„Ich hatte das nie geplant“
Alyona Malkowskaya dokumentiert den russischen Alltag zwischen Propaganda und Protest: Eine von vier Perspektiven auf den Ukraine-Krieg.
Am 24. Februar stand Alyona Malkowskaya den ganzen Tag unter Schock: Russland hatte die Ukraine angegriffen. Wie viele andere zog sie abends zum PuschkinPlatz in Moskau, um gegen einen sinnlosen Krieg zu protestieren. Wie immer dabei: ihre Kamera.
Die Bilder der spontanen Demonstration am Tag des Kriegsbeginns waren der Beginn einer Fotoserie, die Malkowskaya derzeit in der Galerie Hilger Next in der Brotfabrik in Wien zeigt. Obwohl sie diese Fotos eigentlich lieber nicht gemacht hätte.
Alyona Malkowskaya heißt nicht wirklich so: Die junge Frau stellt ihre Fotos aus Furcht vor Repressionen in ihrer russischen Heimat inzwischen unter Pseudonym aus. „95 Prozent meiner Freunde haben das Land schon verlassen“, erzählt sie. Sie kehrt nach der Ausstellungseröffnung in Wien trotz allem nach Moskau zurück: „Ich hätte das Gefühl, ich würde aufgeben.“Und: Die Opposition habe die Aufgabe, im Land zu bleiben – und zumindest unter der offiziellen Wahrnehmungsschwelle daran zu arbeiten, dass die russische Propaganda nicht die einzige Sichtweise auf diesen Krieg sei. Den man unter Wladimir Putin ja gar nicht so nennen darf.
Was sie mit ihren Bildern zeigt, ist der russische Alltag zwischen Propaganda, Militarisierung und vereinzeltem Protest: Jugendliche in sogenannten patriotischen Klubs, die Kirche der Streitkräfte in Moskau, wo Gläubige unter martialischen Bildern das Osterfest feiern, Kinder, die in einem Vergnügungspark mit Plastikpanzern spielen, die verlassenen Räumlichkeiten eines unabhängigen Fernsehsenders. Schlangen am Flughafen, wenige Tage nach dem Beginn des Krieges, und friedliche Demonstranten, die von der Polizei abgeführt werden – so wie rund 1700 Menschen allein am 24. Februar: Schnipsel aus einer Realität, die damit auch aus der Entfernung nachvollziehbar wird.
Erforschung der Propaganda
„Ich hatte nie geplant, solche Bilder zu machen“, sagt Malkowskaya. „Aber ich hatte das Gefühl, dass es bei dieser Tragödie keine andere Wahl gab.“Sie arbeitet lang als Dokumentarfotografin, hat nie nachrichtlich gearbeitet, sondern eher lange Serien zu verschiedensten Sujets gemacht, mehr will sie zu ihrem Schutz nicht sagen. „Am Anfang dachte ich: Das kann doch nicht sein, das ist so absurd, das muss doch bald wieder vorbei sein. Aber weil es sich so lang gezogen hat, wurde es zu einer Erforschung dessen, wie Propaganda funktioniert, was die Menschen dazu bringt, das zu glauben.“
Ihre Fotoserie wird in Wien neben den Bildern von drei anderen Fotografen ausgestellt, die verschiedene Perspektiven auf den Krieg gegen die Ukraine zeigen: Viktoria Iwlewa hat die Ukraine im Kriegszustand fotografiert, in Kiew, Butscha oder Charkiw, Sergei Stroitelew hat Geflüchtete in der Republik Moldau porträtiert. Und Pavel Mirno – dessen Name aus Sicherheitsgründen ebenfalls geändert wurde – hat sich wie Alyona Malkowskaya mit der Realität im heutigen Russland befasst. „Nach dem ersten Kriegsmonat (. . .) kehrte das Bewusstsein allmählich zurück, und ich beschloss zu fotografieren, was heute in Russland geschieht, während im Nachbarland Krieg herrscht.“
Ausgewählt hat die Fotografen Kurator Alexander Sorkin, selbst Fotograf, der lange Zeit zusammen mit dem auf Menschenrechte fokussierten Sacharow-Zentrum in Moskau Fotowettbewerbe organisiert hat. Seit er Anfang März in Moskau verhaftet wurde – bei der Niederlegung von Blumen für den ermordeten Kreml-Kritiker Boris Nemzow, ein Protest, der von Malkowskaya fotografisch festgehalten wurde – lebt er in Tel Aviv im Exil. „Ich brauche nicht noch einmal Totalitarismus“, sagt er, der in der Sowjetunion aufgewachsen ist. Die Fotoschau soll dokumentieren und aufklären – und nicht zuletzt zeigen, dass die Haltung zum Krieg nichts mit der Nationalität zu tun hat.
Malkowskaya hat für den Krieg nur ein Wort: „Fürchterlich.“Zurück in Moskau wird sie weiter fotografieren. Ob sie ihre Bilder in Russland überhaupt zeigen könnte? „Kommt darauf an, mit welchen Untertiteln.“