Von Ballkleidern, Psychopharmaka und Krautfleckerln
Es war das Jahr, in dem die großen Fragen auf die kleinen stießen. Was hat uns die österreichische Politik gelehrt? Die wichtigsten Lektionen aus 2022.
Es war das Jahr, in dem wir erfuhren, dass ein Krieg in Europa ähnlich erwartbar unerwartet beginnt, wie das Leben der Queen endet, eine Strompreisbremse ein- und eine Impfpflicht ausgesetzt werden kann, Elon Musk und Winnetou sich wohl auf ein Packel hauen würden, um die Meinungsfreiheit zu verteidigen, und Alexander Van der Bellen einen brauchbaren Western-Helden abgäbe, der es wortkarg rauchend mit sechs Männern zugleich aufnimmt. Es war das Jahr der großen Umwälzungen und kleinen Erkenntnisse. Was haben wir gelernt?
Dass es das Jahr war, in dem sich endlich jede und jeder eine Meinung zum Klimaschutz gebildet hat. Zum Beispiel die niederösterreichische Landeshauptfrau, Johanna Mikl-Leitner. „Jede und jeder kann bei sich selber anfangen“, erklärte sie am Rande des Klimagipfels Austrian World Summit in der Wiener Hofburg im Juni. „Das beginnt bei der Kleidung, dass man nicht zehn Ballkleider haben muss, sondern drei.“
Wir lernen: Die Sache mit dem nachhaltigen Leben kann so einfach sein. Anderswo lodern die Debatten weiter. Wäre Vincent van Gogh ein Klimaschützer gewesen, müssen SUV-Fahrerinnen und -Fahrer auch irgendwie nach Hause kommen, enthält Superkleber nicht Erdöl, und was taugen die Gesetze? Die Vertragsstaaten beschließen bei der Weltklimakonferenz in Sharm El-Sheikh im November einen Fonds zur Bewältigung von klimabedingten Schäden, während Österreich auf ein neues Klimaschutzgesetz wartet. Den Klimabonus verteilt die Regierung inzwischen nach dem Gießkannenprinzip, auch an SUV-Besitzerinnen und -Besitzer sowie Menschen, die zehn Ballkleider haben.
Mikl-Leitner gibt via „Krone“-Leserbrief ihren „Fehler“zu. Entschuldigungen sind eine scheue Spezies; vor allem unter Politikerinnen und Politikern zeigen sie sich selten. Mikl-Leitners Vorstoß zum Artenschutz ist also zu begrüßen. Ihr Parteikollege Karl Nehammer hält wenig davon. Dennoch bot er im vergangenen Jahr eine wertvolle Lektion: Es ist
Juli, die Inflationsrate liegt in Österreich bei 9,3 Prozent. Russland beschießt die Ukraine, die EU beschließt einen GasNotfallplan, die Welt ist ratlos, und die Tiroler ÖVP hält ihren Parteitag. „Wenn wir jetzt so weitermachen, gibt es für euch nur zwei Entscheidungen nachher: Alkohol oder Psychopharmaka.“Das Publikum schweigt, es ist schließlich keine einfache Wahl. „Alkohol ist grundsätzlich okay“, fährt Nehammer fort. „Aber das Entscheidende ist, dass man anstoßt, wenn es einem gut geht.“– Wir lernen: Glaserl, Seiterl und Stamperl sind 2022 keine Drogen, sondern Getränke. Psychopharmaka bleiben Gags in – wie Nehammer ihn nach heftiger Kritik bezeichnete – „launigen“Sagern, während es in Österreich noch immer zu wenig Psychotherapieplätze und Psychiatriebetten gibt. Die Lockdowns mögen vorbei sein, die Spätfolgen der Pandemie sind es nicht.
Doch auch zu erfreulicheren Themen hält das Jahr wertvolle Lektionen bereit. Zum Beispiel in der Kulinarik. Zu verdanken der SPÖ, die zum Nationalfeiertag auf sich aufmerksam machen will. „Ohne Brösel wäre es nicht das Schnitzel“, lernen wir von der Kampagne. Kochbuch ade. Volksnah und praxisorientiert, was kann da schiefgehen? Das Foto dazu. Es entfacht nämlich eine Grundsatzdebatte: Schnitzel mit Ketchup oder mit Preiselbeeren, was ist hierzulande richtig? Während für die einen zudem das Schnitzel zu Österreich gehört wie das grundsätzliche Stamperl und die zehn Ballkleider, erzürnen sich andere über das fleischerne Sujet. Die Sache mit dem nachhaltigen Leben ist noch nicht endgültig geklärt.
Es entfacht eine Grundsatzdebatte: Schnitzel mit Ketchup oder mit Preiselbeeren, was ist hierzulande richtig?
Es war das Jahr, in dem die großen Fragen auf die kleinen stießen, das Schnitzel auf die nationale Identität, der Heizkörperthermostat auf Putin, die Chats auf die Öffentlichkeit, der Physikunterricht auf den Nobelpreis, das Haareschneiden auf die Freiheit, der Fußball auf die Korruption. Und wir lernen: immer Neues.