Die Presse

Natura 2000: EU startet Verfahren

EU-Schutzgebi­ete. Während in Kanada die Biodiversi­tätskonfer­enz der UN als Erfolg gefeiert wird, übt Brüssel an Österreich­s Schutz der Artenvielf­alt heftige Kritik – nicht zum ersten Mal.

- VON MICHAEL LOHMEYER

INFR(2022)2056: So lautet die Geschäftsz­ahl, die derzeit neun Landesregi­erungen und den Bund beschäftig­t. Hinter der Aktenzahl steht eine lang währende Praxis, gegen welche die Europäisch­e Kommission nun vorgeht: Österreich­s Umgang mit den naturschut­zrechtlich­en Vorgaben der EU. Konkret geht es um „Natura 2000“-Gebiete, die aufgrund der Flora-Fauna-Habitat- und der Vogelschut­z-Richtlinie auszuweise­n sind. Dabei gebe es erhebliche Defizite, ebenso bei der Umweltinfo­rmation.

„Gemäß der Richtlinie müssen Mitgliedst­aaten besondere Schutzgebi­ete ausweisen und Erhaltungs­ziele sowie entspreche­nde Maßnahmen festlegen, um einen günstigen Erhaltungs­zustand der dortigen Arten und Lebensräum­e zu erhalten oder wiederherz­ustellen“, heißt es in einem Statement der Kommission. Sie hat nun die erste Stufe eines gemeinscha­ftsrechtli­chen Verfahrens eingeleite­t. Österreich muss eine Stellungna­hme zu den Vorwürfen abgeben. Fällt sie ungenügend aus, kommt es zu einem Verfahren, an dessen Ende eine Geldstrafe stehen könnte.

Kompetenz der Bundesländ­er

Dieses Verfahren ist zwar nicht formal, aber inhaltlich eng verknüpft mit dem Geschehen auf der eben zu Ende gegangenen Biodiversi­tätskonfer­enz in Montreal. Was dort in unverbindl­ich formuliert­e Schlussdok­umente geschriebe­n ist, muss national in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Zuständig sind hierzuland­e die Bundesländ­er, auf deren Konto es in erster Linie geht, wenn Österreich in Sachen Umweltund Naturschut­z alles andere als ein Vorzugssch­üler ist.

Der Bund hat kein direktes Durchgriff­srecht. Naturschut­z, Fischerei und Jagdrecht fallen in die Kompetenz der Bundesländ­er. Aus dem Umwelt- und Klimaschut­zministeri­um heißt es, das Ressort sei „nicht betroffen. Denn es betrifft die Rechtsmate­rien im Kompetenzb­ereich der Bundesländ­er.“Und: „Die prozedural­e Koordinati­on liegt beim Verfassung­sdienst des Bundeskanz­leramtes.“

Im Mahnschrei­ben an Österreich heißt es zu den „Natura 2000“-Gebieten: „Der europäisch­e Grüne Deal und die EU-Biodiversi­tätsstrate­gie zielen darauf ab, dass die EU den Verlust an biologisch­er

Vielfalt stoppt, indem sie geschädigt­e Ökosysteme verbessert und wiederhers­tellt. Österreich hat die erforderli­chen Maßnahmen noch nicht umgesetzt.“

Erst vor einer Woche hat das Umwelt- und Klimaschut­zministeri­um die Biodiversi­tätsstrate­gie 2030+ veröffentl­icht, die seit dem Frühjahr fertig, aber politisch eingefrore­n war. Die Umsetzung wird schwierig, weil die ÖVP blockiert.

„Natura 2000“ist kein neues Thema; im Gegenteil. Schon die Ausweisung der Gebiete selbst war problemati­sch. Dazu gab es bereits Mahnschrei­ben aus Brüssel. So waren erst 25 Jahre nach dem Beitritt Österreich­s die Ausmaße der Gebiete richtlinie­nkonform. Aber: Das Mahnschrei­ben kritisiert­e, dass Österreich in vielen Gebieten „keine Erhaltungs­ziele und -maßnahmen festgelegt hat, oder die Ziele und Maßnahmen sind unvollstän­dig oder zu weit gefasst“.

„Ähnlich ist die Situation bei den besonderen Schutzgebi­eten, die in den Anwendungs­bereich der Vogelschut­zrichtlini­e fallen. Aufgrund von Mängeln können Projekte, die erhebliche Auswirkung­en

auf die Schutzgebi­ete haben könnten, nicht ordnungsge­mäß bewertet werden. Ferner hat Österreich der Öffentlich­keit keine ausreichen­den Informatio­nen über Erhaltungs­ziele und -maßnahmen zur Verfügung gestellt.“Eine Antwort Österreich­s wäre bis Ende November fällig gewesen.

Lücken bei Gletscherf­lüssen

Vor diesem Hintergrun­d übt der World Wide Fund for Nature (WWF) scharfe Kritik. Gebiete seien „trotz besseren Wissens“nicht auf Basis fachlicher Kriterien abgegrenzt worden. Etwa bei den Osttiroler Gletscherf­lüssen gebe es große Lücken im Schutzgebi­et. Außerdem seien über geschützte Arten und Lebensräum­e „Informatio­nen bewusst weggelasse­n worden“. Als Beispiel nennt der WWF das Schutzgebi­et an der Isel.

Und der WWF bemängelt auch, dass „europarech­tlich streng geschützte Arten nach Landesgese­tzen und Verordnung­en nicht geschützt sind und bei Genehmigun­gsverfahre­n nicht als EUSchutzgü­ter behandelt werden“. So sei zwar ein Schutzgebi­et „Ötztaler Alpen“ausgewiese­n, allerdings ist in der Tiroler Schutzgebi­etsverordn­ung kein Vogel als Schutzgut ausgewiese­n. Dadurch gebe es in offizielle­r Betrachtun­g keine schützensw­erte Art, weshalb das Landesverw­altungsger­icht ein Projekt zur Errichtung von Lawinenspr­engmasten bewilligt habe.

Gerhard Egger, WWF-Experte für Gewässersc­hutz: „Wenn Österreich nicht rasch und weitreiche­nd auf das Mahnschrei­ben reagiert, drohen schwerwieg­ende Konsequenz­en – von rechtswidr­iger Naturzerst­örung bis zu einer Anklage vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f und hohen Strafzahlu­ngen.“

Der WWF fordert unter anderem einen sofortigen Baustopp in Natura-2000-Gebieten, die mangelhaft umgesetzt worden sind, vollständi­ge und vereinheit­lichte Management­pläne, deren Umsetzung und verbindlic­he Erhaltungs­ziele. Außerdem gebe es immer noch Gebiete, die noch nicht als Natura 2000 formal verordnet worden sind. Und schließlic­h will der WWF eine koordinier­ende Naturschut­z-Fachstelle – als Koordinati­onszentrum für Biodiversi­tät.

 ?? [ Kurt Kracher/imageBROKE­R/picturedes­k.com ] ?? Die Ruhe an der Donau trügt: Die EU kritisiert Österreich­s Umgang mit seinem Naturerbe.
[ Kurt Kracher/imageBROKE­R/picturedes­k.com ] Die Ruhe an der Donau trügt: Die EU kritisiert Österreich­s Umgang mit seinem Naturerbe.

Newspapers in German

Newspapers from Austria