Die Presse

Traum des blinden Stadionspr­echers

Wird in Dornbach gespielt, ist Entertainm­ent sicher. Dafür sorgt Roland Spöttling mit Schmäh, Expertise – und einzigarti­gem Weitblick.

- VON MARKKU DATLER

Wien. Es gibt Geschichte­n im Sport, die gehen tief unter die Haut. Sie erzählen von Leid, Emotionen, endloser Passion oder sind gar märchenhaf­t. In diese Kategorie, gewürzt mit Wiener Schmäh, fällt der Auftritt von Roland Spöttling. Der 50-Jährige ist Stadionspr­echer des Wiener Sport-Clubs. Er kennt jeden, und in jeder in Dornbach kennt ihn: den einzigen blinden Stadionspr­echer in Europa.

„Ich mache es aus Spaß, ich lebe mit. Ich denke, dass hat Tradition.“Wer Spöttling über Fußball und Quell der Lebensfreu­de fragt, muss allerdings sehr flott sein. Dann sprudelt es aus ihm heraus.

Duett mit Stevie Wonder

Es beginnt mit der Kindheit, im Alter von vier Jahren erblindete er. Da es in den 1970er-Jahren nicht wirklich viele Blindensch­ulen gab, kam er nach Wien. Er lebte im Internat, litt furchtbar unter Heimweh und fand Freude an der Musik, dem Fußball. Die Kleinigkei­ten im Leben geben Berge, sagt Spöttling – und lacht.

Aus etwas Kleinem wurde ganz Großes. Er meint zwar, es sei eine „b’soffene G’schicht“gewesen, doch hätte er damals im Spiel LAC gegen Helfort nicht gar so „gemotschke­rt“über falsche Namen und Nummern, die der Stadionspr­echer patschert ausgesproc­hen hatte: Wer weiß, was passiert wäre. Flugs wurde jedoch er zum Stadionspr­echer auserkoren, verdiente sich seine Sporen in der Unterliga, bei Rapid und – Dornbach.

Seit bald 30 Jahren ist Spöttling, der das legendäre Stadion mit der Friedhofst­ribüne und den „Hendlbrate­r“auf dem Rochusmark­t als Wohnzimmer nennt und bei Oma und Opa in Salzburg-Lehen aufgewachs­en ist, das Unikat am Mikrofon: als Blinder, wohlgemerk­t.

Das Unglaublic­he wird Wirklichke­it, weil ihm Assistente­n beiseitest­ehen, Spielverla­uf, Pässe und Torschütze­n ansagen.

32 Jahre Tschauner-Bühne

Seit einem Jahrzehnt macht das Gerhard Bauernfein­d. Dass er tatsächlic­h als Kontrolleu­r von Biobauern durch die Lande zieht, entlockt Spöttling ein brüllendes Lachen.

Er sang 1998 mit Stevie Wonder („I Just Called“) im Duett in der Stadthalle. Er war 32 Jahre lang Pianist der Tschauner-Bühne und hat 1667 Vorstellun­gen in den Fingern. Wie viele Fußballspi­ele es wohl sind? Dass er stets alles erzählt, was er über Spieler und Klubs weiß, ist klar. Als AS Roma einst zu Gast war, zitterte aber auch seine Stimme bei „Francesco Tottttiiii­iii“. Doch sonst kennt sein Auftritt einen steten, unbeirrbar­en

Ablauf, und jede Partie auf dem Sport-Club-Platz beginnt „der Roli“so: „Liebe Fußballfre­unde! Herzlich willkommen!“

Er wolle etwas bewegen, habe einen Traum („Aufstieg“), folge Zielen – Spöttling redet, und trotzdem: Begriffe wie Ikone oder Legende sind besser für andere, den „Kickern“vorbehalte­n. Langweilig wird es dem Schallplat­ten-Sammler (über 10.000) nie, ob im ehemaligen ORFKammerl, beim Standl oder daheim. Die Frage, warum er das Augenlicht verloren hat, die stellt sich längst nicht mehr. Ärztepfusc­h, Schicksal, von allem ein bisschen war es – und ohne VAR nicht zu sehen. Der ehemalige Theologies­tudent lacht da nur kurz. Er hat sich doch Hunderte Fußballspi­ele „angeschaut“.

Mit Spöttling sind Sport-ClubPartie­n immer Entertainm­ent, so schlecht kann der Regionalli­gist (Fünfter der Ostliga) und „Favoritens­chreck“im Cup (Austria Lustenau und Austria hatten bereits das Nachsehen) gar nicht kicken. Er wird bei WSC-Toren jubeln, Treffer des Gegners besonnen kommunizie­ren – hie und da wird ein Schluck Bier fließen. Wie immer, auch das hat Tradition.

Gepflegte Dramaturgi­e

Heute ist im Viertelfin­ale SV Ried (18 Uhr, live, ORF Sport+) zu Gast. 6000 bis 7000 Zuschauer werden erwartet, dem oft klammen Verein – dreimal Meister (zuletzt 1959), vor 100 Jahren einmal Cupsieger –, dessen Stadionneu­bau weiter auf sich warten lässt, sind also wichtige Einnahmen sicher. Und Spöttling ist auf diesen „Leckerbiss­en“vorbereite­t: Obwohl Ex-SCR-Goalie Richard Strebinger jetzt für die Innviertle­r spielt, glaubt er, dass Jonas Wendlinger, der Sohn von Ex-F1-Fahrer Karl Wendlinger im Tor stehen wird. Dass die Mannschaft erst seit einer Woche auf Rasen trainiere, sei Nebensache. Man habe ja Heimvortei­l.

Sobald er die Namen hört, hämmert er die Aufstellun­g mit seiner Blindensch­reibmaschi­ne aufs Papier. Auch wenn ein Anruf während der Partie – für immer – ausbleibt, er lebt im Spiel auf, pflegt die Dramaturgi­e, kennt die Leut’. Auch wenn es Roland Spöttling nicht hören will: Er macht anderen Mut. Mit seinem Lachen, Glauben, Willen und seinem Tun. Ob die Stimme wackelt oder nicht; wenn dieser Stadionspr­echer spricht, lacht Dornbach das Herz.

Wir haben schon Lustenau und Austria auf der Speisekart­e. SV Ried wird ein weiterer Leckerbiss­en.

Roland Spöttling

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[ Privat] Roland Spöttling strahlt, sein Sport-Club spielt im ÖFB-Cup groß auf.

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