Weltsport Nummer eins am Scheideweg
Katar hätte eine Zäsur sein können. Stattdessen nimmt das Milliardengeschäft jetzt erst so richtig Fahrt auf.
Die einzigen Akteure, die das System kippen könnten, schweigen noch.
Noch nie bekam der Fußball so viel Gegenwind zu spüren wie in den vergangenen Wochen. Freilich, Katar 2022 hatte sein sportliches Happy End, ein Jahrhundertfinale mit dem am Ende richtigen Weltmeister. Doch mit dem arabischen Bischt über Messis Siegertrikot war die Empörung schnell wieder zurück. Dieser WM-Titel, er wurde gewonnen in einem Land, in dem Menschenrechte nur eine Meinung sind, in Stadien, die von unterdrückten Gastarbeitern erbaut wurden, und er wurde übergeben von einem Fifa-Präsidenten, der als Inbegriff der Korruption gilt.
Der Befund nach so einem Gipfel des Sportwashings ist eindeutig: Der Spitzenfußball hat sich von seinen Fans entkoppelt. Ob mit einer WM im Fußball-Zwergstaat Katar, dem Vormarsch der Golfstaaten in den europäischen Topligen, den astronomischen Transfersummen, den unerschwinglichen Ticketpreisen und den enormen Lizenzkosten, die das PayTV an die Konsumenten weitergibt.
Widerstand gibt es, aber nur im Kleinen. Wenn etwa der deutsche Frauenfußball Besucherrekorde vermeldet, weil viele Fans lieber dorthin pilgern als bei der Katar-WM zuzuschauen. Oder wenn Anhänger eines niederländischen Profiklubs die Übernahme ihres Vereins durch Investoren aus Abu Dhabi verhindern.
Im Großen aber wird die Blase weiter angeheizt. Mit Messi und Mbappé stehen der alte und der neue Superstar längst bei Paris Saint-Germain in Diensten katarischer Klubbosse. Gegen die von den Staatsfonds aus dem Nahen Osten alimentierte Konkurrenz sind sogar die milliardenschweren US-Sportunternehmer chancenlos, sie bieten bereits ihre Aushängeschilder Liverpool und Manchester United zum Verkauf. Und angestachelt von der WM beim kleinen Nachbarn Katar rüstet Saudiarabien auf. Einen Premier-League-Klub besitzt das Königreich neuerdings (Newcastle United), nun soll die FußballWM 2030 ins Land gelotst werden.
Aufzuhalten ist dieses Spiel nicht mehr, auch Katar 2022 wird keine Zäsur bedeuten. Denn die einzigen Akteure, die das gegenwärtige System kippen könnten, haben noch kein Interesse daran und schweigen.
Zum einen sind das die mächtigen Broadcaster wie Fox oder BeIN Sports und Sponsoren wie Coca-Cola, Adidas, Wanda oder Visa. Sie kommen für 95 Prozent der 7,25 Milliarden Euro auf, die der Weltverband Fifa allein aus der Vermarktung der WM 2022 einnimmt. Mit ihren Scheckbüchern sind sie der wahre Machtfaktor.
Doch es gibt noch einen anderen: die Spieler. Auch sie müssten sich gegen ein System stellen, das sie selbst, ihre Berater und Klubs immer reicher macht. Und all das ohne Rückendeckung, weil sogar ihre Politiker die Repräsentanten dieses Systems hofieren. Aber anders als Politiker sind Fußballstars Idole – woraus sich ebenfalls Verantwortung ergibt. Deshalb haben auch sie in Katar die Chance für einen Neuanfang vergeben. Stattdessen wird das Milliardengeschäft mit dem Weltsport Nummer eins nun erst so richtig Fahrt aufnehmen – während der Fußball selbst in seiner Nachspielzeit angekommen ist. Und diese war in Katar bekanntlich so lang wie noch nie.