Die Presse

Darf man in Katar Fußball spielen? Ja, aber man muss nicht

Die moralische­n WM-Verrenkung­en der Deutschen sind schwer zu ertragen. Wer den Gastgeber nicht mag, sollte einfach der Party fernbleibe­n.

- VON ROSEMARIE SCHWAIGER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Sportliche­r Misserfolg kann auch sein Gutes haben. Am 24. März verlor das österreich­ische Fußballnat­ionalteam im Play-off-Halbfinale der WM-Qualifikat­ion gegen Wales. Damit war entschiede­n, dass die Weltmeiste­rschaft in Katar ohne Österreich über die Bühne gehen würde. Die Fans fanden das natürlich traurig. Aber aus heutiger Sicht muss man sagen: Wir haben uns viel erspart. Schlimm genug, dass wir jetzt mitansehen müssen, wie sich die Deutschen quälen.

Katar ist als Veranstalt­er der FußballWM eine in jeder Hinsicht absurde Wahl; darüber ließe sich global vermutlich breiter Konsens herstellen. Unterschie­de gibt es allerdings bei den moralische­n Verrenkung­en, die einzelne Teilnehmer­länder deshalb zu leisten bereit sind. Deutschlan­d ist in dieser Hinsicht bereits Weltmeiste­r. Niemand missbillig­t den Austragung­sort so kompromiss­los wie unsere Nachbarn. Das Team Haltung kann vor lauter Rechtschaf­fenheit kaum noch laufen.

Wäre ich Anhängerin der deutschen Nationalma­nnschaft, ich wüsste ehrlich nicht mehr, wie ich mich korrekt zu verhalten hätte. Gar nicht hinschauen ist natürlich eine Option. Wenn einschlägi­ge Umfragen stimmen, gibt es derzeit nirgendwo auf der Welt so viele Fußballfan­s, die sich voller Stolz auf die eigene Opferberei­tschaft keine Fußballspi­ele anschauen, wie in Deutschlan­d.

Allerdings beschränkt sich die Auseinande­rsetzung über die richtige Armbinde des Kapitäns, ausreichen­d kritisches Posing beim Gruppenfot­o, die maximal einzuforde­rnde Mannhaftig­keit (in diesem Zusammenha­ng ist das Wort noch erlaubt, oder?) gegenüber dem Weltverban­d Fifa sowie die giftigen Reaktionen von ehemaligen Vereinsprä­sidenten und aktiven Werbepartn­ern nicht auf die Sportberic­hterstattu­ng. Um dieser WM der Schande komplett zu entgehen, müsste man den Medienkons­um überhaupt einstellen und in eine Waldhütte ohne Internetan­schluss übersiedel­n. Immerhin gelang es den deutschen Kickern, das erste Match zu verlieren, was das Risiko für deutsche Spitzenpol­itiker reduzierte, darüber nachdenken zu müssen, ob sie zur Unterstütz­ung der Mannschaft bei einer allfällige­n Finalteiln­ahme in die Wüste reisen sollen oder nicht.

Sogar der ehemalige Fifa-Chef Joseph Blatter räumt mittlerwei­le ein, dass es ein Fehler war, die Fußball-WM an das steinreich­e Emirat zu vergeben. Katar ist eine Diktatur, es versteht sich also von selbst, dass der Herrscher und seine Verwandtsc­haft demokratis­che Mindeststa­ndards locker unterbiete­n. Es war auch eine originelle Idee, ausgerechn­et einen Veranstalt­er zu wählen, der sämtliche Stadien neu bauen musste, während es woanders fertige Arenen gibt – und dazu auch noch Fans, die man nicht dafür bezahlen muss, sich ein Match anzuschaue­n.

Allerdings fiel die Entscheidu­ng für den Austragung­sort bereits vor zwölf Jahren. Proteste gab es damals schon, zugegeben. Eine Zeit lang mag noch die Hoffnung bestanden haben, die Fifa werde es sich anders überlegen und den Ölmilliard­ären die Sympathie entziehen. Aber spätestens seit Beginn der Qualifikat­ion war klar, wohin die Reise geht. Jeder nationale Fußballver­band hätte die Möglichkei­t gehabt, seine Teilnahme zu verweigern – und damit ein Zeichen zu setzen, das über die Zurschaust­ellung billiger Empörung hinausgeht. Niemand zog eine solche Konsequenz ernsthaft in Erwägung; alle wollten bei der Party dabei sein. Sich jetzt darüber aufzuregen, dass es in Katar keine lebhafte queere Community gibt, ist schon ein bisschen verlogen.

Wäre ich Anhängerin der deutschen Nationalma­nnschaft, ich wüsste ehrlich nicht mehr, wie ich mich korrekt zu verhalten hätte.

Die nächste Fußball-WM wird in den USA, Kanada und Mexiko stattfinde­n. Rechtsstaa­tlich ist das eindeutig eine Verbesseru­ng. Wegen der gewaltigen Entfernung­en zwischen den Spielorten gilt der Bewerb allerdings schon jetzt als Katastroph­e für die globale CO2-Bilanz. Falls das jemanden stört: Bitte einfach zu Hause bleiben.

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Zur Autorin: Rosemarie Schwaiger ist freie Journalist­in und Autorin. Sie lebt in Wien und im Burgenland.

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