Bewegung gegen die Müdigkeit
Mit angepasster körperlicher sportlicher Betätigung können besonders Nebenwirkungen der Chemotherapie gebessert werden, doch die Information ist bei vielen noch nicht angekommen.
Kraft- und Ausdauerverlust, persistierende Müdigkeit (Fatigue), kognitive Einschränkung, Depression – Krebspatienten kämpfen besonders während der medizinischen Behandlung mit solchen Symptomen. Die wissenschaftliche Evidenz dafür, dass Bewegung dabei helfen kann, diesen Symptomen entgegenzuwirken, ist in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen.
Besonders für das Fatigue-Syndrom, das bei circa 80 Prozent der Tumorpatienten auftrete, „gibt es kein Medikament, das so wirksam ist wie Bewegung“, sagt Philipp Zimmer, Professor für Sportmedizin an der TU Dortmund. Patienten denken oft, sie müssten sich hinlegen und die Müdigkeit ausschlafen, sagt David Kiesl, Onkologe am Ordensklinikum Linz und Sportmediziner. Doch das mache es meist nur schlimmer. „Es klingt paradox: Patienten sind energielos und abgeschlagen, man sagt ihnen, sie sollen sich bewegen.“
Rasche Verbesserung
Aber es funktioniert, „sie bemerken schnell eine Verbesserung, können die Bewegung aufrechterhalten“, berichtet Stefan Vogt, Leiter der Onkologischen Reha des LebensMed-Zentrums Bad Erlach. „Beobachtungsstudien weisen darauf hin, dass regelmäßige körperliche Aktivität das Sterberisiko von Brustkrebspatientinnen und -patienten fast halbieren kann“, weiß Zimmer.
Seit 2018 untersucht Kiesl in einer Studie mit 69 nicht metastasierenden Brustkrebspatientinnen gemeinsam mit Zimmer die Effekte von gezieltem, hochintensivem Intervalltraining begleitend zur Chemotherapie. Die Studie wird hauptsächlich von der Krebshilfe Oberösterreich finanziert.
Die bisherigen Resultate können sich sehen lassen: Das gezielte betreute Training sei eine „wesentliche Stütze“gewesen, schreibt eine Patientin. Eine andere fühle sich psychisch stabiler und erlebe eine Verminderung des Krankheitsgefühls, ihre Leistungsfähigkeit habe sich auch verbessert. Diese subjektiven Einschätzungen hofft Kiesl wissenschaftlich bestätigen
zu können. Ob die Ergebnisse signifikant sind, wird sich 2024 zeigen. Ziel der Studie sei es, Sport als Medikament – mit Dosierempfehlungen) – allen Krebspatienten anbieten zu können, sagt Kiesl.
Noch zu wenig beachtet
Obwohl der positive Einfluss von Bewegung auf Krebspatienten als Forschungsfeld „maximal boomt“, wie Zimmer es ausdrückt, werde dem Phänomen immer noch zu wenig Beachtung in der Akutmedizin geschenkt, berichtet Marlene Troch, Hämato-Onkologin, Sportmedizinerin und Psycho-Onkologin mit Praxis in Wien. Das sei vor allem fehlenden Strukturen geschuldet. „Während ärztlicher
Kontrollen unter laufenden Therapien geht es in erster Linie darum, die Therapie, Nebenwirkungen und das, was auf die Patienten zukommt, zu besprechen“, erklärt Troch. Außerdem können Patienten im Rahmen der ärztlichen Gespräche in der akuten Phase der Erkrankung nur begrenzt Informationen aufnehmen. Das ist ein Grund, warum sie ihren Patienten Bewegung als Teil eines ganzheitlichen Konzepts, in Verbindung mit medikamentösen Maßnahmen und psychosozialer Medizin anbietet. Troch stellt einen Trainingsplan auf, dem die Patienten dann folgen können. Denn: Jeder Patient hat ein anderes Krankheitsbild und Fitnesslevel, es gibt keine Musterlösung. Trotzdem sagen die Experten, dass auch Krebspatienten der Bewegungsempfehlung der Weltgesundheitsorganisation folgen können, also 150 Minuten die Woche moderates oder 75 Minuten intensives Training.
Auch die Compliance, also die Mitarbeit der Patienten, sei eine Herausforderung. Patienten, die mit Nebenwirkungen der Therapie zu kämpfen haben, seien verständlicherweise schwer zu motivieren. Deshalb hat sich in der Studie das HIIT-Training mit rascher Abfolge von intensiven Belastungs- und Erholungsphasen bisher bewährt, weil es eine „effiziente, kurze Intervention“und vom Aufbau her sehr gut umsetzbar sei. Er will einen Teil dazu beitragen, die Gesundheitskompetenz seiner Patienten zu fördern und ihnen ein wenig Unabhängigkeit zurückzugeben. „Unsere Patienten fragen oft: ,Was kann ich selbst zu meiner Genesung beitragen?‘ Die Antwort könnte so simpel sein: ,Werden Sie aktiv‘“, sagt der Onkologe.
In seiner Studie fängt Kiesl zu Beginn der Chemotherapie mit gezieltem Training an, um Nebenwirkungen bestenfalls zu verhindern. Doch auch Patienten, die die Chemo bereits hinter sich haben, kann Bewegung helfen. Eine onkologische Rehabilitation kann das nötige „Rüstzeug“mitgeben, sagt Vogt. Viele Patienten seien nach der anstrengenden Therapie sehr verunsichert, was die eigene Belastbarkeit angeht. Da sei die Reha gut geeignet, ihnen wieder Sicherheit zu geben und sie dazu zu bringen, Bewegung langfristig in den Alltag einzubauen, sagt Vogt. Denn: „Wie bei einem Medikament, das regelmäßig eingenommen werden muss, muss auch Bewegung regelmäßig passieren, um positive Effekte zu erzielen.“