Traum des blinden Stadionsprechers
Wird in Dornbach gespielt, ist Entertainment sicher. Dafür sorgt Roland Spöttling mit Schmäh, Expertise – und einzigartigem Weitblick.
Wien. Es gibt Geschichten im Sport, die gehen tief unter die Haut. Sie erzählen von Leid, Emotionen, endloser Passion oder sind gar märchenhaft. In diese Kategorie, gewürzt mit Wiener Schmäh, fällt der Auftritt von Roland Spöttling. Der 50-Jährige ist Stadionsprecher des Wiener Sport-Clubs. Er kennt jeden, und in jeder in Dornbach kennt ihn: den einzigen blinden Stadionsprecher in Europa.
„Ich mache es aus Spaß, ich lebe mit. Ich denke, dass hat Tradition.“Wer Spöttling über Fußball und Quell der Lebensfreude fragt, muss allerdings sehr flott sein. Dann sprudelt es aus ihm heraus.
Duett mit Stevie Wonder
Es beginnt mit der Kindheit, im Alter von vier Jahren erblindete er. Da es in den 1970er-Jahren nicht wirklich viele Blindenschulen gab, kam er nach Wien. Er lebte im Internat, litt furchtbar unter Heimweh und fand Freude an der Musik, dem Fußball. Die Kleinigkeiten im Leben geben Berge, sagt Spöttling – und lacht.
Aus etwas Kleinem wurde ganz Großes. Er meint zwar, es sei eine „b’soffene G’schicht“gewesen, doch hätte er damals im Spiel LAC gegen Helfort nicht gar so „gemotschkert“über falsche Namen und Nummern, die der Stadionsprecher patschert ausgesprochen hatte: Wer weiß, was passiert wäre. Flugs wurde jedoch er zum Stadionsprecher auserkoren, verdiente sich seine Sporen in der Unterliga, bei Rapid und – Dornbach.
Seit bald 30 Jahren ist Spöttling, der das legendäre Stadion mit der Friedhofstribüne und den „Hendlbrater“auf dem Rochusmarkt als Wohnzimmer nennt und bei Oma und Opa in Salzburg-Lehen aufgewachsen ist, das Unikat am Mikrofon: als Blinder, wohlgemerkt.
Das Unglaubliche wird Wirklichkeit, weil ihm Assistenten beiseitestehen, Spielverlauf, Pässe und Torschützen ansagen.
32 Jahre Tschauner-Bühne
Seit einem Jahrzehnt macht das Gerhard Bauernfeind. Dass er tatsächlich als Kontrolleur von Biobauern durch die Lande zieht, entlockt Spöttling ein brüllendes Lachen.
Er sang 1998 mit Stevie Wonder („I Just Called“) im Duett in der Stadthalle. Er war 32 Jahre lang Pianist der Tschauner-Bühne und hat 1667 Vorstellungen in den Fingern. Wie viele Fußballspiele es wohl sind? Dass er stets alles erzählt, was er über Spieler und Klubs weiß, ist klar. Als AS Roma einst zu Gast war, zitterte aber auch seine Stimme bei „Francesco Tottttiiiiiii“. Doch sonst kennt sein Auftritt einen steten, unbeirrbaren
Ablauf, und jede Partie auf dem Sport-Club-Platz beginnt „der Roli“so: „Liebe Fußballfreunde! Herzlich willkommen!“
Er wolle etwas bewegen, habe einen Traum („Aufstieg“), folge Zielen – Spöttling redet, und trotzdem: Begriffe wie Ikone oder Legende sind besser für andere, den „Kickern“vorbehalten. Langweilig wird es dem Schallplatten-Sammler (über 10.000) nie, ob im ehemaligen ORFKammerl, beim Standl oder daheim. Die Frage, warum er das Augenlicht verloren hat, die stellt sich längst nicht mehr. Ärztepfusch, Schicksal, von allem ein bisschen war es – und ohne VAR nicht zu sehen. Der ehemalige Theologiestudent lacht da nur kurz. Er hat sich doch Hunderte Fußballspiele „angeschaut“.
Mit Spöttling sind Sport-ClubPartien immer Entertainment, so schlecht kann der Regionalligist (Fünfter der Ostliga) und „Favoritenschreck“im Cup (Austria Lustenau und Austria hatten bereits das Nachsehen) gar nicht kicken. Er wird bei WSC-Toren jubeln, Treffer des Gegners besonnen kommunizieren – hie und da wird ein Schluck Bier fließen. Wie immer, auch das hat Tradition.
Gepflegte Dramaturgie
Heute ist im Viertelfinale SV Ried (18 Uhr, live, ORF Sport+) zu Gast. 6000 bis 7000 Zuschauer werden erwartet, dem oft klammen Verein – dreimal Meister (zuletzt 1959), vor 100 Jahren einmal Cupsieger –, dessen Stadionneubau weiter auf sich warten lässt, sind also wichtige Einnahmen sicher. Und Spöttling ist auf diesen „Leckerbissen“vorbereitet: Obwohl Ex-SCR-Goalie Richard Strebinger jetzt für die Innviertler spielt, glaubt er, dass Jonas Wendlinger, der Sohn von Ex-F1-Fahrer Karl Wendlinger im Tor stehen wird. Dass die Mannschaft erst seit einer Woche auf Rasen trainiere, sei Nebensache. Man habe ja Heimvorteil.
Sobald er die Namen hört, hämmert er die Aufstellung mit seiner Blindenschreibmaschine aufs Papier. Auch wenn ein Anruf während der Partie – für immer – ausbleibt, er lebt im Spiel auf, pflegt die Dramaturgie, kennt die Leut’. Auch wenn es Roland Spöttling nicht hören will: Er macht anderen Mut. Mit seinem Lachen, Glauben, Willen und seinem Tun. Ob die Stimme wackelt oder nicht; wenn dieser Stadionsprecher spricht, lacht Dornbach das Herz.
Wir haben schon Lustenau und Austria auf der Speisekarte. SV Ried wird ein weiterer Leckerbissen.
Roland Spöttling