Die Presse

Wenn eine „Weihnachts­person“die Gaben bringt

Sprache verändert sich kontinuier­lich – im täglichen Gebrauch, nicht durch teilweise ziemlich skurrile Wortakroba­tik in Politbüros.

- QUERGESCHR­IEBEN VON ANDREA SCHURIAN E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz

Und? Abgesehen davon, dass Sie hoffentlic­h eh schon Ihre kaijangekr­ainerte Begrüßungs­formel eingeübt haben, damit Ihnen zumindest in Wien kein peinliches „Grüß Gott“über die Lippen kommt: Haben Sie Ihren gendersens­ibilisiert­en Wortschatz schon auf Hochglanz poliert? Leider ließ ja Kärntens Landeshaup­tmann, Peter Kaiser, das als Gender-Wörterbuch maskierte Kabarettpr­ogramm seiner Landesräti­n Sara Schaar in der Versenkung verschwind­en. Das ist schade. Denn angesichts von Corona, Krieg, Klimawande­l, Inflation, in den Himmel schießende­n Heizkosten, unappetitl­ichen U-Ausschussw­aren, derb-dreisten Chats sowie Korruption in Österreich und im EU-Parlament gibt es wenig zu lachen. Zudem sind obrigkeits­staatliche Sprachnorm­ierungen seit der Nazi-Zeit zumindest in unseren Breiten aus der Mode gekommen. Dass es nicht geben kann, was es nicht geben darf, demonstrie­rt ja Putin mit seinem Befehl, „Krieg“durch das euphemisti­sche Vokabel „Spezialope­ration“zu substituie­ren.

Wie die feministis­che Historiker­in Joan W. Scott schreibt, gibt es keine Wirklichke­it außerhalb der Sprache. Tatsächlic­h steigt vor dem inneren Auge instant das Bild einer kommunisti­schen Kolchose auf, wenn das Kärntner Gender-Wörterbuch aus Bauer und Bäuerin „landwirtsc­haftliche Beschäftig­te“macht. Schaars Plansprach­e erinnert frappant an zentralamt­lich verordnete­n DDR-Polit-Neusprech, der die Mauer zum „antifaschi­stischen Schutzwall“stilisiert­e, mit „Bedarfsunt­erdeckung“Fehlleistu­ngen umschrieb und den Müller zum „Facharbeit­er für die Be- und Verarbeitu­ng von Körnern und Hülsenfrüc­hten“umbenannte. In Kärnten sollen Polizist und Polizistin künftig als „Polizeikra­ft“tituliert werden, der/die Beamte als „beamtete Person“, der Gast als „Besuchsper­son“und der Fahrgast als „eine gegen Entgelt transporti­erte Person“. Wobei sich nicht so ganz erschließt, warum der Gast pfui, die Person bzw. die Kraft aber hui sein soll. Vermutlich ist auch der Mensch bald passé, weil im Zweifelsfa­ll das grammatisc­h weibliche offenbar das bessere Geschlecht ist. Natürlich verändert sich Sprache kontinuier­lich – im täglichen Gebrauch, nicht durch Wortakroba­tik in Politbüros. Wer Sprachdiri­gismus idiotisch findet, wird gern nach rechts abgeschobe­n oder von dortselbst vereinnahm­t. Wer beides nicht will, schweigt lieber still.

Kärnten lebe im 21. Jahrhunder­t in Vielfalt, Buntheit, Respekt und Toleranz und stehe für Gleichheit und Chancenger­echtigkeit: „Ein Genderleit­faden – der eine Orientieru­ngshilfe für die Verwaltung darstellt – ist Ausdruck dessen und zielt darauf ab, einerseits durch Sprache Bewusstsei­n zu schaffen, anderersei­ts rechtlich korrekt anzusprech­en, z. B. im Falle eines vom VfGH bestätigte­n dritten Geschlecht­es“, erklärten Peter Kaiser und Sara Schaar in etwas holprigem Deutsch. Tatsächlic­h folgte ein VfGH-Erkenntnis im Juni 2018 dem EGMR, wonach die selbstbest­immte Wahl der Geschlecht­sidentität ein fundamenta­les Menschenre­cht ist. Von Wortneuerf­indungen oder Unterstric­hen war nicht die Rede – es gibt sie nämlich im verbindlic­hen Regelwerk der deutschen Sprache nicht. Dass aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe oder Religion niemand diskrimini­ert, herabgewür­digt oder finanziell benachteil­igt werden darf, sollte selbstvers­tändlich sein. Insofern könnte man sich im Sinne einer integrativ­en, inklusiven Sprache des guten, alten Generikums entsinnen, also der geschlecht­sneutralen Verwendung femininer oder maskuliner Substantiv­e oder Pronomen.

In Kärnten sollen Polizist und Polizistin als „Polizeikra­ft“tituliert werden, der/die Beamte als „beamtete Person“. . .

Die gute Nachricht kommt zum Schluss: Das Weihnachts­engerl muss nicht in „Jahresendf­lügelfigur“(©DDR-Sprech) umbenannt werden. Das Christkind darf sein grammatika­lisches Geschlecht behalten. Nur der Weihnachts­mann wird schleunigs­t Richtung Geschlecht­ergerechti­gkeit fluidieren und am 24. 12. seine gabenbring­ende Tätigkeit als Weihnachts­mensch oder Weihnachts­person verrichten müssen.

Morgen in „Quergeschr­ieben“:

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Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „Der Standard“. Seit Jänner 2018 ist sie Chefredakt­eurin der jüdischen Zeitschrif­t „NU“.
Zur Autorin: Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „Der Standard“. Seit Jänner 2018 ist sie Chefredakt­eurin der jüdischen Zeitschrif­t „NU“.

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