Der rosarote Panther sieht grün
Alberto Carreteros Video-Oper „Renacer“im Odeon, auf der höchsten Leinwand der Stadt: zunächst eine ordentliche Dosis Reizüberflutung.
Eine hohe, etwas heruntergekommene Säulenhalle mit moderner Bühnentechnik, in der Mitte eine schmale, aber über neun Meter hohe Leinwand, auf der farbig-surreale Bewegtbilder ineinander übergehen, links davon ein Ensemble mit Dirigenten, rechts eine Sopranistin, zeitgenössische Musik: Dieses Setting würde man am ehesten wohl von der Avantgardeszene von Paris oder New York erwarten. Aber nein, Wien kann auch modern, zumindest zu Zeiten des gleichnamigen Festivals. Mit Alberto Carreteros „Renacer“im urigen Odeon fühlte man sich am Puls der Zeit.
Das Stück wird als Video-Oper angepriesen, tatsächlich verlieh Sopranistin Johanna Vargas dem Abend eine theatrale Note. Sie sang, hauchte, schmierte, zischte, deklamierte, mischte sogar ein wenig Obertongesang dazu und war mit ihrer Vielseitigkeit und Hingabe eine einzigartige Erscheinung. Begleitet wurde sie vom präzise musizierenden Ensemble Phace unter Nacho de Paz, von elektronischen Sounds, sowie von der Videokunst, die Miguel Alonso ausgehend aus Juan Lacombas farbprächtigen Bildern und eigenen Animationen entwarf. Zusammen mit dem dichten, schwer verständlichen Libretto von Fransisco Deco, das Vargas mit einer fast dekadent schönen Spanisch-Aussprache sang, sorgte das Gesamtkonzept zunächst für eine ordentliche Dosis Reizüberflutung.
Erinnerungen an Biologie
Nach einer Weile entwickelte die Musik im Zusammenspiel mit den teils psychedelisch wirkenden Bildern aber einen derartigen, fast hypnotischen Sog, dass man die Programmatik Carreteros und die poetisch überfordernden Verse Decos auf dem Übertitelfeld schlicht vergaß. Inspiriert von der zellulären Fortpflanzung und dem Nervensystem, sollte es um Schöpfung und Wiedergeburt gehen, zum Glück wirkte der Abend aber auch, wenn einem die Begriffe „Mitose“oder „Meiose“nur noch als verblasster Albtraum aus dem Biologieunterricht schimmerten.
Zwischendurch wurde die stets flüssige Musik Carreteros jazzig, zum synkopierten Pink-PantherRhythmus auf dem Hi-Hat erwartete man fast das lässig rauchende rosafarbene Tier auf der Leinwand, übrigens die höchste in ganz Wien. Der tauchte zwar nicht auf, als es im Text später um einen Panther unter grünem Himmel ging, erahnte man den herkömmlichen Cousin seiner rosaroten Exzellenz aber auf einem der Bilder Lacombas. Andere Tiere erschienen noch deutlicher, Libellen, Fliegen und ein abstraktes blaues Pferd. Vielleicht eine Hommage an die Blauen Reiter und deren ähnlich farbenfrohe Tierbilder?
Beim sphärisch-nachdenklichen Schluss nach etwas über einer Stunde schloss Vargas mit den Worten: „Jetzt musst du nur noch das Leben und die Kunst neu erfinden.“Wenn alles so einfach wäre, wollte man ihr mit dem diesjährigen Festivalmotto antworten.