Die Seele der Familie heißt Tony
Die Dramatisierung von Thomas Manns „Buddenbrooks“gelingt am Landestheater ganz gut. Das Innenleben der eigentlich zentralen Figur wird aber kaum sichtbar.
Ach wie flüchtig, ach wie nichtig sind der Menschen Sachen!“Mit diesem auch als Bach-Kantate bekannten evangelischen Kirchenlied endet John Düffels Bühnenfassung der „Buddenbrooks“, davor schon ist es mehrmals angeklungen. Dieses Leitmotiv ist nicht von Thomas Mann, aber es passt gut zu diesem Roman des „Verfalls einer Familie“, in dem das Leben dem Tod und das Geschäft der Kunst weicht. Thomas Mann hätte auch den Organisten Edmund Pfühl, der Hanno, dem letzten Buddenbrook, die Musik lehrt, gut über dieses Thema improvisieren lassen können.
Doch nein, Pfühl fehlt in der Salzburger Theaterversion, wie so viele Figuren und Motive des dicht geflochtenen Romans. Wer die „Buddenbrooks“liebt – und wer täte das nicht? –, mag das bedauern, aber es ist ein notwendiger Kollateralschaden des irren Vorhabens, gut 700 Buchseiten auf zweieinhalb Stunden zu verknappen. Das Düffel erstaunlich passabel gelungen ist. Unter anderem mit dem Trick, aus drei Personen eine zu machen: Aus dem Studenten, von dem Tony lassen muss, dem Blumenmädchen, das Thomas verstößt, und dem kleinen Grafen Kai, der Hanno in den Tod begleitet, wird eine goldene, alterslose, androgyne Gestalt, die zur Liebe und zum Tod verführt. (Und zur Musik: Ein paar Worte Pfühls darf sie sagen.) „Liebe ist Sünde gegen die Väterpflicht“, sagt Thomas zu ihr, und das ist schlecht dazu erfunden: So platt ließ Thomas Mann seinen Thomas nicht sprechen.
Thomas Buddenbrook, die Romanfigur, die die innere und äußere Dramatik am klarsten erlebt, kommt überhaupt in Düffels Fassung am schlechtesten zur Geltung. Wozu Alexandra Liedtkes Inszenierung beiträgt: Sie lässt Gregor Schulz – der physiognomisch besser als Christian passen würde – den Thomas als blassen Streber und Familienideologen spielen. Dem man die fatale Sehnsucht nach der Kunst nicht abnimmt, noch weniger die Meditation „Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich“: Er deklamiert Schopenhauers Sätze wie Parolen.
Sympathieträger Christian
Auch in den Auseinandersetzungen mit seinem missratenen Bruder zieht er keine Sympathien an sich. Dieser dafür alle. Maximilian Paier wirkt als Christian so jung, lieb und herzig, dass man Thomas gar nicht versteht, wenn er den zentralen Satz sagt: „Ich bin geworden, wie ich bin, weil ich nicht so werden wollte wie du.“Dafür versteht man Gerda, wenn sie sich fast in Christian verschaut. Elisabeth Mackner spielt diese Nervöse ansonsten hauptsächlich unnahbar.
Die theatertauglichste Figur der „Buddenbrooks“ist freilich Tony, Leidtragende zweier Heiratsversuche, zugleich die Person, die an die Familie und ihre Werte am innigsten glaubt. Lisa Fertner spielt diese naive Gläubige herzzerreißend tragisch und komisch zugleich, zeichnet ihre Züge vom koketten Schmollmund bis zu den zweifelnden Glupschaugen, geht hart an den Rand zur Überzeichnung, überschreitet ihn aber nie.
Das tun die Darsteller von Grünlich und Permaneder schon, ihre Rollen sind schon im Original parodistisch, und das nutzen sie weidlich, Martin Trippensee lässt sogar die Hosen fallen, Axel Meinhardt gibt dialektisch korrekt (zur besonderen Freude des Wieners) in Salzburg einen Münchner, der die Lübecker verstört. Den Bankier Kesselmayer spielt Matthias Hermann erstaunlich wenig karikaturistisch, was seinen Sinn hat, weil es den materiellen, finanziellen Unterbau des Abstiegs betont. Christoph Wieschke ist ein (vielleicht allzu) kräftiger Konsul, Britta Bayer eine ebenso strenge, fast grausame Konsulin, Alexander Kölblinger rührt als Hanno.
Etliche Regieeinfälle – etwa dass Thomas den Rücken Christians als Schreibpult nützt – sind platt und entbehrlich; die Bühne erfüllt mit vielen Schiebetüren ihren Zweck: Sie gewährt Einblick in ein ernstes Spiel um Leben und Tod, das immer härter und schneller wird. Endlich sind fast alle tot oder dem Wahnsinn verfallen. Jubel. Das Landestheater kann mit seiner ersten Premiere nach der Renovierung recht zufrieden sein.