Katargate erfass EU-Kommission
Korruptionsskandal. Der frühere EU-Kommissar Avramopoulos erhielt 60.000 Euro von einer Pseudo-NGO, mittels der Katar Einfluss auf europäische Politiker genommen haben dürfte.
Brüssel/Wien. Die Brüsseler Bestechungsaffäre rund um die verdeckte, mutmaßlich illegale Einflussnahme von Katar und Marokko auf Abgeordnete des Europaparlaments wird auch für die Europäische Kommission zum Problem. Die italienische Tageszeitung „La Stampa“deckte am Sonntag auf, dass Dimitris Avramopoulos, der ehemalige griechische EU-Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft, für seine Dienste ein Entgelt von 60.000 Euro von jener PseudoMenschenrechtsorganisation erhalten hatte, die nach derzeitigem Stand der Ermittlungen der belgischen Antikorruptionsermittler als Drehscheibe der Bestechungsoperation diente, die als „Katargate“seit zehn Tagen europaweit für Schlagzeilen sorgt.
Für die Kommission ist diese Enthüllung zweifach problematisch. Erstens erteilte sie Avramopoulos im Dezember 2020 die Genehmigung für dieses Amt bei der Organisation Fight Impunity – und auch, wie Avramopoulos gegenüber „La Stampa“erklärte, für das Entgelt von 60.000 Euro. Diese Genehmigung stand unter der Bedingung, nicht im Namen von Fight Impunity die Kommission zu kontaktieren. Doch wie ein flüchtiger Blick auf Avramopoulos’ Twitter-Profil zeigt, kam er nach Antritt seines Postens bei Fight Impunity allein heuer mit mindestens zwei Vizepräsidenten der aktuellen Kommission zusammen. Am 3. Juli traf er „für ein paar Sommertage in Griechenland“mit „meinem guten Freund“Johannes Hahn, zuständig für Haushalt und Verwaltung, zusammen. Und am 3. Oktober stieß er „mit meiner guten Freundin“Vĕra Jourov ,z uständig für Werte und Transparenz, an.
Aus den Kabinetten beider Vizepräsidenten verlautete auf Anfrage der „Presse“, dass diese Treffen rein privater Natur gewesen seien. „Über Politik wurde nicht geredet“, hieß es über das Meeting mit Hahn, der damals seinen Sommerurlaub in Griechenland verbracht hatte. Jourov wiederum habe Avramopoulos, den sie ebenso wie Hahn aus ihrer Amtszeit unter Präsident Jean-Claude Juncker (2014–2019) kennt, am Rande eines Arbeitsbesuchs in Athen getroffen. Avramopoulos habe sie angerufen und um ein persönliches Treffen gebeten. Nachsatz: Er habe sie aber nicht um irgendeine Unterstützung gebeten.
Das führt zum zweiten heiklen Punkt dieser Causa. Im Februar hatte Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, die Schaffung des Postens eines EU-Sondergesandten für die Golfregion angekündigt. Zum Zeitpunkt seiner beiden Treffen mit den Vizepräsidenten der Kommission war Avramopoulos also Kandidat. Es steht einerseits die Frage im Raum, was genau an seinen Diensten der erst Ende 2019 gegründeten Organisation Fight Impunity 60.000 Euro wert war. Andererseits ist fraglich, ob Avramopoulos sich wirklich in all seinen Treffen die Erwähnung seiner Kandidatur verkneifen konnte.
Und beide Fragen führen zum Katargate, das sich nach und nach auch als Marokkogate entpuppt. Denn wie der belgische Staatsschutz aufdeckte, bediente sich Katar derselben, vom marokkanischen Auslandsgeheimdienst seit Jahren betriebenen Struktur, um heimlich Bargeld und sonstige Zuwendungen an Politiker in Brüssel zu bringen. Schlüsselfigur dieser Konstruktion: der ehemalige italienische EU-Mandatar Pier Antonio Panzeri – der Fight Impunity gegründet hat. Die nun stillgelegte Organisation soll laut „La Stampa“in erster Linie von einer südafrikanischen Stiftung finanziert worden sein, die im Verdacht steht, ihr Geld aus Katar zu erhalten.
Drohung aus Katar
Die katarische Führung wies indessen alle Anschuldigungen, sie sei in die Bestechung von EU-Funktionsträgern involviert, zurück. Sie kritisierte, dass nun sowohl das Abkommen mit der EU zur Visumliberalisierung als auch jenes zur Luftfahrt vom Europäischen Parlament auf Eis gelegt wurden. Dies, so die unverhohlene Drohung, könnte zu negativen Entwicklungen bei der Kooperation in Fragen der Energiesicherheit führen. Katar hat zuletzt als Lieferant von verflüssigtem Gas (LNG) für die EU an Bedeutung gewonnen. Auch Österreich hat sich seit März um zusätzliche Lieferverträge bemüht.
Österreich zählt zu jenen sechs EU-Ländern, die das in der Branche umstrittene Luftfahrtabkommen bereits national genehmigt haben. Es wurde am 22.September durch den Ministerrat abgesegnet. Damit kann es bereits vorläufig angewandt werden.
Worum es hier geht, ist Korruption, nicht Sünde. Es ist viel schlimmer, denn die Korruption lässt die Seele verfaulen.
Papst Franziskus in einem Interview mit Canale 5 zur EU-Affäre