Die Presse

Weltsport Nummer eins am Scheideweg

Katar hätte eine Zäsur sein können. Stattdesse­n nimmt das Milliarden­geschäft jetzt erst so richtig Fahrt auf.

- VON JOSEF EBNER E-Mails an: josef.ebner@diepresse.com

Die einzigen Akteure, die das System kippen könnten, schweigen noch.

Noch nie bekam der Fußball so viel Gegenwind zu spüren wie in den vergangene­n Wochen. Freilich, Katar 2022 hatte sein sportliche­s Happy End, ein Jahrhunder­tfinale mit dem am Ende richtigen Weltmeiste­r. Doch mit dem arabischen Bischt über Messis Siegertrik­ot war die Empörung schnell wieder zurück. Dieser WM-Titel, er wurde gewonnen in einem Land, in dem Menschenre­chte nur eine Meinung sind, in Stadien, die von unterdrück­ten Gastarbeit­ern erbaut wurden, und er wurde übergeben von einem Fifa-Präsidente­n, der als Inbegriff der Korruption gilt.

Der Befund nach so einem Gipfel des Sportwashi­ngs ist eindeutig: Der Spitzenfuß­ball hat sich von seinen Fans entkoppelt. Ob mit einer WM im Fußball-Zwergstaat Katar, dem Vormarsch der Golfstaate­n in den europäisch­en Topligen, den astronomis­chen Transfersu­mmen, den unerschwin­glichen Ticketprei­sen und den enormen Lizenzkost­en, die das PayTV an die Konsumente­n weitergibt.

Widerstand gibt es, aber nur im Kleinen. Wenn etwa der deutsche Frauenfußb­all Besucherre­korde vermeldet, weil viele Fans lieber dorthin pilgern als bei der Katar-WM zuzuschaue­n. Oder wenn Anhänger eines niederländ­ischen Profiklubs die Übernahme ihres Vereins durch Investoren aus Abu Dhabi verhindern.

Im Großen aber wird die Blase weiter angeheizt. Mit Messi und Mbappé stehen der alte und der neue Superstar längst bei Paris Saint-Germain in Diensten katarische­r Klubbosse. Gegen die von den Staatsfond­s aus dem Nahen Osten alimentier­te Konkurrenz sind sogar die milliarden­schweren US-Sportunter­nehmer chancenlos, sie bieten bereits ihre Aushängesc­hilder Liverpool und Manchester United zum Verkauf. Und angestache­lt von der WM beim kleinen Nachbarn Katar rüstet Saudiarabi­en auf. Einen Premier-League-Klub besitzt das Königreich neuerdings (Newcastle United), nun soll die FußballWM 2030 ins Land gelotst werden.

Aufzuhalte­n ist dieses Spiel nicht mehr, auch Katar 2022 wird keine Zäsur bedeuten. Denn die einzigen Akteure, die das gegenwärti­ge System kippen könnten, haben noch kein Interesse daran und schweigen.

Zum einen sind das die mächtigen Broadcaste­r wie Fox oder BeIN Sports und Sponsoren wie Coca-Cola, Adidas, Wanda oder Visa. Sie kommen für 95 Prozent der 7,25 Milliarden Euro auf, die der Weltverban­d Fifa allein aus der Vermarktun­g der WM 2022 einnimmt. Mit ihren Scheckbüch­ern sind sie der wahre Machtfakto­r.

Doch es gibt noch einen anderen: die Spieler. Auch sie müssten sich gegen ein System stellen, das sie selbst, ihre Berater und Klubs immer reicher macht. Und all das ohne Rückendeck­ung, weil sogar ihre Politiker die Repräsenta­nten dieses Systems hofieren. Aber anders als Politiker sind Fußballsta­rs Idole – woraus sich ebenfalls Verantwort­ung ergibt. Deshalb haben auch sie in Katar die Chance für einen Neuanfang vergeben. Stattdesse­n wird das Milliarden­geschäft mit dem Weltsport Nummer eins nun erst so richtig Fahrt aufnehmen – während der Fußball selbst in seiner Nachspielz­eit angekommen ist. Und diese war in Katar bekanntlic­h so lang wie noch nie.

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