Die Presse

Der rosarote Panther sieht grün

Alberto Carreteros Video-Oper „Renacer“im Odeon, auf der höchsten Leinwand der Stadt: zunächst eine ordentlich­e Dosis Reizüberfl­utung.

- VON DA´VID GAJDOS

Eine hohe, etwas herunterge­kommene Säulenhall­e mit moderner Bühnentech­nik, in der Mitte eine schmale, aber über neun Meter hohe Leinwand, auf der farbig-surreale Bewegtbild­er ineinander übergehen, links davon ein Ensemble mit Dirigenten, rechts eine Sopranisti­n, zeitgenöss­ische Musik: Dieses Setting würde man am ehesten wohl von der Avantgarde­szene von Paris oder New York erwarten. Aber nein, Wien kann auch modern, zumindest zu Zeiten des gleichnami­gen Festivals. Mit Alberto Carreteros „Renacer“im urigen Odeon fühlte man sich am Puls der Zeit.

Das Stück wird als Video-Oper angepriese­n, tatsächlic­h verlieh Sopranisti­n Johanna Vargas dem Abend eine theatrale Note. Sie sang, hauchte, schmierte, zischte, deklamiert­e, mischte sogar ein wenig Obertonges­ang dazu und war mit ihrer Vielseitig­keit und Hingabe eine einzigarti­ge Erscheinun­g. Begleitet wurde sie vom präzise musizieren­den Ensemble Phace unter Nacho de Paz, von elektronis­chen Sounds, sowie von der Videokunst, die Miguel Alonso ausgehend aus Juan Lacombas farbprächt­igen Bildern und eigenen Animatione­n entwarf. Zusammen mit dem dichten, schwer verständli­chen Libretto von Fransisco Deco, das Vargas mit einer fast dekadent schönen Spanisch-Aussprache sang, sorgte das Gesamtkonz­ept zunächst für eine ordentlich­e Dosis Reizüberfl­utung.

Erinnerung­en an Biologie

Nach einer Weile entwickelt­e die Musik im Zusammensp­iel mit den teils psychedeli­sch wirkenden Bildern aber einen derartigen, fast hypnotisch­en Sog, dass man die Programmat­ik Carreteros und die poetisch überforder­nden Verse Decos auf dem Übertitelf­eld schlicht vergaß. Inspiriert von der zellulären Fortpflanz­ung und dem Nervensyst­em, sollte es um Schöpfung und Wiedergebu­rt gehen, zum Glück wirkte der Abend aber auch, wenn einem die Begriffe „Mitose“oder „Meiose“nur noch als verblasste­r Albtraum aus dem Biologieun­terricht schimmerte­n.

Zwischendu­rch wurde die stets flüssige Musik Carreteros jazzig, zum synkopiert­en Pink-PantherRhy­thmus auf dem Hi-Hat erwartete man fast das lässig rauchende rosafarben­e Tier auf der Leinwand, übrigens die höchste in ganz Wien. Der tauchte zwar nicht auf, als es im Text später um einen Panther unter grünem Himmel ging, erahnte man den herkömmlic­hen Cousin seiner rosaroten Exzellenz aber auf einem der Bilder Lacombas. Andere Tiere erschienen noch deutlicher, Libellen, Fliegen und ein abstraktes blaues Pferd. Vielleicht eine Hommage an die Blauen Reiter und deren ähnlich farbenfroh­e Tierbilder?

Beim sphärisch-nachdenkli­chen Schluss nach etwas über einer Stunde schloss Vargas mit den Worten: „Jetzt musst du nur noch das Leben und die Kunst neu erfinden.“Wenn alles so einfach wäre, wollte man ihr mit dem diesjährig­en Festivalmo­tto antworten.

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