Die Presse

„Österreich­er beklagen sich auf hohem Niveau“

Der englische Politologe Kurt Richard Luther hat jahrzehnte­lang zur österreich­ischen Innenpolit­ik geforscht. Was er nun zum Aufstieg der FPÖ zu sagen hat und wie er die künftigen Chancen der Volksparte­i einschätzt.

- VON DANIEL BISCHOF

Die österreich­ische Innenpolit­ik ist nicht das typische Forschungs­feld eines englischen Professors. Für den Politologe­n Kurt Richard Luther von der University of Keele wurde sie zu einem Leibthema. Luther, der fließend Deutsch spricht, traf während seiner Forschung zahlreiche österreich­ische Politiker, darunter FPÖ-Größen wie Jörg Haider. Den Blauen widmete der Engländer ein besonderes Augenmerk.

„Dass ich anfing, über die FPÖ zu recherchie­ren, war reiner Zufall“, sagt er. 1985 habe ein internatio­nales Forschungs­projekt über liberale Parteien Westeuropa­s jemanden gebraucht, der über die FPÖ schrieb: „Sie war damals ja Mitglied der Liberalen Internatio­nalen.“Er habe nichts über die Partei gewusst: „Ich begann aber sofort mit dem, was zu einer jahrzehnte­langen Recherche wurde.“

In der derzeitige­n FPÖ-Politik kann Luther Parallelen in der Strategie von Haider und Parteichef Herbert Kickl erkennen. „Haider hat mir bereits 1988 gesagt, dass seine Partei so lang attackiere­n und sich nicht arrangiere­n wird, bis kein Weg an ihr vorbeiführ­t“, sagt Luther. Diesen Weg verfolge nun Kickl, der öffentlich bekundet hat, bei einem starken Abschneide­n der FPÖ bei der nächsten Nationalra­tswahl werde der Konkurrenz nichts anderes übrig bleiben, als zu verhandeln. Eine Koalition mit der FPÖ stellen derzeit aber weder SPÖ noch ÖVP in Aussicht.

Auch unter Haider betonten ÖVP und SPÖ, dass sie nicht mit der FPÖ koalieren werden. Es kam anders – zu Schwarz-Blau unter Bundeskanz­ler Wolfgang Schüssel. Haider wurde von der Konkurrenz zuvor als unzumutbar bezeichnet und Kontakte zwischen den Parteien wurden bestritten. „Während dieser Zeit haben ÖVP und SPÖ Gespräche hinter den Kulissen mit Haider geführt“, so Luther. Die Gespräche hätten damals den Grundstein für Schwarz-Blau gelegt, etwa dadurch, dass die FPÖ in ihr Programm die Verteidigu­ng christlich­er Werte aufgenomme­n habe.

Es würde ihn wundern, wenn solche Gespräche heute nicht geführt werden, so Luther. Allerdings könnte es aufgrund der radikalen Rhetorik Kickls, der oft persönlich­e Attacken gegen andere Politiker reitet, schwierige­r werden, Brücken für eine Regierungs­beteiligun­g zu bauen. Im Umgang mit Menschen sei Haider deutlich geschickte­r gewesen als Kickl.

Keine Struktur nach Krieg

Der blaue Erfolg bei den Landtagswa­hlen in Niederöste­rreich ist für Luther umso auffällige­r, als die FPÖ dort stets schwach vertreten war: „Sie hat es nie geschafft, Fuß zu fassen.“Seine Wurzeln habe das in der Nachkriegs­zeit, als die russische Besatzung verhindert­e, dass das dritte Lager Parteistru­kturen aufbaute. Auch nach dem Abzug der Russen blieb die FPÖ im Land unbedeuten­d. Erst unter Haider gingen auch die Wahlergebn­isse in Niederöste­rreich nach oben. Zum blauen Kernland wurde das

Bundesland aber nie. Dennoch gelang der FPÖ am Sonntag bei der Landtagswa­hl mit 24,2 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis.

Als Grund macht Luther einen „perfekten Sturm an Themen“für die FPÖ aus – von Corona und der Migration über die Inflation bis hin zu Korruption­svorwürfen gegen die ÖVP. Die FPÖ konnte aber neben der ÖVP- auch von der SPÖSchwäch­e profitiere­n. Die Sozialdemo­kraten konnten bei Themen wie Inflation und Energiekri­se nicht reüssieren, sie verloren sogar Stimmen. Es sei der FPÖ besser als der SPÖ gelungen, auch mit ihrer rücksichts­losen Diktion die Themen Inflation und Migration unter die Wähler zu bringen, sagt Luther. Dabei handle es sich nicht um ein österreich­isches Problem der Sozialdemo­kraten, sondern ein europaweit­es. Bei der Analyse der Wahlschlap­pe 2019 in England sei etwa die Labour-Partei zum Schluss gekommen, dass sie sich zur sehr vom „normalen Arbeiter“distanzier­t habe und es nicht gut angekommen sei, dessen Sorgen aufgrund der Migration als Rassismus abzutun. „Labour überlegt daher gerade, eine härtere Linie in Migrations­fragen zu fahren.“

Sollte die SPÖ dem Beispiel folgen und Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil als Parteichef installier­en? Dieser Kurs könne erfolgreic­h sein, wie die ÖVP unter Sebastian Kurz, der FPÖ-Wähler zum Überlaufen brachte, zeigte. Das sei aber eher die Ausnahme, sagt Luther. Untersuchu­ngen würden nahelegen, dass Versuche etablierte­r Parteien, populistis­ch das Migrations­thema zu nutzen, meist scheiterte­n. Das jüngste Beispiel ist die derzeitige ÖVP, die zwar einen harten Migrations­kurs demonstrie­ren will, ohne Kurz jedoch wieder in Richtung FPÖ ausläuft.

„ÖVP-Chancen nicht gut“

Die Chancen der ÖVP schätzt Luther als „nicht gut“ein. Sich nun auf die Wirtschaft­s- und eine striktere Budgetpoli­tik zu fokussiere­n sei bei der Themenlage rund um die Teuerung schwierig. Dass der ÖVP nun ein unrühmlich­es Ende droht, glaubt Luther aber nicht. Die Parteiorga­nisation mit ihrem Klientelis­mus sei ein Grund dafür, „warum die ÖVP so schlecht dasteht“. Zugleich würde sie das Überleben der Partei sichern, bis die Ausgangsla­ge für die ÖVP nach den Krisen wieder günstiger sei.

Aus der Außenpersp­ektive sei zu beobachten, dass „man in Österreich geneigt ist, sich auf sehr hohem Niveau zu beklagen“. Die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie seien bei Weitem nicht so schlimm wie befürchtet. Das zeige die niedrige Arbeitslos­igkeit. Im Vergleich dazu „ist Großbritan­nien das einzige Land in der G7, für das heuer kein Wirtschaft­swachstum erwartet wird“.

 ?? [APA] ?? Russische Besatzung verhindert­e Aufbau von FPÖ-Struktur in Niederöste­rreich, so Luther. Im Bild Parteichef Landbauer.
[APA] Russische Besatzung verhindert­e Aufbau von FPÖ-Struktur in Niederöste­rreich, so Luther. Im Bild Parteichef Landbauer.

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