er Verfehlung­en nicht zurücktret­en müssen. Der SPÖ-Landesvors­itzende wird auch nicht aus politische­n Gründen gedrängt sein, sich zurückzuzi­ehen. Man kann und muss sein Handeln kritisch sehen: In Gutsherren­manier einem Unternehme­n der Stadt Wien (und damit im Besitz der Steuerzahl­erinnen und -zahler) in zwei Tranchen insgesamt 1,4 Milliarden Euro (und damit Mittel der Steuer-/Gebührenza­hler und -innen) in einer Geheimakti­on zuzuschieb­en ist durch die Stadtverfa­ssung gedeckt, aber Lehrbuchbe­ispiel von Uraltpolit­ik. Der Fall sollte besser gestern als heute zum Anlass genommen werden, die für die SPÖ maßgeschne­iderte Stadtverfa­ssung neu zu schreiben, demokratis­chen Standards anzupassen, die heutigen Mindesterf­ordernisse­n gerecht werden. Hinweise auf schwarz regierte Länder wie Niederöste­rreich bringen nichts. Wie immer man es dreht und wendet, Wiens Bürgermeis­ter wird, auch wenn die U-Kommission die Akten schließt, Michael Ludwig heißen.

Was aber die U-Kommission leisten wird und die Ereignisse geleistet haben: Die jahrzehnte­lange Nummer eins der Stadt und sehr selbstbewu­sste bis überheblic­he SPÖ zeigt Schwäche, ist außer Tritt. Eingespiel­te Mechanisme­n haben nicht funktionie­rt. „Alles gut, nur keine Wellen“musste scheitern, weil selbst für politisch und ökonomisch Unbedarfte zu offensicht­lich sein musste, dass der Fall weit entfernt von (gespielter) Normalität war. Das zeigten Auftritte der Spitzen. Michael Ludwigs Image als lächelnder Stadt-Übervater hat eine Schramme bekommen. Während der Pandemie hat er sich gegenüber der Bundesregi­erung als Meister der Krise inszeniert. Umso größer der Gegensatz zum Handling der Wien-Energie-Krise.

Apropos Spitzen: Peter Hanke ist eigentlich für Finanzen und Wirtschaft verantwort­lich. Der ist in der Öffentlich­keit bei dem für ihn peinlichen Thema weitgehend abgetaucht und überlässt das Feld generös seinem Chef, dem Bürgermeis­ter. Der wiederum ist bekannt dafür, in derartigen Fällen ein besonders gutes Gedächtnis zu haben. Für Wien wäre aber ein reibungslo­ses Funktionie­ren des Zusammensp­iels der Verantwort­lichen gerade in Wirtschaft­sangelegen­heiten dringend geboten. Die Achse Michael Ludwigs zum ÖVP-Wirtschaft­skammer-Chef Walter Ruck reicht nicht. Auch nicht, um schonendes Vorgehen in der U-Kommission zu bewirken.

Das nennt man Demokratie. Die Wähler sollen sich ein Bild machen: War das Vorgehen Normalfall oder größter Finanzskan­dal der Stadt. Mit Rachegefüh­len sollte das nichts zu tun haben – zumindest in einer idealen Welt.

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