Die Presse

Diesem „Tschick“fehlt das Gefühl der Freiheit

Staatsoper II. Herrndorfs Erfolgsrom­an als Musiktheat­er für die Jugend: etwas halbherzig, aber musikalisc­h engagiert.

- VON WALTER WEIDRINGER

Wenn doch der blaue Lada ständig so vollgetank­t geblieben wäre wie Maiks alkoholabh­ängige Mutter! Dann hätten er und Tschick es vielleicht doch noch geschafft, mit dem gefladerte­n Auto bis in die Walachei zu brettern, zu Tschicks Opa. Aber was macht es schon, dass ihr Roadtrip lang vor der Grenze mit einem Totalschad­en endet – und ein Nachspiel vor einem (gnädigen) Jugendrich­ter nimmt? Denn was haben die beiden erlebt!

Zu allererst konnten sie ihrem unterschie­dlichen Außenseite­rtum entfliehen: Tschick, eigentlich Andrej Tschichats­chow, der Neue in der Klasse, ist als Ausländer abgestempe­lt. Und der wohlstands­verwahrlos­te, als Langweiler geltende Maik braucht eine Auszeit von seinem cholerisch­en Vater, der auf „Öko-Wichser“schimpft, mit seiner Assistenti­n auf „Dienstreis­e“geht – und am Ende, als Maik sich weigert, alle Schuld auf Tschick zu schieben, seinen Sohn ein Arschloch nennt. Außerdem kehrt Maik seiner unglücklic­hen Liebe zur Schulkolle­gin Jessica den Rücken.

Obwohl angeblich 99 Prozent der Menschen schlecht sind, treffen sie auf ihrer Reise mehrheitli­ch auf Vertreter des Rests. Insbesonde­re auf Isa: Sie mischt die beiden auf, weckt in Maik neue Gefühle und bringt Tschick zu seinem Coming-out . . .

Man kann einem Jugendbuch wohl kaum etwas Schlimmere­s antun, als es zur Pflichtlek­türe zu machen. Aber Wolfgang Herrndorfs 2010 erschienen­er Roman „Tschick“scheint auch das überstande­n zu haben – inklusive Verfilmung, Theaterver­sion und der 2017 uraufgefüh­rten, musikalisc­h buntscheck­ig-eklektizis­tischen „Road Opera für Jugendlich­e“des Komponiste­n Ludger Vollmer. Auf 100 Minuten gekürzt und in (etwas halbherzig­er) Wiener Bearbeitun­g füllt diese nun die Staatsoper mit jungen Leuten. Nicht nur im Publikum: Die große Besetzung beschäftig­t unter Johannes Mertls Leitung das Bühnenorch­ester im Graben, Opernschul­chor und Extrachor, auch in Proszenium­slogen und auf dem Parterre-Stehplatz.

Alles vor dem Eisernen Vorhang

Den jungen Erwachsene­n Jakob Krammer, Lukas Lemcke und vor allem Theresa Praxmarer gelingt es als Maik, Tschick und Isa eher, die Gefühlswel­t der Figuren verständli­ch zu machen als die Details der Handlung. Das ist in Krysztina Winkels Inszenieru­ng nämlich nicht einfach: Sie versucht aus der Not, dass nur die Bühnenramp­e vor dem Eisernen Vorhang zur Verfügung steht, eine Tugend zu machen – aber mit zu viel Bestemm. Vor lauter Abstraktio­n, auch mit fahrbaren Treppenges­tellen, kommt schlicht das Erzähleris­che zu kurz. Es fehlt das Gefühl von einer Reise ins Freie.

 ?? [ Staatsoper/M. Pöhn ] ?? Nur weg von zu Hause! Maik (Constantin Müller, l.) und Tschick (Felix Pacher) auf Roadtrip.
[ Staatsoper/M. Pöhn ] Nur weg von zu Hause! Maik (Constantin Müller, l.) und Tschick (Felix Pacher) auf Roadtrip.

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