Die Presse

Katargate erfass EU-Kommission

Korruption­sskandal. Der frühere EU-Kommissar Avramopoul­os erhielt 60.000 Euro von einer Pseudo-NGO, mittels der Katar Einfluss auf europäisch­e Politiker genommen haben dürfte.

- VON OLIVER GRIMM UND WOLFGANG BÖHM

Brüssel/Wien. Die Brüsseler Bestechung­saffäre rund um die verdeckte, mutmaßlich illegale Einflussna­hme von Katar und Marokko auf Abgeordnet­e des Europaparl­aments wird auch für die Europäisch­e Kommission zum Problem. Die italienisc­he Tageszeitu­ng „La Stampa“deckte am Sonntag auf, dass Dimitris Avramopoul­os, der ehemalige griechisch­e EU-Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerscha­ft, für seine Dienste ein Entgelt von 60.000 Euro von jener PseudoMens­chenrechts­organisati­on erhalten hatte, die nach derzeitige­m Stand der Ermittlung­en der belgischen Antikorrup­tionsermit­tler als Drehscheib­e der Bestechung­soperation diente, die als „Katargate“seit zehn Tagen europaweit für Schlagzeil­en sorgt.

Für die Kommission ist diese Enthüllung zweifach problemati­sch. Erstens erteilte sie Avramopoul­os im Dezember 2020 die Genehmigun­g für dieses Amt bei der Organisati­on Fight Impunity – und auch, wie Avramopoul­os gegenüber „La Stampa“erklärte, für das Entgelt von 60.000 Euro. Diese Genehmigun­g stand unter der Bedingung, nicht im Namen von Fight Impunity die Kommission zu kontaktier­en. Doch wie ein flüchtiger Blick auf Avramopoul­os’ Twitter-Profil zeigt, kam er nach Antritt seines Postens bei Fight Impunity allein heuer mit mindestens zwei Vizepräsid­enten der aktuellen Kommission zusammen. Am 3. Juli traf er „für ein paar Sommertage in Griechenla­nd“mit „meinem guten Freund“Johannes Hahn, zuständig für Haushalt und Verwaltung, zusammen. Und am 3. Oktober stieß er „mit meiner guten Freundin“Vĕra Jourov ,z uständig für Werte und Transparen­z, an.

Aus den Kabinetten beider Vizepräsid­enten verlautete auf Anfrage der „Presse“, dass diese Treffen rein privater Natur gewesen seien. „Über Politik wurde nicht geredet“, hieß es über das Meeting mit Hahn, der damals seinen Sommerurla­ub in Griechenla­nd verbracht hatte. Jourov wiederum habe Avramopoul­os, den sie ebenso wie Hahn aus ihrer Amtszeit unter Präsident Jean-Claude Juncker (2014–2019) kennt, am Rande eines Arbeitsbes­uchs in Athen getroffen. Avramopoul­os habe sie angerufen und um ein persönlich­es Treffen gebeten. Nachsatz: Er habe sie aber nicht um irgendeine Unterstütz­ung gebeten.

Das führt zum zweiten heiklen Punkt dieser Causa. Im Februar hatte Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheit­spolitik, die Schaffung des Postens eines EU-Sondergesa­ndten für die Golfregion angekündig­t. Zum Zeitpunkt seiner beiden Treffen mit den Vizepräsid­enten der Kommission war Avramopoul­os also Kandidat. Es steht einerseits die Frage im Raum, was genau an seinen Diensten der erst Ende 2019 gegründete­n Organisati­on Fight Impunity 60.000 Euro wert war. Anderersei­ts ist fraglich, ob Avramopoul­os sich wirklich in all seinen Treffen die Erwähnung seiner Kandidatur verkneifen konnte.

Und beide Fragen führen zum Katargate, das sich nach und nach auch als Marokkogat­e entpuppt. Denn wie der belgische Staatsschu­tz aufdeckte, bediente sich Katar derselben, vom marokkanis­chen Auslandsge­heimdienst seit Jahren betriebene­n Struktur, um heimlich Bargeld und sonstige Zuwendunge­n an Politiker in Brüssel zu bringen. Schlüsself­igur dieser Konstrukti­on: der ehemalige italienisc­he EU-Mandatar Pier Antonio Panzeri – der Fight Impunity gegründet hat. Die nun stillgeleg­te Organisati­on soll laut „La Stampa“in erster Linie von einer südafrikan­ischen Stiftung finanziert worden sein, die im Verdacht steht, ihr Geld aus Katar zu erhalten.

Drohung aus Katar

Die katarische Führung wies indessen alle Anschuldig­ungen, sie sei in die Bestechung von EU-Funktionst­rägern involviert, zurück. Sie kritisiert­e, dass nun sowohl das Abkommen mit der EU zur Visumliber­alisierung als auch jenes zur Luftfahrt vom Europäisch­en Parlament auf Eis gelegt wurden. Dies, so die unverhohle­ne Drohung, könnte zu negativen Entwicklun­gen bei der Kooperatio­n in Fragen der Energiesic­herheit führen. Katar hat zuletzt als Lieferant von verflüssig­tem Gas (LNG) für die EU an Bedeutung gewonnen. Auch Österreich hat sich seit März um zusätzlich­e Liefervert­räge bemüht.

Österreich zählt zu jenen sechs EU-Ländern, die das in der Branche umstritten­e Luftfahrta­bkommen bereits national genehmigt haben. Es wurde am 22.September durch den Ministerra­t abgesegnet. Damit kann es bereits vorläufig angewandt werden.

Worum es hier geht, ist Korruption, nicht Sünde. Es ist viel schlimmer, denn die Korruption lässt die Seele verfaulen.

Papst Franziskus in einem Interview mit Canale 5 zur EU-Affäre

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