Mehr Ressourcen für Krebsüberlebende
Menschen mit einer Krebsdiagnose sind in Österreich gut betreut. Wo es noch hapert, ist die Betreuung jener, die den Krebs besiegt haben.
Der Onkologe und Abteilungsvorstand Hannes Kaufmann schildert im Interview seine Ideen für die onkologische Nachsorge.
Die Zahl der Krebserkrankungen steigt. Gleichzeitig steigt auch die Zahl jener Menschen, die mit Krebs leben. Warum?
Hannes Kaufmann: Dass die Zahl der Krebserkrankungen steigt, hat zwei Gründe: Erstens werden wir immer älter und das Risiko steigt mit zunehmendem Alter, an Krebs zu erkranken. Die Chancen, Krebs zu heilen oder mit Krebs gut zu leben, steigen dank innovativer Therapien, die mannigfaltige Therapiemöglichkeiten eröffnen. So wurden, nachdem die Wirksamkeit von diesen neuen Medikamenten in meist von der Industrie unterstützten klinischen Studien belegt wurde, in den vergangenen 20 Jahren in Europa mehr als 140 neue Arzneimittel in der Onkologie zugelassen. Allein 2021 sind in Europa
20 neue Krebsmedikamente auf den Markt gekommen, davon zwölf mit einem neuen Wirkstoff. Es wird so viel geforscht wie in keinem anderen Therapiegebiet, deshalb sind die Fortschritte überwältigend und nachhaltig.
Welche Therapien sind momentan die vielversprechendsten?
Kaufmann: Einerseits die zielge
richteten Therapien, die direkt auf oder in der Krebszelle sehr selektiv nach der jeweiligen Tumorbiologie ausgewählt werden und sich gegen Schlüsselmoleküle in der Krebszelle richten. Der Rest des Gewebes wird dabei weitgehend verschont. In Europa gibt es derzeit mehr als 70 zielgerichtete Therapien gegen Krebs, jährlich kommen neue dazu. Neben den zielgerichteten Therapien gilt
ZUR PERSON
Hannes Kaufmann ist Abteilungsvorstand der 3. Medizinischen Abteilung – Zentrum für Onkologie und Hämatologie am Standort Klinik Favoriten und der Klinik Landstraße.
auch die Immuntherapie als großer Hoffnungsträger. Hier aktivieren Medikamente das körpereigene Immunsystem für den Kampf gegen die Krebszellen.
Wie stehen die Chancen, Krebs zu überleben?
Kaufmann: In Österreich liegt die Wahrscheinlichkeit, nach der Erstdiagnose mehr als fünf Jahre zu leben, bei 61 Prozent. Die Überlebensrate für mehr als zehn Jahre liegt bei fast 50 Prozent.
Was passiert mit den Menschen, die den Krebs besiegen? Gibt es für sie eine adäquate Versorgung in Österreich?
Kaufmann: Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Angesichts der steigenden Zahl von Krebsüberlebenden müssen wir Konzepte für eine adäquate Nachsorge parallel zur Akutversorgung entwickeln. Derzeit stoßen wir an unsere Kapazitätsgrenzen. Denn die onkologische Nachsorge passiert vorwiegend in Schwerpunktspitälern: Das heißt, die Patientinnen und Patienten bekommen in jenem Spital auch die Nachsorge, in dem sie diagnostiziert und behandelt werden. Das ist weder notwendig noch für die Patientinnen und Patienten angenehm, weil sich diese Schwerpunktspitäler oft nicht in Wohnortnähe befinden. Und es ist extrem ressourcen und kostenintensiv.
Wir brauchen die Spitäler in der Akutversorgung von Krebskranken und eine lebensnahe Betreuung nach der Initialbehandlung außerhalb der Zentren. Da müssen wir die Medizin zu unseren Patientinnen und Patienten bringen.
Wie sieht die Lösung aus?
Kaufmann: Die Lösung umspannt vieles und vor allem eine netzartige intra und extramurale Versorgung. Die initiale Diagnose und Behandlung sollte weiterhin in den Schwerpunktspitälern passieren, für die Nachsorge sollten spezielle wohnortnahe Nachsorgezentren geschaffen werden. Diese müssen sich – an die Schwerpunktspitäler angeschlossen – um die medizinische und psychosoziale Nachsorge kümmern, aber auch um die Rückführung der Patientinnen und Patienten in den Arbeitsalltag.
Welche Herausforderungen stellen sich?
Kaufmann: Eine Herausforderung besteht in der Schnittstellenversorgung. Es braucht viel Kommunikation, um eine lückenlose Versorgung von der Erstdiagnose über die Therapie bis zur Nachsorge sicherzustellen. Eine weitere Herausforderung ist, das entsprechend qualifizierte Personal zu halten und auszubilden. Dazu müssen attraktive Rahmenbedingungen geschaffen werden.