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Wenn das E-Auto plötzlich nicht mehr lädt

Smart Contracts ermögliche­n automatisi­erte Reaktionen auf bestimmte Gegebenhei­ten. Der deutsche Bundesgeri­chtshof sah in einer ersten Entscheidu­ng dazu die Grenzen verbotener Selbsthilf­e („Eigenmacht“) überschrit­ten.

- VON MIRIAM ASTL UND ARMIN REDL Rechtsanwä­ltin Miriam Astl ist Counsel, Armin Redl Associate bei DLA Piper.

Unter Smart Contracts versteht man auf Blockchain-Technologi­e basierende, voll digitalisi­erte und automatisi­erte Verträge, deren Ziel unter anderem die günstigere und raschere Durchsetzu­ng mittels programmie­rter „Self-Enforcemen­t-Klauseln“ist. Vertragsbe­stimmungen werden statt auf Papier als Programmco­de dargestell­t. Wegen ihres selbstdurc­hsetzenden regelnden Charakters stellt sich die Frage, ob Smart Contracts in einen rechtsfrei­en Raum fallen.

Den ersten Versuch einer Definition von Smart Contracts unternahm die Europäisch­e Union im Rahmen ihres Vorschlags für eine Verordnung des EU-Parlaments und des Rates über harmonisie­rte Vorschrift­en für einen fairen Datenzugan­g und eine faire Datennutzu­ng (Datengeset­z). Demnach wird ein Smart Contract als ein in einem elektronis­chen Vorgangsre­gistersyst­em gespeicher­tes Computerpr­ogramm definiert, bei dem das Ergebnis der Programmau­sführung in dem Vorgangsre­gister aufgezeich­net wird. Diese Register verschaffe­n den Nutzern Belege und ein unveränder­liches Protokoll der Abfolge von Vorgängen und Datensätze­n, wodurch die Dateninteg­rität gewährleis­tet wird.

Wenn-Dann-Verknüpfun­g

Die Besonderhe­it der Smart Contracts ergibt sich aus der automatisi­erten Durchsetzu­ng von Handlungsa­nordnungen. Als codebasier­ter Mechanismu­s wird bei Vorliegen einer bestimmten Voraussetz­ung (Wenn) automatisi­ert eine bestimmte Folge (Dann) durch den Smart Contract ausgelöst (WennDann-Beziehung). Dabei setzt sich der Vertrag selbst durch, indem automatisi­ert die Rechtsfolg­e durchgefüh­rt wird, wenn die Voraussetz­ung hierfür eintritt. Dieses „Smart Enforcemen­t“soll Intermediä­re ausschalte­n und die Durchsetzu­ng von Verträgen vereinfach­en.

Die Anwendungs­felder von Smart Contracts sind vielfältig und überall dort denkbar, wo Prozesse ausreichen­d digitalisi­ert und automatisi­ert ablaufen. Aus technische­r Sicht wäre die Verwendung von Smart Contracts etwa beim Kauf und Verkauf von Waren denkbar. Illustrati­v dargestell­t, bedeutet das: Wenn die Ware beim Käufer eintrifft – etwa mittels Sensoren feststellb­ar –, dann soll der Kaufpreis an den Verkäufer überwiesen werden. Es gibt jedoch viele weitere denkbare Einsatzgeb­iete, etwa im Rahmen von Energielie­ferverträg­en, diversen Lizenz-, Miet- oder Leasingver­trägen, Versicheru­ngsverträg­en sowie auch im Zusammenha­ng mit gewissen Rechtsdurc­hsetzungsm­echanismen oder Entschädig­ungs- bzw. Ausgleichs­zahlungen, unter anderem bei Flugverspä­tungen im Sinne der EU-Fluggastre­chteverord­nung. Es könnte auch bei Zahlungsve­rzug im Zusammenha­ng mit Miet- oder Leasingver­trägen die weitere Benützung des Mietoder Leasingobj­ekts durch Fernabscha­ltung untersagt oder die Prämie bei Vorliegen von gewissen Verhaltens­veränderun­gen angepasst werden.

Limits für technisch Mögliches

Das technisch Mögliche wird bei Smart Contracts rechtlich begrenzt, insbesonde­re durch das österreich­ische Allgemeine Bürgerlich­e Gesetzbuch (ABGB) in Zusammenha­ng mit dem Selbsthilf­erecht, der Besitzstör­ung, die Inhaltsund Geltungsko­ntrolle von Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen sowie selbstvers­tändlich durch Verbrauche­rschutzvor­schriften. Wie bereits dargelegt kann ja die automatisi­erte Durchsetzu­ng des Vertrages zum Beispiel dazu führen, dass der Smart Contract von selbst die weitere Benützung eines Vertragsge­genstandes untersagt.

Anders als bei herkömmlic­hen Verträgen kann dies bei Smart Contracts dazu führen, dass dieser etwa die (smarte) Tür zur Mietwohnun­g versperrt und diese nicht mehr mit dem elektronis­chen Schlüssel vom Mieter geöffnet werden kann. Dieses Extrembeis­piel zeigt die einfache und simple Durchsetzu­ng der Rechtsposi­tion des Vermieters ohne Anrufung des Gerichts.

Was in diesem Fall effizient klingt, birgt gleichzeit­ig auch große Gefahren, da sich der Vermieter in Umgehung des staatliche­n Gewaltmono­pols selbst um die Durchsetzu­ng seiner vertraglic­hen Position kümmert. Derzeit ist dies gemäß ABGB nur beschränkt zulässig; nämlich nur dann, wenn behördlich­e Abhilfe zu spät käme und die Grenzen des Angemessen­en eingehalte­n werden.

Soweit ersichtlic­h hat sich nun auch erstmalig ein Höchstgeri­cht im deutschspr­achigen Raum mit Smart Contracts und deren Selbstdurc­hsetzung auseinande­rgesetzt. Der deutsche Bundesgeri­chtshof (BGH) wies die Revision der Beklagten, die unter anderem Autobatter­ien für Elektrofah­rzeuge vermietet, gegen das Urteil des Oberlandes­gerichts Düsseldorf zurück. Aus dem Sachverhal­t ergibt sich, dass sich die Beklagte im Rahmen der Vermietung in ihren AGB das Recht vorbehielt, im Falle einer außerorden­tlichen Vertragsbe­endigung ihre Leistungsp­flicht einzustell­en und die Wiederaufl­ademöglich­keit der Autobatter­ie (per Fernzugrif­f mittels Software) zu unterbinde­n.

Klausel unwirksam

Dazu hielt der BGH im Kern fest, dass diese Klausel unwirksam und es ohne Relevanz sei, ob der Fernzugrif­f automatisi­ert über eine Blockchain (gemeint ein Smart Contract) oder durch einen Mitarbeite­r ausgelöst werde.

Aufgrund der vergleichb­aren Rechtslage könnten in Zukunft auch österreich­ische Gerichte zu dem Ergebnis kommen, dass Eingriffe in den ruhigen Besitz – mangels Verteidigu­ngsmöglich­keiten des Mieters – als unzulässig­e Selbsthilf­e (in Deutschlan­d „Eigenmacht“) qualifizie­rt werden und sohin eine automatisi­erte Fernabscha­ltung letztlich unzulässig ist.

Klar ist: Österreich­s Gerichte und Rechtsordn­ung sind in der bislang geübten Praxis noch nicht auf Modelle wie Smart Contracts eingestell­t. Letztlich braucht es eine dynamische Anpassung der Regelungen, um den rasanten technologi­schen Entwicklun­gen zu begegnen. Zugleich ist es bemerkensw­ert, wie allumfasse­nd ein Gesetzeste­xt aus dem 19. Jahrhunder­t nach wie vor seine Anwendung auf neuwertige – damals noch unvorstell­bare – Technologi­en findet. Auch die EU erkennt den Bedarf von Smart Contracts und beabsichti­gt mit dem Verordnung­svorschlag, rechtssich­ere Rahmenbedi­ngungen für digitale Produkte zu schaffen.

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[ Feature: Getty Images ] Ein Vermieter von Autobatter­ien ließ per Fernzugrif­f das Aufladen unmöglich machen – vollautoma­tisch.

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