Der Journalist – das nur allzu gut bekannte Wesen
Vom Paradox eines Berufs, über den alle alles zu wissen meinen. Ein Journalist hat einen Namen. Ein Paria, der ganz gut damit lebt.
Aufrichtigen Gruß an Rainer“, schrieb der Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“, Hubert Patterer, in seiner digitalen Morgennachricht, „an den fernen, nahen Kollegen, der sich und der Gnadenlosigkeit der Zeit zum Opfer fiel und um die Anteile weiß. Er wird heute 50. Es ist ihm viel zu wünschen.“Der Gruß ging an Rainer Nowak, einen der beiden Chefredakteure, die als Folge der Chat-Affäre zurückgetreten sind. Die noble Geste des Kollegen und Freundes, der den Rücktritt Nowaks als Erster für unvermeidlich erklärt hatte, lässt auch etwas von der Tragik eines solchen Falls ahnen.
Der spektakuläre Rücktritt der beiden prominenten Journalisten soll hier der Anlass zu einigen Bemerkungen über diesen Berufsstand sein, der neben dem des Politikers und des Schauspielers der „öffentliche“Beruf schlechthin ist. Jeder meint, die Journalisten zu kennen, und hat eine Meinung über sie. „Journalisten gibt’s genug“, schrieb ein Poster zu der Nachricht, dass zwei bekannte amerikanische Blogger nach Zerwürfnissen mit ihrem Medium ihren Blog einstellen mussten. Das ist die Entzauberung eines ganzen Berufsstandes, denn es gehört zu den selbstverständlichen Annahmen der Journalisten, dass jeder von ihnen ein besonderer ist und etwas kann, das nur er oder sie kann oder so kann. Ein Journalist hat einen Namen.
In der Branche kennt man das böse Wort von Karl Kraus: „Journalist ist jemand, der seinen Beruf verfehlt hat.“Man lacht gern über die hintergründige Dialektik des Bonmot, das Lachen bleibt einem aber im Hals stecken, und man geht schnell darüber hinweg, weil einem der „Beigeschmack von Wahrheit“(ebenfalls Karl Kraus) unangenehm ist. Es muss sich ja jeder selbst die Frage stellen, wie und warum er in diesen Beruf gekommen ist.
Es gibt im Journalismus keinen vorgezeichneten Weg zum Beruf wie beim Offizier, Lehrer, Arzt oder Beamten. Da geht einer in den Ferien nach der Matura anstatt auf einen langen Urlaub zu einem Praktikum in eine Zeitung. Er absolviert dann ein zeitlich sehr anspruchsvolles Studium, um die Erwartungen seiner Eltern zu erfüllen, die den Journalismus nicht für einen „richtigen“Beruf halten. Unterdessen sind die Eltern stolz auf ihn, denn er hat sich längst einen Namen als Kommentator gemacht.
Ein anderer, hochbegabt und ehrgeizig, hört ein paar Semester Theologie, merkt dann, dass er gescheiter ist als alle Professoren, lässt die Uni Uni sein und ist mit noch nicht 40 Chefredakteur eines Prestigeblattes. Ein Dritter
beendet zwar sein Studium, weiß aber nicht, was er damit anfangen soll, er hat sich aber Kontakte zu Politik und Medien geschaffen und stolpert über Umwege in den Journalismus hinein. Ein Vierter hat schon einen Beruf ausgeübt (nicht zufällig den des Lehrers) und bringt es ebenfalls ziemlich schnell zum Chefredakteur. Damit soll natürlich nichts gegen die zahlreichen Journalismus-Studiengänge gesagt sein, über die man heute diesen Beruf erlernen kann.
Ist der Ruf ruiniert. . .
Der Journalist gehört, wie Max Weber sagt, einer „Pariakaste“an, die in der Gesellschaft „stets nach ihren ethisch tief stehenden Repräsentanten eingeschätzt wird“. Sehr schnell merkt der Journalist aber, dass ihn das allgemein negative Urteil über seinen Berufsstand (Journalisten rangieren im öffentlichen Ansehen bekanntlich weit hinter Ärzten, Feuerwehrleuten, Polizisten und zwei Dutzend anderen honorigen Berufen) persönlich nicht betrifft. Um den alten Kalauer zu variieren: Ist der Ruf (des Standes) auch ruiniert, lebt es sich (für den Einzelnen) ganz ungeniert. Der Journalist wird mit ausgesuchter Zuvorkommenheit behandelt, wenn schon nicht aus Respekt, so doch aus Vorsicht.
Überall dabei zu sein und doch nicht dazuzugehören ist das Schicksal der Journalisten, es macht geradezu das Wesen ihres Berufs aus. Das mit Würde und Selbstbewusstsein zu tragen ist nicht ganz leicht. Der Journalist muss dabei sein, sonst weiß er nichts, und er muss auf Distanz bleiben, sonst kann er nichts schreiben, was ernst zu nehmen ist. Die Beziehung zwischen Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens gehört zum Heikelsten in diesem Beruf.
Michael Jungwirth von der „Kleinen Zeitung“hat das kürzlich sehr anschaulich beschrieben: „Unerlässlich ist der direkte Kontakt mit den handelnden Personen – beim Kaffee im Büro, im Rahmen eines Mittagessens, am Rande eines Empfangs, an der abendlichen Hotelbar im Zuge einer Dienstreise ins Ausland. Solche Treffen sind das Normalste der Welt. Ein gemeinsames privates Wochenende, selbst wenn man es selbst bezahlt – das geht gar nicht.“
Nicht durch Zufall kommt in Webers berühmtem Essay „Politik als Beruf“der Journalist als Komplementär des Politikers vor. Von geradezu einer „Symbiose“von Politikern und Journalisten hat der bekannte österreichische Journalist Kurt Vorhofer gesprochen, einer Angewiesenheit aufeinander, die aber gerade in Österreich stets in Gefahr ist, zur Verhaberung zu werden. Vorhofer hat auch eine bemerkenswerte Unterscheidung getroffen: Für den Politiker genüge ein „relativer Wahrheitsbegriff“, er dürfe ohne Weiteres auch Halbwahrheiten von sich geben. Für den Journalisten dagegen gelte ein „absoluter Wahrheitsbegriff“.
Die Qualitäten, die Weber nennt, werden auch im OnlineJournalismus gebraucht werden, der gerade die Machtverhältnisse zwischen Medien und Konsumenten umkehrt. Menschen, die früher das Publikum waren, verfügen inzwischen über die technischen Mittel, selbst Informationen zu verbreiten, was bisher das Monopol der Medienunternehmen gewesen ist. Die Werkzeuge des Journalismus stehen nun auch dem Publikum selbst zur Verfügung. Gleichzeitig haben die professionellen Journalisten aber auch gelernt, ebenfalls mit diesen neuen Mitteln umzugehen.
Bekannt geworden ist das Beispiel eines jungen Reporters der „New York Times“, der einen Artikel über die bekannte TV-Frühstücksschau „Good Morning, America“schreiben wollte. Er twitterte an seine Leser, sie sollten seinen ersten Entwurf kommentieren und verbessern, damit eine „richtig gute Geschichte daraus wird“. Man darf annehmen, der junge Mann ist draufgekommen, dass seine eigene Rolle unverzichtbar ist.
. . . lebt es sich ganz ungeniert
Auch wenn der Reporter Max Weber nicht gelesen hat, darf er für sich in Anspruch nehmen, was dieser über eine „wirklich gute journalistische Leistung“gesagt hat. Dass sie nämlich „mindestens so viel Geist beansprucht wie irgendeine Gelehrtenleistung – vor allem infolge der Notwendigkeit, sofort, auf Kommando, hervorgebracht zu werden“. Weber gesteht dem Journalisten auch ein Verantwortungsgefühl zu, das „nicht im Mindesten tiefer steht als das des Gelehrten“.
Journalisten können vor allem schreiben. Spezialisten werden sie dann vielleicht irgendwann im Laufe ihrer Karriere für irgendetwas. Chefredakteure sind definitionsgemäß Spezialisten für alles. Dieses Paradox macht die Journalisten unbeliebt und heimlich bewundert. Bedauern braucht man sie nicht, beneiden auch nicht.