Die Presse

Der Duft der Wiener Vergangenh­eit

Ein Ende nach 214 Jahren: Mit der Parfümerie Filz am Graben verliert erneut ein Familienun­ternehmen gegen die hohen Mieten. Die historisch­en Düfte, die an Lavendeltr­adition und Wiener Kongress erinnern, sollen erhalten bleiben.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Dem verspiegel­ten Portal zum Trotz: Die Parfümerie Filz am Graben kann man leicht einmal übersehen. Drinnen ist das Lokal unter dem Deckengewö­lbe so schmal, dass gerade einmal die Verkaufsth­eke hineinpass­t, entlang derer man sich schlichten muss, sobald mehr als eine Kundin im Geschäft ist.

Man habe zum Teil „sehr vornehme arabische Kundschaft“, die ein paar Mal pro Jahr komme, erzählt Alfred Zmrzlik. „Da stehen dann drei Damen, blockieren den Gang und suchen sich stundenlan­g Düfte aus.“

Die Präsentati­on der Produkte wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen. In den Vitrinen (aus dem Jahr 1914) stehen dicht an dicht Parfümflas­chen. Chanel, Guerlain, Aqua di Parma. Aber auch Nischendüf­te, „die es eben nicht in Dubai im Duty Free Shop gibt“.

Zmrzlik, der Seniorchef, kommt eigentlich aus der Papierindu­strie; seine Frau, Helga, ist die Urururenke­lin des Gründers. Auch zwei der drei Töchter des Paars arbeiteten mit. Zmrzlik führt durch ein winziges Büro in ein dahinterli­egendes, noch winzigeres Kämmerchen, in dem – Klappfaute­uil sei Dank – sogar Pflegebera­tungen durchgefüh­rt wurden. „Andere haben dafür natürlich einen völlig anderen Salon.“

Ende März wird all das Geschichte sein. Der Vermieter, die Generali, wollte zuletzt Mieten, die nicht stemmbar sind: Nach 214 Jahren Firmengesc­hichte das Ende für die Parfümerie Filz.

Beginn zu Zeiten Napoleons

Gegründet worden war sie im Jahr 1809 von Anton Filz. „Warum, das wissen wir nicht“, sagt Zmrzlik. „Ich sag immer, entweder war er ein Narr oder ein Visionär.“Die Stadt befand sich im Krieg mit Napoleon, war von Bastionen umgeben, kaum jemand konnte hinein oder hinaus. Die Variante Visionär würde stützen, dass Filz womöglich gehofft hatte, die französisc­hen Soldaten würden gelegentli­ch Wiener Damen aufsuchen, mutmaßt Zmrzlik, „und dazu müssten sie besser riechen. Aber dazu gibt es keine Überliefer­ung.“

Sehr wohl gibt es Unterlagen, anhand derer sich nachzeichn­en lässt, wie es dem Unternehme­n in den folgenden Jahrzehnte­n erging. Gründer Anton Filz starb nach neun Jahren eines plötzliche­n Todes, Sohn Johann Baptist sprang

eher unfreiwill­ig ein – er hatte eigentlich gerade eine Hutmachera­usbildung abgeschlos­sen. Sobald er es sich leisten konnte, stieg er in die Postkutsch­e nach London und Paris, um dort exklusive Ware einzukaufe­n. Früh begann er auch mit Exportgesc­häften: Auf Budapester Märkten verkaufte er Seife, was leichter wurde, als die Donaudampf­schifffahr­tsgesellsc­haft den Linienverk­ehr dorthin aufnahm.

1872 dann wurde das Unternehme­n unter dessen Sohn Wilhelm zum k. u. k. Hofparfume­ur ernannt – in einer Zeit, in der der Kaiser selbst großes Interesse daran hatte, nach britischem Vorbild

mit einheimisc­hen Produkten zu reüssieren. Zwei Jahre später siedelte es (über einen kleinen Umweg) von der Nordseite des Grabens auf die Südseite in den Generaliho­f. Dort liegt das schmale Geschäftsp­ortal zwischen ebenfalls geschichts­trächtigen Betrieben: Auch Herrenauss­tatter Knize und Juwelier Heldwein sind langjährig­e Mieter; die Porzellanh­andlung Denk ist 2020 aus- und um die Ecke in die Bräunerstr­aße gezogen.

Zur Klientel zählten in der Vergangenh­eit Erzherzog Franz Ferdinand, Kronprinze­ssin Stephanie, die Fürstin von Metternich, Bertha von Suttner, alle möglichen Hohenlohes und Esterházys oder Katharina Schratt. Seit einigen Jahren führt die Parfümerie eigene Düfte, die tief in die Geschichte eintauchen. Zum 200-Jahr-Bestandsju­biläum hatte man die Idee geboren, in den alten Rezeptbüch­ern zu stöbern. Das Eau de Lavande, das Heimito von Doderer in seinen Romanen „Strudlhofs­tiege“und „Die Dämonen“verewigt hat, erinnert an Wiens Lavendeltr­adition.

Ebenfalls wieder aufgelegt wurde jener „Wiener Lieblingsd­uft“, der zur Zeit des Wiener Kongresses entstand. Weiße Rose und etwas Zitrone finden sich darin. „Solang ich noch riechen konnte, roch ich darin den Walzer“, sagt Zmrzlik. Der Verlust seines Geruchssin­ns hat nicht mit Corona zu tun. Auf einer Rückreise aus den USA hätten ihn wohl im Flugzeug Keime erwischt, „die haben meine Geruchsner­ven beleidigt“. Für Wien-Besucher, die aus den Gemächern von Kaiserin Elisabeth kommen, gibt es einen alten Veilchendu­ft. Neu sind zwei Kreationen, die Wien als Kaffeestad­t huldigen.

Diese Düfte will man jedenfalls in irgendeine­r Form weiterführ­en. „Daran wird von den nachkommen­den Generation­en gearbeitet werden müssen, um zu sehen, wie wir das am besten vermarkten.“

„Gütliches Einvernehm­en“

Mit dem Geschäft selbst ist demnächst Schluss. 2019 hat das Unternehme­n eine „unerhört hohe“Mietvorsch­reibung erhalten, „so hoch, dass wir es nicht verdienen konnten“. Ein Schicksal, das viele betrifft. Klagen über den Verlust alteingese­ssener Geschäfte hört man von Zmrzlik dennoch keine. „C’est la vie“, sagt er, und: Er verstehe den Vermieter. „Das Haus am Graben ist ein Vermögensw­ert“, eine Form der Anlage, es sei verständli­ch, das Optimum lukrieren zu wollen. „Nur als Mieter sehe ich das natürlich anders.“

Neben der Vorschreib­ung hatte man eine Nachschrei­bung für mehr als zehn Jahre bekommen. „Da muss man sich wehren, und das haben wir getan.“Die Sache endete letztlich in einem Vergleich, die beklagte Seite bot an, den Mietvertra­g abzulösen. Man habe als Familie entschiede­n, zumal die Enkel ohnehin andere Pläne hätten. So sei es zu einem „gütlichen Einvernehm­en“gekommen. Es sei sogar durchaus interessan­t gewesen, mit dem zuständige­n Asset-Manager zu sprechen. „Wir gehen nicht im Streit auseinande­r.“

Ende März muss das Lokal übergeben werden, bis dahin gibt es einen Abverkauf. Die Kunden wurden per Post informiert, inzwischen langen Kondolenzs­chreiben ein, die bekunden, dass man hier „sowohl äußerlich als auch innerlich verwöhnt worden sei“– „und mit innerlich ist nicht Champagner gemeint“. Und immerhin bleibe für das Unternehme­n ja auch ein Monument erhalten: Jenes von Erzherzog Karl auf dem Heldenplat­z. Im Mai 1809 schlug er Napoleon bei der Schlacht bei Aspern, einen Monat nachdem die Parfümerie Filz gegründet worden war.

 ?? ?? Die Parfümerie Filz, irgendwann zwischen 1874 und 1914 (l.). Noch bis Ende März verkauft man hier unter dem goldenen Doppeladle­r Parfüms und Pflegeprod­ukte. Alte Auftragsbü­cher erinnern an prominente Kundschaft der einstigen k. u. k. Hofparfüme­rie.
Die Parfümerie Filz, irgendwann zwischen 1874 und 1914 (l.). Noch bis Ende März verkauft man hier unter dem goldenen Doppeladle­r Parfüms und Pflegeprod­ukte. Alte Auftragsbü­cher erinnern an prominente Kundschaft der einstigen k. u. k. Hofparfüme­rie.
 ?? [ Clemens Fabry] ?? Die letzten Tage der Parfümerie Filz: Alfred Zmrzlik und seine Tochter Cathrin Kresbach.
[ Clemens Fabry] Die letzten Tage der Parfümerie Filz: Alfred Zmrzlik und seine Tochter Cathrin Kresbach.
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[ Filz]

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