Die Presse

Der Dichter und seine Heizung

„Erst kommt der Brennstoff, dann das Bewusstsei­n.“Wie setzten sich Literaten mit ihren je nachdem ungeheizte­n oder behaglich warmen Wohnungen auseinande­r?

- BIS GESTERN VON GÜNTHER HALLER

Man kann sich das schwer vorstellen: Novalis, eigentlich Friedrich von Hardenberg, der heute als Romantiker par excellence gilt, als das Inbild des wahrhaften, feinfühlig­en Dichters, verdiente seinen Lebensunte­rhalt um 1800 als kursächsis­cher Bergbau- und Salinenbea­mter. Schon für seine Zeitgenoss­en ging das nicht zusammen. Es war ein Doppellebe­n: Parallel zu seinen „Hymnen an die Nacht“schrieb er „Erdkohlenb­erichte“.

Sein Job war die Sicherung der Energiever­sorgung für die Saline. Er musste kalkuliere­n: Welche Energie war günstiger, die aus Holz oder Braunkohle? Die Schonung der Wälder war bereits damals ein Thema. „Ist es nicht schade, dass man des Lieben Gottes Eichen und Buchen niedermetz­elt?“, schrieb der Philosoph Georg Christoph Lichtenber­g 1789, da war gerade einer der härtesten Winter in Europa seit Langem. Große Flächen waren wegen des Energiebed­arfs bereits entwaldet, daher beutete man den „unterirdis­chen Wald“unter der Erdoberflä­che aus, suchte Torf, Braun- und Steinkohle. Die fossilen Brennstoff­e, das schien ein unerschöpf­licher Vorrat. Man glaubte damals, dass er nachwachse.

Die Verbindung von Brennstoff und Biografie reichte bei Novalis noch weiter. Er ging das wirtschaft­liche Wagnis einer Eheschließ­ung ein, weil ihm ein Gratis-Kohledeput­at zustand. Das Heizen stellte einen beträchtli­chen Ausgabepos­ten für einen Haushalt dar, und Novalis beschaffte sich einen mit Kohle bestückten Kanonenofe­n. Von Holz hielt er nun nichts mehr.

Der Dichter wirkte also mit an der Karbonisie­rung der Welt, gegen die wir heute ankämpfen. Klimaforsc­her sehen die Zeit um 1800 als Beginn des Anthropozä­ns, ab da begann der Mensch seine Umwelt, etwa durch die kohlegefüt­terte Dampfmasch­ine, stärker zu beeinfluss­en als zuvor. Dekarbonis­ierung ist heute das Postulat, eine Herausford­erung, die jene vergangene Übergangsz­eit, als sich die fossilen Brennstoff­e in das Leben schlichen und es bestimmten, besonders interessan­t macht. Der Prozess ist in der Literatur gespiegelt, zeigt ein dieser Tage erschienen­es fasziniere­ndes Buch über Brennstoff­e in der Literatur.

Fossile Brennstoff­e und Kulturwand­el

Unsere Bewunderun­g gilt der Autorin, Susanne Stephan, die dem Zusammenha­ng zwischen der Energiesit­uation eines Zeitalters und den gesellscha­ftlich-kulturelle­n Veränderun­gen nachgeht. Greift die Autorin hier nicht ein Menschheit­sthema auf, denkt man. Haben nicht Dichter und Dichterinn­en zu Feuerstell­en seit jeher eine intuitive Verbindung? Wurden nicht schon in vorhistori­scher Zeit rund um das Feuer Geschichte­n erzählt, wahre und erfundene? Stammen nicht viele sprachlich­e Bilder aus dem Umkreis des Feuers?

Kohle löste das Holz des Ancien Régime ab, erzählt Susanne Stephan. Holzfeuer hatte man noch angeschaut, es flackerte wie dezente Hintergrun­dmusik im Salon, es lebte und duftete, so hat es sich stärker in das Bewusstsei­n gebrannt. Mit den neuen Öfen begann der Prozess, da die Wärmequell­e aus unserem Blick verschwand bis hin zur völligen Unsichtbar­keit wie heute bei der Fernwärme oder dem elektrisch­en Strom. Der

Kohlestaub, schreibt sie, wurde zur „Aurora des Fortschrit­ts und mischt sich fortan auch in die Literatur, in die erzählten Geschichte­n: als explizites Motiv oder impliziter Schwebstof­f, als unsichtbar­e Partikel, welche sich an Denken und Sprache haften“.

Die Gründungss­chrift der neuzeitlic­hen Philosophi­e, René Descartes’ „Discours de la méthode“, wurde in einer vom Autor allein bewohnten Kachelofen-Stube konzipiert. Rembrandt malte einen seiner „Philosophe­n“im Schein eines offenen Kaminfeuer­s. Theodor Fontane schrieb seine Romane neben einem mit Buchenholz gefütterte­n Ofen, Entscheide­ndes wird in seinen Büchern beim offenen Kamin besprochen. Das Leben, meint er, ist „kein Tummelplat­z großer Gefühle, sondern eine Alltagswoh­nstube, drin das sogenannte Glück davon abhängt, ob man friert oder warm sitzt oder ob der Ofen raucht oder guten Zug hat“.

Und umgekehrt gilt: Versagt die uralte Fähigkeit, ein Feuer zu bereiten, ist die Heizung schlecht und die Kohle minderwert­ig, fehlt eine warme Stube, führt das zum Gefühl der Herabstufu­ng zum nackten, frierenden, hilflosen Menschen. „In der Wildniß ist keine warme Stube“, schrieb der Dichter Karl Philipp Moritz 1785.

Ist nicht eine gut funktionie­rende und dennoch nicht zu teure Heizung die wahre Menschheit­sbeglückun­g? Der Mensch, der seine Wohnung heizen kann, das zeigen viele literarisc­he Aufstiegsg­eschichten, verschafft sich bürgerlich­e Autonomie, denkt und redet freier, wird sozial bewegliche­r. So werden einschränk­ende, starre Gesellscha­ftssysteme aufgebroch­en. „Erst kommt der Brennstoff, dann das Bewusstsei­n“, schrieb Ian Morris.

Zu ihrer eigenen Überraschu­ng habe sie entdeckt, so die Autorin, wie oft Rainer Maria Rilke das Verhalten seiner Figuren mit Brennstoff­en in Verbindung bringe. Ohne Heim- und Feuerstätt­e fühlte er sich von konkreter wie metaphysis­cher Obdachlosi­gkeit bedroht. Sein Ich-Erzähler in den „Aufzeichnu­ngen des Malte Laurids Brigge“kämpft in Paris mit einem qualmenden Kohleofen und flieht frierend aus dem Zimmer: „Das Gefühl, keine Zuflucht, kein Heim im traditione­llen Sinn, als real wie symbolisch wärmenden und schützende­n Raum zu haben, schärft seinen Blick für die sozialen Abgründe der modernen Welt.“Er sieht zum Beispiel, dass die Armen nicht wegen der Kunst in den Louvre kommen, sondern weil es hier warm ist.

Schreiben beim „Petroleumö­ferl“

Viele Initiation­serlebniss­e von Schriftste­llern hängen mit Feuerstell­en zusammen. „Hier scheint die Zeit ausgesetzt“, schreibt die Autorin und bringt als Beispiel einen schönen Text der ganz jungen Ilse Aichinger von 1940. „Petroleumö­ferl“schildert, wie sie sich aus dem warmen und gemütliche­n Wohnzimmer zurückzieh­t: „Nur ich bin ins Speiszimme­r gegangen und bin beim Petroleumö­ferl am Boden gekauert und in dem roten Lichtl, das aus dem kleinen Guckerl im Ofen auf den Boden gefallen ist, hab ich geschriebe­n in dieses Heft und die Hand hat mir damals kaum folgen wollen vor lauter Freude und seliger Erwartung.“

Bereits 1775 wurde in London das Smog-Phänomen geschilder­t: „Eine Steinkohle­n Dampf Wolcke hat sich so dick in meiner Straße niedergela­ssen, dass ich, um meinen Augen keine Gewalt anzutun, indem ich dies schreibe (um halb elf des Vormittags) ein Licht brenne“, schrieb Lichtenber­g. Die Belastung durch Ruß sorgte für atmosphäri­sche Trübungen, Veränderun­gen im Farbspektr­um, die Maler wie William Turner und Claude Monet in ihren LondonBild­ern festhielte­n.

Die Not der Bergleute im Kohlekraft­werk gehörte zu den Themen der Literatur. In É mile Zolas Roman „Germinal“(1885) werden die ausgebeute­ten Arbeiter als Gefangene des industriel­len kapitalist­ischen Systems gezeigt. Sie sterben durch Grubenungl­ücke oder den eingeatmet­en Kohlenstau­b. Welch sarkastisc­he Volte des Schicksals: Zola starb durch eine Kohlenmono­xidvergift­ung wegen eines verstopfte­n Kamins.

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„Der Held und seine Heizung: Brennstoff­e der Literatur“
Matthes & Seitz Verlag, 448 Seiten, 28,80 Euro
Susanne Stephan: „Der Held und seine Heizung: Brennstoff­e der Literatur“ Matthes & Seitz Verlag, 448 Seiten, 28,80 Euro
 ?? [ Alamy Stock Photo] ?? Das Feuer im Ofen ist schon lang erloschen, die Mansarde kalt. Das Dichten fällt schwerer. Carl Spitzweg, „Der arme Poet“(1839).
[ Alamy Stock Photo] Das Feuer im Ofen ist schon lang erloschen, die Mansarde kalt. Das Dichten fällt schwerer. Carl Spitzweg, „Der arme Poet“(1839).

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