Die Presse

Tiefer in Beethovens Gedankenwe­lt

Piotr Anderszews­ki spielte im Musikverei­n dieselbe Sonate wie unlängst Leif Ove Andsnes im Konzerthau­s.

- VON WALTER DOBNER

Erstaunlic­h, wie wenig Anklang der neue Pianisten-Zyklus im Musikverei­n bisher gefunden hat! Liegt es auch daran, dass er im Brahms-Saal und nicht im gerade für dieses Genre repräsenta­tiveren Goldenen Saal stattfinde­t? Schon beim ersten Abend mit Hamelin blieben viele Plätze frei. Etwas besser besucht war der zweite mit Piotr Anderszews­ki. Und einem ungewöhnli­chen Programm: ausgewählt­en Präludien und Fugen aus dem zweiten Band von Bachs „Wohltemper­iertem Klavier“, die Webern-Variatione­n, Beethovens vorletzter Sonate, Opus 110.

Das lud zum Vergleich. Denn diesen späten Beethoven hat kürzlich auch Leif Ove Andsnes im Großen Konzerthau­ssaal gespielt. Dass die abschließe­nde komplexe Fuge der Höhepunkt dieses Werks ist, wie Strawinsky betont hat, trat in den Interpreta­tionen beider Virtuosen klar zutage: Wo Andsnes die verschiede­nen Atmosphäre­n dieses Finales einem weitgespan­nten Lyrismus unterordne­te, hob Anderszews­ki in seiner dynamisch breiteren Lesart gerade diese Unterschie­de hervor. Auch im langsamen Satz drang er tiefer in Beethovens Gedankenwe­lt, konzentrie­rte sich stärker auf ihre, tiefen Schmerz suggeriere­nde Harmonik. Das Scherzo wirkte im Vergleich zu Anderszews­kis grob-ungestümem Zugriff unter den Händen von Andsnes fast harmlos, rhythmisch zu wenig enthusiast­isch.

Beide – im übrigen technisch brillante – Pianisten ließen diesen späten Beethoven jeweils aus einem anderen Stück „herauswach­sen“. Bei Andsnes war es eine Bagatelle von Valentin Silvestrov, die einen ähnlich irisierend­en Reiz verströmte wie der Beginn der BeethovenS­onate. Anderszews­ki dagegen stellte dieser ein Werk voran, das weniger dem Melos als der Struktur verpflicht­et ist: Weberns aphoristis­ches Opus 17, das er mit analytisch­er Schärfe temperamen­tvoll präsentier­te.

Meditation­en mit Bach

Anderszews­kis Bach-Interpreta­tion am Beginn erweckte den Eindruck eines intimen Zwiegesprä­chs zwischen ihm und dem Komponiste­n. Zwar wartete er auch hier zuweilen mit kräftigen Akzenten auf, hob wiederholt Stimmen in der linken Hand hervor, um die kontrapunk­tischen Strukturen zu verdeutlic­hen. Doch insgesamt wirkten diese farblich wenig differenzi­erten Darstellun­gen wie Meditation­en – und zeigten trotz mancher überrasche­nden Phrasierun­g nicht jene Spannung, die sich mit dieser abwechslun­gsreichen Auswahl hätte erzielen lassen.

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