Wir führen einen komischen Krieg ums Klima
Dramatische Klima-Appelle mobilisieren nicht, sondern langweilen und lähmen nur. Was tun? Kurz vor seinem Tod hat der Vordenker Bruno Latour in einem „Memorandum“für eine neue „ökologische Klasse“getrommelt.
Ein komischer Krieg: Nach dem Überfall Hitlers auf Polen hatte Frankreich Nazi-Deutschland den Krieg erklärt. Die Katastrophe drohte nicht nur, ihr Eintreten war fast sicher – aber acht Monate blieb es an der Westfront ruhig. Nichts passierte. Als ähnliche „drôle de guerre“, nur „endlos verlängert“, sah Bruno Latour die Klimakrise. In diesem „trügerischen Frieden“lösen zwar erfolglose Klimakonferenzen und dramatische Befunde des Weltklimarats „exaltierte Reaktionen“aus: „Marschieren wir, bevor es zu spät ist“, aber „wie in der Oper versetzen die Kriegsgesänge die Chöre nur um wenige Meter. ,Alles muss sich radikal ändern‘ – und nichts verändert sich.“
Am 9. Oktober ist der französische Soziologe und Philosoph mit 75 Jahren gestorben. Im Jänner erschien sein letztes Werk, nun liegt es auf Deutsch vor: „Zur Entstehung einer ökologischen Klasse“, ein „Memorandum“, das er zusammen mit dem jungen, sonst unbekannten dänischen Soziologen Nikolaj Schultz verfasst hat. Eine Art Vermächtnis also. Was gibt uns dieser zugleich populäre und sperrige, einflussreiche und umstrittene Vordenker mit auf den Weg?
Vor allem eine pointierte Beschreibung unserer Befindlichkeit: „Bis zum Überdruss“ist von „radikaler Transformation und Kollaps die Rede“, mit dem paradoxen Effekt, die Menschen „in Panik zu versetzen und gleichzeitig zum Gähnen zu bringen“. Junge Aktivisten „stürzen sich in die trübsten Leidenschaften: Klagen und Proteste“, was „eher zu lähmen“scheint. Alle sind „zugleich Opfer und Komplizen“. Und was bleibt, sind „Schuldgefühle und Ohnmacht“.
Aus „Vorwärts“wird „Alles zurück“
Wie kann das sein? Auch in der Analyse zeigt Latour noch einmal seine Stärken: Wir Menschen sind sonst ungemein eifrig darin, „beim geringsten Alarmzeichen schnell zu reagieren“(das zeigte sich bei Corona). Aber bisher war die Richtung, war der Marschbefehl klar: Vorwärts in den Fortschritt! Wir lassen uns von Werten mobilisieren: Wohlstand, Emanzipation, Freiheit. Wir sind voll Energie, wenn es darum geht, „die Produktion
zu erhöhen“und die dabei entstehenden Reichtümer „weniger ungerecht zu verteilen“. Wie sollen Klimastreiter unter einem solchen Paradigma die Massen mobilisieren, wenn sie „den Fortschritt in Zweifel ziehen“, ja als „Wahnwitz“sehen, „der abgestellt werden müsste“? In unseren überkommenen Denkformen können sie sich mit einer einschränkenden, „strafenden Ökologie“nur „marginalisieren“. Mit dem Kommando „Alles zurück“lässt sich nichts assoziieren, „was irgendwie Begeisterung auslösen könnte“. Engagierte Jugendliche betrachten (wohl erstmals in der Geschichte) ihre Eltern und Großeltern „als verwöhnte und unreife Teenies“. Wenn sie sich aber an den Staat wenden, „sprechen Stumme zu Tauben“.
Freilich lief das mit dem Fortschritt bisher nur deshalb so glatt, weil wir auf eine „stabile, vorhersehbare Welt zählen konnten“, was „ungemein beruhigend war“. Die Gefahr kam meist nur von anderen Menschen, und die kann ich einschätzen, sie sind ja wie ich. Die Natur da draußen war nur Lieferantin von Ressourcen. Damit ist es vorbei. Wir erkennen, dass auch Wetter, Tiere, Pflanzen „Akteure“sind, mit denen wir ständig wechselwirken, auf Gedeih und Verderb – Latours großes, lebenslanges Thema. Aber welche Ideen hat er am Ende daraus geschöpft?
Nicht viel mehr als Kalendersprüche für Transparente: „Natur ist kein Opfer mehr, das es zu schützen gilt. Sie besitzt uns.“Also predigt uns dieser Anti-Elon-Musk, wir sollen „dem Drang widerstehen, Grenzen zu überwinden“, weil es darum gehe, „innerhalb der Grenzen des Systems Erde zu bleiben“. Schön. Aber was heißt das konkret? Was unterscheidet das böse Wachstum von guter „Prosperität“? Was übles „Produzieren“vom edlen „Erzeugen“, das sich um den „Fortbestand der Wesen“sorgt, „von denen die Bewohnbarkeit der Erde abhängt“? Und wenn die „neu definierte“Autonomie von nun an bedeutet: „Je stärker wir abhängen, desto besser“– was bleibt da noch von ihr? Das alles hat uns Latour nicht mehr verraten.
Aber seine gelassene Ironie ist zuletzt einer grimmigen Ungeduld gewichen. Während Aktivisten Gemälde mit Farbe bewerfen, greift der Soziologe zur rostigen Waffe des Klassenkampfs. Rasch müsse nun eine „ökologische Klasse“her. Sie wäre, wie der dritte Stand am Ende der Feudalherrschaft, „ein Nichts mit dem Anspruch, das Ganze zu sein“. Als „Schlüsselklasse“solle sie den „Kampf gegen die Produktion“aufnehmen und „riesige Opfer“durchsetzen. Statt der Diktatur des Proletariats nun die Ökodiktatur? Das grobe Schlagwort drängt sich auf.
Die Gelbwesten hat er nicht gefragt
Latour stellt die Empirie auf den Kopf, wenn er behauptet, ökologische Sensibilität sei nicht Sache „gut ausgebildeter Wohlstandsbürger“, sondern der „einfachen Leute“, die „immer schon Widerstand geleistet“hätten gegen den „Widersinn der Ökonomisierung“. Französische Gelbwesten und polnische Kohlekumpel hat er dazu nicht befragt.
So lässt uns der gefeierte Zusammenschauer der verwobenen Systeme von Mensch und Natur mit ein paar starken, aber losen Fäden zurück. Und einem Bild von Ambrogio Lorenzetti: der „Allegorie der guten Regierung“, einem FrührenaissanceFresko in Siena, wo sich alles noch schön zusammenfügt – Handel und Kunst, Bauten und Landschaft, rurales und urbanes Leben. Wehmütige Reminiszenz? Tröstliche Aussichten? Trotz manchen Anflugs von Verzweiflung: Ein Optimist ist Latour bis zum Ende geblieben. Also hoffen wir mit ihm.