Unsere Sprachen verraten, dass wir einst auf Bäumen lebten
Wissenschaft. Wie hat Homo Sapiens sprechen gelernt? Menschliche Idiome basieren auf Konsonanten. Tiere äußern sich aber fast nur in Vokalen, auch die Primaten. Mit einer Ausnahme: die Orang-Utans. Ein Forscher hat diese losen Fäden nun zu einer verblüffe
Ouu, Ouu, Ouu: So macht sich der Gorilla wichtig und klopft sich dabei auf die Brust. Bei Schimpansen und Bonobos, die uns Menschen in vieler Hinsicht am nächsten sind, klingt es nicht viel anders. Für die gesamte Fauna gilt: Wenn sich Tiere in einer Weise äußern, die entfernt an menschliches Sprechen erinnert, dann fast immer mit stimmhaften Vokalen, erzeugt von den Stimmbändern im Kehlkopf. So ist es auch bei den meisten der wild lebenden Menschenaffen. Und das ist reichlich seltsam.
Denn so grundverschieden menschliche Sprachen auch sind, eines ist ihnen allen gemein: Ihr Grundgerüst sind Konsonanten, keine kommt ohne sie aus. Wie aber sind wir zu diesen stimmlosen Lauten gekommen, wenn nicht von den Arten, mit denen wir den größten Teil der Evolutionsgeschichte teilen? Das schien bisher ziemlich rätselhaft. Nun gibt es aber bei den Affen eine Ausnahme:
die Orang-Utans in Asien, vor allem auf Sumatra und Borneo. Der Primatenforscher und Evolutionspsychologe Adriano Lameira von der University of Warwick in Großbritannien hat sie 18 Jahre lang beobachtet und belauscht. Er weiß: Aus ihren Mäulern quillt ein reiches Repertoire an Geräuschen, die sich schriftlich als Konsonanten wiedergeben lassen – schmatzen, schnalzen, zischen, prusten und auch Furzartiges.
Orale Meisterschaft
Das zieht sich bei ihnen durch alle Populationen und Lebenssituationen. Und es ist durch ihr soziales Umfeld, also quasi kulturell geprägt. Um diese Laute hervorzubringen, setzten Orang-Utans ihre Münder ein: Zunge, Lippen und Unterkiefer. Warum aber machen das nur sie? Anders als ihre viel länger und besser erforschten Verwandten in Afrika leben sie nicht am Boden, sondern in den Baumkronen der letzten verbliebenen Urwälder. Sie müssen sich mit Händen und
Füßen an Ästen und Stämmen festkrallen, um sich fortzubewegen und nicht die Balance zu verlieren. Wie soll man da noch Nüsse knacken oder Kerne aus Pflanzen schälen?
Gorillas etwa setzten sich dazu einfach auf den Boden und extrahieren die nahrhafte Beute für karge Zeiten mit ihren Händen. Schimpansen verwenden dafür gerne Steine und andere Werkzeuge, die sie ebenfalls mit den Händen halten. Die Orang-Utans aber setzen ihre Mäuler ein – und haben dabei eine Meisterschaft entwickelt. So können sie etwa eine Orange allein mit ihren Zähnen schälen, ohne diese dabei anzugreifen. Auch wenn sie Insekten aus Astlöchern kratzen, nehmen sie den dazu dienlichen Stiel nicht in die Hand, sondern zwischen die Zähne.
Diese oralen Fertigkeiten verlernen sie auch nicht in Gefangenschaft: Wenn man einem Orang-Utan im Zoo einen Bleistift reicht, gibt er ihn drauf beißend zurück. Solche mechanischen Finessen rund um die Mundhöhle dürften im Lauf der Evolution ihre (allen Affen angeborene) Fähigkeit trainiert haben, auch Konsonanten-artige Laute zu äußern. Das vermutet zumindest Lameira in dem Artikel, den er am Dienstag in „Trends in Cognitive Sciences“veröffentlicht hat. Denn nachweisen lassen sich vorerst nur die auffälligen Korrelationen, nicht ein kausaler Zusammenhang. Dafür sollen nun gezielte Experimente folgen.
Es ist aber naheliegend, die Vermutungen noch weiter zu treiben: Wenn wir Menschen so durchgehend mit Konsonanten sprechen, dann haben wir diese Fähigkeit wohl auch in lichten Höhen erworben. Das passt gut zu aktuellen Theorien, die etwas anderes erklären wollen: Warum gehen wir aufrecht und nicht auf allen Vieren? Weil wir uns einst, im Wald herumkletternd, mit den Füßen nach unten und mit den Armen nach oben an Ästen abstützten. Beide Fährten weisen in dieselbe Richtung: Wir haben früher auf Bäumen gelebt, länger und durchgehender als bisher angenommen.