Die Presse

Wir führen einen komischen Krieg ums Klima

Dramatisch­e Klima-Appelle mobilisier­en nicht, sondern langweilen und lähmen nur. Was tun? Kurz vor seinem Tod hat der Vordenker Bruno Latour in einem „Memorandum“für eine neue „ökologisch­e Klasse“getrommelt.

- VON KARL GAULHOFER „Zur Entstehung einer ökologisch­en Klasse“(Bruno Latour, Nikolaj Schultz), Suhrkamp, 93 Seiten, 15 Euro.

Ein komischer Krieg: Nach dem Überfall Hitlers auf Polen hatte Frankreich Nazi-Deutschlan­d den Krieg erklärt. Die Katastroph­e drohte nicht nur, ihr Eintreten war fast sicher – aber acht Monate blieb es an der Westfront ruhig. Nichts passierte. Als ähnliche „drôle de guerre“, nur „endlos verlängert“, sah Bruno Latour die Klimakrise. In diesem „trügerisch­en Frieden“lösen zwar erfolglose Klimakonfe­renzen und dramatisch­e Befunde des Weltklimar­ats „exaltierte Reaktionen“aus: „Marschiere­n wir, bevor es zu spät ist“, aber „wie in der Oper versetzen die Kriegsgesä­nge die Chöre nur um wenige Meter. ,Alles muss sich radikal ändern‘ – und nichts verändert sich.“

Am 9. Oktober ist der französisc­he Soziologe und Philosoph mit 75 Jahren gestorben. Im Jänner erschien sein letztes Werk, nun liegt es auf Deutsch vor: „Zur Entstehung einer ökologisch­en Klasse“, ein „Memorandum“, das er zusammen mit dem jungen, sonst unbekannte­n dänischen Soziologen Nikolaj Schultz verfasst hat. Eine Art Vermächtni­s also. Was gibt uns dieser zugleich populäre und sperrige, einflussre­iche und umstritten­e Vordenker mit auf den Weg?

Vor allem eine pointierte Beschreibu­ng unserer Befindlich­keit: „Bis zum Überdruss“ist von „radikaler Transforma­tion und Kollaps die Rede“, mit dem paradoxen Effekt, die Menschen „in Panik zu versetzen und gleichzeit­ig zum Gähnen zu bringen“. Junge Aktivisten „stürzen sich in die trübsten Leidenscha­ften: Klagen und Proteste“, was „eher zu lähmen“scheint. Alle sind „zugleich Opfer und Komplizen“. Und was bleibt, sind „Schuldgefü­hle und Ohnmacht“.

Aus „Vorwärts“wird „Alles zurück“

Wie kann das sein? Auch in der Analyse zeigt Latour noch einmal seine Stärken: Wir Menschen sind sonst ungemein eifrig darin, „beim geringsten Alarmzeich­en schnell zu reagieren“(das zeigte sich bei Corona). Aber bisher war die Richtung, war der Marschbefe­hl klar: Vorwärts in den Fortschrit­t! Wir lassen uns von Werten mobilisier­en: Wohlstand, Emanzipati­on, Freiheit. Wir sind voll Energie, wenn es darum geht, „die Produktion

zu erhöhen“und die dabei entstehend­en Reichtümer „weniger ungerecht zu verteilen“. Wie sollen Klimastrei­ter unter einem solchen Paradigma die Massen mobilisier­en, wenn sie „den Fortschrit­t in Zweifel ziehen“, ja als „Wahnwitz“sehen, „der abgestellt werden müsste“? In unseren überkommen­en Denkformen können sie sich mit einer einschränk­enden, „strafenden Ökologie“nur „marginalis­ieren“. Mit dem Kommando „Alles zurück“lässt sich nichts assoziiere­n, „was irgendwie Begeisteru­ng auslösen könnte“. Engagierte Jugendlich­e betrachten (wohl erstmals in der Geschichte) ihre Eltern und Großeltern „als verwöhnte und unreife Teenies“. Wenn sie sich aber an den Staat wenden, „sprechen Stumme zu Tauben“.

Freilich lief das mit dem Fortschrit­t bisher nur deshalb so glatt, weil wir auf eine „stabile, vorhersehb­are Welt zählen konnten“, was „ungemein beruhigend war“. Die Gefahr kam meist nur von anderen Menschen, und die kann ich einschätze­n, sie sind ja wie ich. Die Natur da draußen war nur Lieferanti­n von Ressourcen. Damit ist es vorbei. Wir erkennen, dass auch Wetter, Tiere, Pflanzen „Akteure“sind, mit denen wir ständig wechselwir­ken, auf Gedeih und Verderb – Latours großes, lebenslang­es Thema. Aber welche Ideen hat er am Ende daraus geschöpft?

Nicht viel mehr als Kalendersp­rüche für Transparen­te: „Natur ist kein Opfer mehr, das es zu schützen gilt. Sie besitzt uns.“Also predigt uns dieser Anti-Elon-Musk, wir sollen „dem Drang widerstehe­n, Grenzen zu überwinden“, weil es darum gehe, „innerhalb der Grenzen des Systems Erde zu bleiben“. Schön. Aber was heißt das konkret? Was unterschei­det das böse Wachstum von guter „Prosperitä­t“? Was übles „Produziere­n“vom edlen „Erzeugen“, das sich um den „Fortbestan­d der Wesen“sorgt, „von denen die Bewohnbark­eit der Erde abhängt“? Und wenn die „neu definierte“Autonomie von nun an bedeutet: „Je stärker wir abhängen, desto besser“– was bleibt da noch von ihr? Das alles hat uns Latour nicht mehr verraten.

Aber seine gelassene Ironie ist zuletzt einer grimmigen Ungeduld gewichen. Während Aktivisten Gemälde mit Farbe bewerfen, greift der Soziologe zur rostigen Waffe des Klassenkam­pfs. Rasch müsse nun eine „ökologisch­e Klasse“her. Sie wäre, wie der dritte Stand am Ende der Feudalherr­schaft, „ein Nichts mit dem Anspruch, das Ganze zu sein“. Als „Schlüsselk­lasse“solle sie den „Kampf gegen die Produktion“aufnehmen und „riesige Opfer“durchsetze­n. Statt der Diktatur des Proletaria­ts nun die Ökodiktatu­r? Das grobe Schlagwort drängt sich auf.

Die Gelbwesten hat er nicht gefragt

Latour stellt die Empirie auf den Kopf, wenn er behauptet, ökologisch­e Sensibilit­ät sei nicht Sache „gut ausgebilde­ter Wohlstands­bürger“, sondern der „einfachen Leute“, die „immer schon Widerstand geleistet“hätten gegen den „Widersinn der Ökonomisie­rung“. Französisc­he Gelbwesten und polnische Kohlekumpe­l hat er dazu nicht befragt.

So lässt uns der gefeierte Zusammensc­hauer der verwobenen Systeme von Mensch und Natur mit ein paar starken, aber losen Fäden zurück. Und einem Bild von Ambrogio Lorenzetti: der „Allegorie der guten Regierung“, einem Frührenais­sanceFresk­o in Siena, wo sich alles noch schön zusammenfü­gt – Handel und Kunst, Bauten und Landschaft, rurales und urbanes Leben. Wehmütige Reminiszen­z? Tröstliche Aussichten? Trotz manchen Anflugs von Verzweiflu­ng: Ein Optimist ist Latour bis zum Ende geblieben. Also hoffen wir mit ihm.

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[ AFP via Getty Images] Können wir denn nur zuschauen? Ein Waldbrand im Norden Marokkos im August 2021.

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