Lauschen ohne Leiden
Album. Jenny und John Jürgens legen mit „Da Capo“eine hochinteressante Zusammenstellung von Udo-Jürgens-Raritäten vor. Zeitlos und vielschichtig.
Ein blauer Planet im Sternschnuppenfall, der sich selbst zerstört“, sang Udo Jürgens eindringlich. Seine Stimme geisterte überzeugend zwischen funky Bläsersätzen und opulenten Streichern herum.
„Atlantis sind wir“hieß das Lied, das die Zerrissenheit des Menschen anschaulich machte. Dieses ÖkoChanson mit existenzphilosophischer Note ist eines von 61 Liedern der am Freitag (16. 12.) erscheinenden Kompilation „Da Capo – Stationen einer Weltkarriere“. Bedachtsam verteilt auf drei CDs, zeichnet diese von Jenny und John Jürgens kuratierte Kompilation ein ebenso unterhaltsames wie nachdenklich machendes Bild des vielschichtigen Werks ihres Vaters, Udo.
„Das Besondere an seinen Liedern ist, dass sie zeitlos sind. Sie erreichen die Menschen über Jahrzehnte. So eine Nummer wie ,Atlantis sind wir‘, die nichts von ihrer Aktualität verloren hat“, führt Jenny Jürgens aus. „Viele Lieder haben so eine Brisanz, dass sie klingen, als würden sie aktuelle Geschehnisse kommentieren“, sagt John Jürgens.
Am 21. Dezember wird es acht Jahre, dass der größte Popchansonnier des deutschen Sprachraums diese Welt verlassen hat. Hören Jenny und John heute, als Mittfünfziger, die Lieder, die sie größtenteils seit ihrer Kindheit kennen, mit anderen Ohren? Jenny: „Ich glaube schon, dass es so ist. Der Abschied, der Tod von Udo, hat schon einiges gemacht mit uns. Ich höre seine Musik heute intensiver. In den Texten finde ich mich auf andere Weise wieder als früher.“
Auch John schätzt heute Lieder, die er früher nicht auf dem Schirm hatte. „Es gab eine rebellische Jugendphase bei mir, da habe ich mir seine Sachen nicht aufgelegt. Udo hat seine eigene Musik auch nicht zu Hause gehört. Wenn er ausgegangen ist, wollte er nichts von sich hören. Wenn er in Clubs oder Bars kam, spielten DJs oft ein Lied von ihm, wenn sie ihn sahen. Das mochte er gar nicht.“
Keine Jürgens-Songs auf der Party
John war auch lange Zeit als DJ in München zugange. Da lag es nahe, ihn zur Party zum 70. Geburtstag seines Vaters in Berlin zu engagieren. Was den lang gedienten Schlager-TV-Moderator Dieter Thomas Heck ein wenig nervös machte. „Entschuldigen Sie mal, das ist doch der Geburtstag von Udo Jürgens. Da muss man doch ein
paar Udo-Jürgens-Lieder spielen“, meinte er etwas rau. John konterte: ,Lieber Herr Heck, bei allem Respekt, das wäre das Letzte, was Udo hören will. Und ich weiß das, denn ich bin sein Sohn.‘ Da hat er mich nur noch angestarrt. Papa wollte Diana Ross, Barry White und Earth, Wind & Fire hören. Nicht, dass seine Sachen nicht cool waren, aber er wollte nicht die eigene Mucke hören.“
Dass sie privilegiert aufwuchsen, war Jenny und John Jürgens immer klar. Aber ganz ohne Schrammen lief diese Bilderbuchkindheit wohl auch nicht ab. Die häufige Abwesenheit des Vaters hinterließ sicher Spuren. Jenny Jürgens relativiert: „Wir wohnten in tollen Häusern und hatten tolle Eltern, die uns geliebt haben. Inwieweit uns seine zeitweilige Abwesenheit geprägt hat, ist schwer zu sagen. Aber als großen Schaden nehme ich das nicht wahr.“
AUF EINEN BLICK
Jenny Jürgens, Jahrgang 1967, und John Jürgens, Jahrgang 1964, sind die Kinder des 2014 verstorbenen Sängers Udo Jürgens. Das von ihnen zusammengestellte Album „Udo Jürgens Da Capo – Stationen einer Weltkarriere“(Sony Music) erscheint am Freitag.
Udo Jürgens förderte die beiden, so gut er konnte. Mit Jenny nahm er das zärtliche Duett „Liebe ohne Leiden“auf, das auf dem neuen Album in einer Fernseh-Live-Version von Hannover zu hören ist. „Was den Auftritt anlangt, so erinnere ich mich natürlich an meine große Nervosität. Papa hat versucht, mir das, so weit wie möglich, zu nehmen. Er hat mir in die Augen geguckt, damit ich nicht ins Publikum schaue. Wenn ich mir das Video ansehe, ich weiß nicht: zwei Liter Haarspray und immer dieser Blick nach unten.“
Professionelle Sängerin wollte sie jedenfalls nicht werden. „Dieser Platz war in der Familie schon besetzt.“Mit John zog Udo auch lieber um die Häuser, als dass er ihn ins Studio leitete. Wohl wissend, was für einen Tribut so ein Singer-Songwriter-Leben fordert.
Als DJ versteht er sich auf die Dramaturgie, darauf, Lieder in eine Reihung zu bringen, die ein neues Hören ermöglicht. Das versuchte er auch bei „Da Capo“. Es gibt einiges an Ungehörtem aus der frühen Jazz-Zeit und wunderbare Live-Versionen, die bislang nicht digital feil waren. Jenny und John sind zu Recht euphorisch, was das Album anlangt. „Es ist ein neuer Anfang. Jetzt stehen wir in der Verantwortung, sein Werk so zu pflegen, dass er sagen würde: ,Wow, Kinder!‘“