Diesem „Tschick“fehlt das Gefühl der Freiheit
Staatsoper II. Herrndorfs Erfolgsroman als Musiktheater für die Jugend: etwas halbherzig, aber musikalisch engagiert.
Wenn doch der blaue Lada ständig so vollgetankt geblieben wäre wie Maiks alkoholabhängige Mutter! Dann hätten er und Tschick es vielleicht doch noch geschafft, mit dem gefladerten Auto bis in die Walachei zu brettern, zu Tschicks Opa. Aber was macht es schon, dass ihr Roadtrip lang vor der Grenze mit einem Totalschaden endet – und ein Nachspiel vor einem (gnädigen) Jugendrichter nimmt? Denn was haben die beiden erlebt!
Zu allererst konnten sie ihrem unterschiedlichen Außenseitertum entfliehen: Tschick, eigentlich Andrej Tschichatschow, der Neue in der Klasse, ist als Ausländer abgestempelt. Und der wohlstandsverwahrloste, als Langweiler geltende Maik braucht eine Auszeit von seinem cholerischen Vater, der auf „Öko-Wichser“schimpft, mit seiner Assistentin auf „Dienstreise“geht – und am Ende, als Maik sich weigert, alle Schuld auf Tschick zu schieben, seinen Sohn ein Arschloch nennt. Außerdem kehrt Maik seiner unglücklichen Liebe zur Schulkollegin Jessica den Rücken.
Obwohl angeblich 99 Prozent der Menschen schlecht sind, treffen sie auf ihrer Reise mehrheitlich auf Vertreter des Rests. Insbesondere auf Isa: Sie mischt die beiden auf, weckt in Maik neue Gefühle und bringt Tschick zu seinem Coming-out . . .
Man kann einem Jugendbuch wohl kaum etwas Schlimmeres antun, als es zur Pflichtlektüre zu machen. Aber Wolfgang Herrndorfs 2010 erschienener Roman „Tschick“scheint auch das überstanden zu haben – inklusive Verfilmung, Theaterversion und der 2017 uraufgeführten, musikalisch buntscheckig-eklektizistischen „Road Opera für Jugendliche“des Komponisten Ludger Vollmer. Auf 100 Minuten gekürzt und in (etwas halbherziger) Wiener Bearbeitung füllt diese nun die Staatsoper mit jungen Leuten. Nicht nur im Publikum: Die große Besetzung beschäftigt unter Johannes Mertls Leitung das Bühnenorchester im Graben, Opernschulchor und Extrachor, auch in Proszeniumslogen und auf dem Parterre-Stehplatz.
Alles vor dem Eisernen Vorhang
Den jungen Erwachsenen Jakob Krammer, Lukas Lemcke und vor allem Theresa Praxmarer gelingt es als Maik, Tschick und Isa eher, die Gefühlswelt der Figuren verständlich zu machen als die Details der Handlung. Das ist in Krysztina Winkels Inszenierung nämlich nicht einfach: Sie versucht aus der Not, dass nur die Bühnenrampe vor dem Eisernen Vorhang zur Verfügung steht, eine Tugend zu machen – aber mit zu viel Bestemm. Vor lauter Abstraktion, auch mit fahrbaren Treppengestellen, kommt schlicht das Erzählerische zu kurz. Es fehlt das Gefühl von einer Reise ins Freie.