Österreich braucht mehr gemeinsam und weniger Brechstange im neuen Jahr
Sollten wir nicht lieber miteinander darüber reden, was in unseren Gesellschaften (schief ?)läuft, anstatt einander anzuschreien.
Viele gute Vorsätze fürs neue Jahr mögen Klima- und Weltretten betreffen, vielleicht mittels eines bescheideneren und auch demokratischeren Lebensstils; denn im patriarchalen Österreich durchziehen die Spielarten der Gewaltbereitschaft (samt ihrer mächtigen Alliierten, der Gleichgültigkeit) alle Ebenen der Gesellschaft.
Darunter leiden Zusammenleben und die Fähigkeit von Gesellschaft und Politik, Probleme zu lösen. So fallen hierzulande relativ mehr Frauen und Kinder als anderswo in Europa soziosexueller Gewalt zum Opfer. Behinderte müssen immer noch um Teilhabe kämpfen, wie erst jüngst wieder schmerzlich verdeutlicht durch den Hindernislauf einer Mutter, ihre Trisomie-Tochter in der Regelschule unterzubringen. Und schließlich steckt die Gewalt gegen Kinder angesichts des Wissens um deren Folgen auch in den suboptimalen Betreuungsverhältnissen der Kinderkrippen und -gärten. Gewaltzentriert auch der Umgang mit unliebsamen Wildtieren, wie etwa Wolf: Ländliche Lobbys schwelgen in Abschussfantasien – obwohl alle Beteiligten längst wissen, dass die den Schafen und ihren Haltern gar nichts bringen, aber intelligente Lösungen werden verächtlich gemacht. Vor allem die für Naturschutz (!) zuständigen Landesregierungen tun sich in Sachen gewalttätiger „Konfliktbewältigung“um Wolf, Fischotter und Co. hervor.
Und ist es nicht Gewalt an Lebensräumen, wenn man sie zubetoniert (darin sind wir Europameister)? Oder Gewalt an Nutztieren, wenn man ihnen ob des billigen Schnitzels willens die Exzesse der Massentierhaltung zumutet?
Subtile Formen der Gewalt beeinträchtigen in Form des Message-Control-Terrors durch woke Minderheiten immer stärker Denken und Sprechen – umgekehrt aber auch die Reaktionen darauf, etwa in Form verzweifelter Abwehrversuche durch „weiße alte Männer“, wie hier im Dezember durch Michael Köhlmeier. Ja eh, Political Correctness kann tierisch nerven und die liberale Demokratie gefährden – aber tut das die patriarchale Rechthaberei nicht auch? Sollten wir nicht lieber miteinander darüber reden, was in unseren Gesellschaften (schief?)läuft, anstatt einander anzuschreien oder anzuschweigen? Es passt ins Bild, dass neueren Umfragen zufolge – rational eigentlich unfassbar – die Zustimmung für die FPÖ steigt.
Vielleicht auch angesichts einer heimischen Politik, die das Gegenteil von Regieren bietet, wie unlängst sogar Jean-Claude Juncker anmerkte? Über dem Land schwebt eine Glocke der Orientierungslosigkeit und Zukunftsvergessenheit, der Passivität und der paradoxen Hilflosigkeit angesichts noch nie dagewesener Herausforderungen. Hemmt uns vielleicht das immer noch im Biotop des „Goschn haltens – Händefaltens“sprießende Bedürfnis nach autoritären Lösungen? Jedenfalls braucht es endlich Transparenzgesetze für den demokratischen Dialog im Lande.
Wir sollten Metternich keinen späten Triumph gönnen und das Biedermeier der Mieselsucht schleunigst verlassen. Dazu braucht’s nicht viel. Miteinander respektvoll reden etwa – selbst wenn man nicht gern hört, was die anderen sagen. Wenn das kein praktikabler Neujahrsvorsatz ist!