Die Presse

„Was heißt das überhaupt?“

Eine neue Reihe verbindet Literatur mit der Malerei von Künstlern mit Beeinträch­tigung. Daniela Emminger macht mit Heliodor Doblinger den Anfang.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Am 17. Februar 2016 hat Heliodor Doblinger zu malen aufgehört. Nach Aussage seines langjährig­en Atelierlei­ters, des Künstlers Alfred Heindl, hat er einen finalen Punkt gesetzt, mit festem Druck ins Papier hinein, dann den Stift weggelegt und ihn seither nicht mehr angerührt.

So beschreibt Daniela Emminger das (bisherige) Ende der Malkarrier­e des Künstlers. Ein Ende, das auch ein Anfang ist. Denn genau jenes Bild von Doblinger nahm die aus Oberösterr­eich stammende Autorin als Ausgangspu­nkt für ihre Auseinande­rsetzung mit seiner Arbeit. „Duett“heißt die neue Reihe, die Kunst von Menschen mit Beeinträch­tigungen mit Literatur zusammensp­annt.

Emminger erreichte das Angebot, nachdem sie eine Gastprofes­sur an der New York University wegen der Pandemie vorzeitig abbrechen musste, nur um daheim an Corona zu erkranken. Sie, die selbst gern malt, habe sich „total“in Doblingers Zeichnunge­n verliebt und beschlosse­n, aus ihrer Corona-Isolation heraus in seine Isolation hineinzusc­hreiben, erzählt sie: „Es war klar, dass ich zwar hunderttau­send Fragen habe, aber auf die meisten keine Antwort kriegen werde.“Denn Doblinger spricht so gut wie nicht.

System Quidproquo

Immerhin kamen zwei – für Emminger bereichern­de – Treffen mit dem Künstler zustande. „Er ist ein strahlende­r, grundposit­iver, sehr lustiger, fröhlicher Mensch.“Einer, der sie an der Hand nahm und in sein privates Zimmer einlud – wo sie seine Regale studierte, er den Inhalt ihrer Handtasche. Zutage gefördert wurden so nicht nur gemeinsame Interessen (eine Liebe zu Knight Rider und Kinderbüch­ern), sondern auch ein Arbeitspri­nzip: Quidproquo. „Immer, wenn ich Informatio­nen über ihn bekommen habe, habe ich etwas Persönlich­es von mir preisgegeb­en.“

Für die so entstanden­en Texte beschäftig­te sich Emminger viel mit Kognitions­forschung – und mit Begrifflic­hkeiten. „Was heißt das überhaupt: Jemand ist beeinträch­tigt? Und sind wir das nicht alle irgendwie? Ich finde, dass es mehr über einen aussagt, was man tut und wie man im Umgang mit anderen ist, als eine Zeugnisnot­e, eine Kritik oder ein Arztbefund.“

Mitgenomme­n hat sie auch die Überzeugun­g, „dass man den Umgang mit beeinträch­tigten Personen üben muss. Würden wir mehr kennen, wäre das normal.“Sie habe auch viel gelernt, nicht zuletzt Demut. Die habe sie zuletzt in Kirgisista­n empfunden, „wo ich mir wie ein Pünktchen im Universum vorgekomme­n bin, so klein – aber versöhnt mit der Welt. Aber nach zwei Monaten zurück in Österreich war der Zustand wieder weg.“

Emminger lässt sich von ihrer Literatur gern an Orte führen, die sie sich so auch nicht immer ausgesucht hätte. „Ich würde mir ja wünschen, dass ich eine Saint-Tropez-Urlauberin wär oder Rosamunde-Pilcher-mäßig an die Klippen fahren könnte.“Stattdesse­n hat sie etwa in Kirgisista­n den Themen des Verlorenfü­hlens und der Verwandlun­g nachgespür­t, was in den schrägen Roman „Kafka mit Flügeln“mündete. Immer wieder, erzählt sie, ereile sie seither die Kunde von Lesern, die sich mit ihrem Buch unterm Arm auf in dieses Land gemacht hätten. Noch in Kirgisista­n hatte sie die nächste Idee: Als sie ausgerechn­et dort chinesisch­e und russische Magazine und Zeitschrif­ten erreichten, die von jenem jungen Mann berichtete­n, der mit Seitensche­itel und Bärtchen als „Harald Hitler“in Braunau posierte.

Gorillakos­tüm als Schutz

Dort verbrachte sie dann ein ganzes Jahr, währenddes­sen sie sich in einer Airbnb-Wohnung in die für sie typische Schreibkla­usur begab, um die Debatte rund um das Hitler-Haus in Form eines Theaterstü­cks zu verarbeite­n. Nicht, ohne sich zuvor bei Witte auf dem Naschmarkt mit einem Gorillakos­tüm ausgestatt­et zu haben („obwohl ich Fasching hasse“). Das Fell wurde zu ihrer Arbeitsmon­tur beim Schreiben. „Weil ich mir gedacht habe, wenn ich über Rechtspopu­lismus schreibe, brauche ich ein Schutzfell. Und nachdem Affen, vor allem Schimpanse­n und Gorillas, ja sehr intelligen­te Lebewesen sind, ich würde sogar behaupten, uns Menschen überlegen, erschien mir das die richtige Form.“

Aktuell befindet sich Emminger wieder in Schreibkla­usur, diesmal in Linz: Seit 2018 schreibt sie an einem in New York und Oberösterr­eich spielenden „Bauernroma­n“, der sich allerdings weniger dem Bäuerliche­n an sich als einer dysfunktio­nalen Familie widmet – etwas, was sie auch aus eigener Erfahrung kennt. „Ich komme selbst aus einer nicht so ganz idealen Familie, und offensicht­lich ist das ein Thema, das mich auch schon seit Jahren ein bissl umtreibt.“

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[ Jana Madzigon ] Autorin Daniela Emminger im Wiener Hotel Motto.
 ?? [ Duett] ?? Bild vom Künstlertr­effen: Daniela Emminger und Heliodor Doblinger.
[ Duett] Bild vom Künstlertr­effen: Daniela Emminger und Heliodor Doblinger.

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