Wenn das E-Auto plötzlich nicht mehr lädt
Smart Contracts ermöglichen automatisierte Reaktionen auf bestimmte Gegebenheiten. Der deutsche Bundesgerichtshof sah in einer ersten Entscheidung dazu die Grenzen verbotener Selbsthilfe („Eigenmacht“) überschritten.
Unter Smart Contracts versteht man auf Blockchain-Technologie basierende, voll digitalisierte und automatisierte Verträge, deren Ziel unter anderem die günstigere und raschere Durchsetzung mittels programmierter „Self-Enforcement-Klauseln“ist. Vertragsbestimmungen werden statt auf Papier als Programmcode dargestellt. Wegen ihres selbstdurchsetzenden regelnden Charakters stellt sich die Frage, ob Smart Contracts in einen rechtsfreien Raum fallen.
Den ersten Versuch einer Definition von Smart Contracts unternahm die Europäische Union im Rahmen ihres Vorschlags für eine Verordnung des EU-Parlaments und des Rates über harmonisierte Vorschriften für einen fairen Datenzugang und eine faire Datennutzung (Datengesetz). Demnach wird ein Smart Contract als ein in einem elektronischen Vorgangsregistersystem gespeichertes Computerprogramm definiert, bei dem das Ergebnis der Programmausführung in dem Vorgangsregister aufgezeichnet wird. Diese Register verschaffen den Nutzern Belege und ein unveränderliches Protokoll der Abfolge von Vorgängen und Datensätzen, wodurch die Datenintegrität gewährleistet wird.
Wenn-Dann-Verknüpfung
Die Besonderheit der Smart Contracts ergibt sich aus der automatisierten Durchsetzung von Handlungsanordnungen. Als codebasierter Mechanismus wird bei Vorliegen einer bestimmten Voraussetzung (Wenn) automatisiert eine bestimmte Folge (Dann) durch den Smart Contract ausgelöst (WennDann-Beziehung). Dabei setzt sich der Vertrag selbst durch, indem automatisiert die Rechtsfolge durchgeführt wird, wenn die Voraussetzung hierfür eintritt. Dieses „Smart Enforcement“soll Intermediäre ausschalten und die Durchsetzung von Verträgen vereinfachen.
Die Anwendungsfelder von Smart Contracts sind vielfältig und überall dort denkbar, wo Prozesse ausreichend digitalisiert und automatisiert ablaufen. Aus technischer Sicht wäre die Verwendung von Smart Contracts etwa beim Kauf und Verkauf von Waren denkbar. Illustrativ dargestellt, bedeutet das: Wenn die Ware beim Käufer eintrifft – etwa mittels Sensoren feststellbar –, dann soll der Kaufpreis an den Verkäufer überwiesen werden. Es gibt jedoch viele weitere denkbare Einsatzgebiete, etwa im Rahmen von Energielieferverträgen, diversen Lizenz-, Miet- oder Leasingverträgen, Versicherungsverträgen sowie auch im Zusammenhang mit gewissen Rechtsdurchsetzungsmechanismen oder Entschädigungs- bzw. Ausgleichszahlungen, unter anderem bei Flugverspätungen im Sinne der EU-Fluggastrechteverordnung. Es könnte auch bei Zahlungsverzug im Zusammenhang mit Miet- oder Leasingverträgen die weitere Benützung des Mietoder Leasingobjekts durch Fernabschaltung untersagt oder die Prämie bei Vorliegen von gewissen Verhaltensveränderungen angepasst werden.
Limits für technisch Mögliches
Das technisch Mögliche wird bei Smart Contracts rechtlich begrenzt, insbesondere durch das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) in Zusammenhang mit dem Selbsthilferecht, der Besitzstörung, die Inhaltsund Geltungskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie selbstverständlich durch Verbraucherschutzvorschriften. Wie bereits dargelegt kann ja die automatisierte Durchsetzung des Vertrages zum Beispiel dazu führen, dass der Smart Contract von selbst die weitere Benützung eines Vertragsgegenstandes untersagt.
Anders als bei herkömmlichen Verträgen kann dies bei Smart Contracts dazu führen, dass dieser etwa die (smarte) Tür zur Mietwohnung versperrt und diese nicht mehr mit dem elektronischen Schlüssel vom Mieter geöffnet werden kann. Dieses Extrembeispiel zeigt die einfache und simple Durchsetzung der Rechtsposition des Vermieters ohne Anrufung des Gerichts.
Was in diesem Fall effizient klingt, birgt gleichzeitig auch große Gefahren, da sich der Vermieter in Umgehung des staatlichen Gewaltmonopols selbst um die Durchsetzung seiner vertraglichen Position kümmert. Derzeit ist dies gemäß ABGB nur beschränkt zulässig; nämlich nur dann, wenn behördliche Abhilfe zu spät käme und die Grenzen des Angemessenen eingehalten werden.
Soweit ersichtlich hat sich nun auch erstmalig ein Höchstgericht im deutschsprachigen Raum mit Smart Contracts und deren Selbstdurchsetzung auseinandergesetzt. Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) wies die Revision der Beklagten, die unter anderem Autobatterien für Elektrofahrzeuge vermietet, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf zurück. Aus dem Sachverhalt ergibt sich, dass sich die Beklagte im Rahmen der Vermietung in ihren AGB das Recht vorbehielt, im Falle einer außerordentlichen Vertragsbeendigung ihre Leistungspflicht einzustellen und die Wiederauflademöglichkeit der Autobatterie (per Fernzugriff mittels Software) zu unterbinden.
Klausel unwirksam
Dazu hielt der BGH im Kern fest, dass diese Klausel unwirksam und es ohne Relevanz sei, ob der Fernzugriff automatisiert über eine Blockchain (gemeint ein Smart Contract) oder durch einen Mitarbeiter ausgelöst werde.
Aufgrund der vergleichbaren Rechtslage könnten in Zukunft auch österreichische Gerichte zu dem Ergebnis kommen, dass Eingriffe in den ruhigen Besitz – mangels Verteidigungsmöglichkeiten des Mieters – als unzulässige Selbsthilfe (in Deutschland „Eigenmacht“) qualifiziert werden und sohin eine automatisierte Fernabschaltung letztlich unzulässig ist.
Klar ist: Österreichs Gerichte und Rechtsordnung sind in der bislang geübten Praxis noch nicht auf Modelle wie Smart Contracts eingestellt. Letztlich braucht es eine dynamische Anpassung der Regelungen, um den rasanten technologischen Entwicklungen zu begegnen. Zugleich ist es bemerkenswert, wie allumfassend ein Gesetzestext aus dem 19. Jahrhundert nach wie vor seine Anwendung auf neuwertige – damals noch unvorstellbare – Technologien findet. Auch die EU erkennt den Bedarf von Smart Contracts und beabsichtigt mit dem Verordnungsvorschlag, rechtssichere Rahmenbedingungen für digitale Produkte zu schaffen.