Tiefer in Beethovens Gedankenwelt
Piotr Anderszewski spielte im Musikverein dieselbe Sonate wie unlängst Leif Ove Andsnes im Konzerthaus.
Erstaunlich, wie wenig Anklang der neue Pianisten-Zyklus im Musikverein bisher gefunden hat! Liegt es auch daran, dass er im Brahms-Saal und nicht im gerade für dieses Genre repräsentativeren Goldenen Saal stattfindet? Schon beim ersten Abend mit Hamelin blieben viele Plätze frei. Etwas besser besucht war der zweite mit Piotr Anderszewski. Und einem ungewöhnlichen Programm: ausgewählten Präludien und Fugen aus dem zweiten Band von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“, die Webern-Variationen, Beethovens vorletzter Sonate, Opus 110.
Das lud zum Vergleich. Denn diesen späten Beethoven hat kürzlich auch Leif Ove Andsnes im Großen Konzerthaussaal gespielt. Dass die abschließende komplexe Fuge der Höhepunkt dieses Werks ist, wie Strawinsky betont hat, trat in den Interpretationen beider Virtuosen klar zutage: Wo Andsnes die verschiedenen Atmosphären dieses Finales einem weitgespannten Lyrismus unterordnete, hob Anderszewski in seiner dynamisch breiteren Lesart gerade diese Unterschiede hervor. Auch im langsamen Satz drang er tiefer in Beethovens Gedankenwelt, konzentrierte sich stärker auf ihre, tiefen Schmerz suggerierende Harmonik. Das Scherzo wirkte im Vergleich zu Anderszewskis grob-ungestümem Zugriff unter den Händen von Andsnes fast harmlos, rhythmisch zu wenig enthusiastisch.
Beide – im übrigen technisch brillante – Pianisten ließen diesen späten Beethoven jeweils aus einem anderen Stück „herauswachsen“. Bei Andsnes war es eine Bagatelle von Valentin Silvestrov, die einen ähnlich irisierenden Reiz verströmte wie der Beginn der BeethovenSonate. Anderszewski dagegen stellte dieser ein Werk voran, das weniger dem Melos als der Struktur verpflichtet ist: Weberns aphoristisches Opus 17, das er mit analytischer Schärfe temperamentvoll präsentierte.
Meditationen mit Bach
Anderszewskis Bach-Interpretation am Beginn erweckte den Eindruck eines intimen Zwiegesprächs zwischen ihm und dem Komponisten. Zwar wartete er auch hier zuweilen mit kräftigen Akzenten auf, hob wiederholt Stimmen in der linken Hand hervor, um die kontrapunktischen Strukturen zu verdeutlichen. Doch insgesamt wirkten diese farblich wenig differenzierten Darstellungen wie Meditationen – und zeigten trotz mancher überraschenden Phrasierung nicht jene Spannung, die sich mit dieser abwechslungsreichen Auswahl hätte erzielen lassen.