Stimmiges Stück über Erdöl, Tod und den Rest der Welt
Die Schauspielerin als Medium: Anna Rieser bewältigt die Text- und Sinnflut von Manuela Infantes „Black Flame“bravourös.
Öl ist ein ganz besonderer Saft: Von diesem dunklen, schmutzigen Gemenge aus Kohlenwasserstoffen hat sich unsere Wirtschaft abhängig gemacht, als ob es ein Lebenselixier wäre. Und dabei ist es einst durch den Tod entstanden, aus totem organischen Material: aus versunkenen, zerquetschten Algen, Farnen, Dinosauriern . . .
„Der Dino-Saft muss fließen“, heißt es an einer Stelle in „Black Flame“, dem Stück der chilenischen Autorin Manuela Infante. Hier stockt man schon: Ein Theaterstück im üblichen Sinn ist es gewiss nicht, zum Glück auch keine „Stückentwicklung“, dazu ist es zu fertig. Auch keine Performance: Anna Rieser, abgesehen von einigen Männern, die Bühnenarbeiter mimen (oder welche sind?) die einzige Person auf der Bühne, performt nicht, sie drückt sich nicht aus. Durch sie drücken sich andere aus, mit ihrer oft grotesk verfremdeten Stimme spricht erst Elon Musk, später ein Forscher, dann ein weißund grünwaschender PR-Mensch der Industrie, dann ein Rennfahrer. Sie sei ein Medium, erklärt Rieser gegen Ende, aber sie wolle nicht mehr für Erdölfirmen arbeiten, weil sie keine Toten mehr ausgraben wolle.
„A Noise Essay“nennt Manuela Infante ihr Stück selbst, und das trifft es gut. Es ist – auch – ein Essay, ein wuchernder, hypertropher, sich sein eigenes Scheitern einverleibender Essay über Arbeit und Wirtschaft, Leben und Tod. Der, wie viele gute Essays, aus dem Spiel mit der Sprache, mit den Wortbedeutungen entsteht. „Black Flame“ist aber auch ein Spiel mit der Stimme: Bevor sie zur Sprache findet, ist sie dunkler, schmutziger Lärm. Es beginnt mit einem Wummern, das mehrmals von Stille unterbrochen wird, bis man draufkommt: Es kommt aus dem Mikrofon
von Anna Rieser, dem Medium, dem die Sprache erst eingegeben werden muss. Diese klingt in der ersten Szene, in der Elon Musk spricht, unangenehm verzerrt, sodass man schon fürchtet, dass es kabarettistisch wird. Doch dann, nachdem zwei Grundthemen – das Öl als Leichnam, die Sonne als Lebensspenderin – vorgestellt worden sind, vermehren sich die Stimmen: Der Essay wird polyfon und bleibt es.
Motor bringt Licht und Geschwindigkeit
Als drittes Thema kommt der Motor dazu, physisch präsent auf der Bühne: Er bringt nicht nur Lärm, sondern, luziferisch, auch Licht. Und Geschwindigkeit, damit den Tod von Menschen: Der Sohn des Rennfahrers stirbt offenbar bei einem Motorradunfall, der Rennfahrer selbst bei einem Flugzeugabsturz. Er halluziniert die brennende Sonne, aus Öl wird Blut. Alles zu schnell! Dabei gäbe die langsame Auflösung die natürliche Geschwindigkeit vor, heißt es in der letzten Meditation: „Zerfall ist die einzige wirkliche Form des Selbstantriebs, die wir besitzen. Der Rest ist Illusion.“
Die Bühne wird geprägt von einem Stahlgerüst irgendwo zwischen Bohrturm und Rockfestival, die Videos beschränken sich auf abwärtsfließende Texte: Es ist ein Theater der Worte, das hier abläuft, eine Wortsonate, aus der die entsprechend düstere Musik organisch entsteht. Oder müsste man anorganisch sagen? Schließlich geht es doch (auch) um die Symbiose von Mensch und Maschine? Ja. Aber letztlich geht’s um Energie. Die von der Sonne verschwenderisch geliefert und vom Leben „sinnlos verschwendet“wird, wie es an einer Stelle bei Infante heißt. Womit, kann man folgern, aller Sinn aus der Sinnlosigkeit kommt, auch das Theater. In diesem Fall: kluges Theater.