Die Presse

Südtirol: Wiens Tarnen und Täuschen

Figl und Klaus standen unter Druck der Italiener. So mussten sie mit gespaltene­r Zunge sprechen.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Dieses Buch sollte gar nicht erscheinen – wäre es nach der Volksparte­i gegangen. Der „alten“, der „schwarzen“, die nun offenbar wieder das Gesetz des Handelns übernimmt. Verständli­ch. Denn in weiten Passagen sind die hier erstmals veröffentl­ichten Dokumente zu Österreich­s Südtirol-Politik wenig schmeichel­haft – für die ÖVP-Politik in den Jahren 1945 bis 1967, also während des Kalten Kriegs. Damals lagen die Interessen Österreich­s und jene Italiens völlig konträr, obwohl sowohl in Wien als auch in Rom christlich­e Schwesterp­arteien regierten. Italien war aber ein wichtiger Partner der Nato, und so gerieten Südtirol und seine verschwind­end kleine (militärisc­h neutrale) „Schutzmach­t“Österreich unter die Räder.

Eine zwiespälti­ge Rolle spielte dabei der Kärntner Rudolf Moser: Vertrauens­mann der ÖVP, aber auch des Vatikans und der DC. Und so dürfte er schon im Jahr 1946 dem italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Alcide De Gasperi die geheime Botschaft überbracht haben, dass Wien bereit sei, auf die Rückkehr Südtirols zu verzichten. Kanzler Leopold Figl forderte das damals weder offiziell noch lautstark. Es kam zu Geheimtref­fen von ÖVP-Politikern mit italienisc­hen Spitzenpol­itikern in Mosers Haus in Kärnten.

Rudolf Mosers zwiespälti­ge Rolle

In den 1960er-Jahren war er dann ebenso enger Berater des ÖVP-Kanzlers Josef Klaus in Südtirol-Fragen. Als es zu dem bekannten Aufstand der Südtiroler gegen die italienisc­he Unterwande­rung durch Rom kam, empfahl Moser dem Innenminis­ter Taviani, in Südtirol „die bekannten Unnachgieb­igen zu isolieren“, sprich zu verfolgen. Daraus werde „eine aufrichtig­e Freundscha­ft Italien/Österreich resultiere­n, deren stärkste Parteien der gleichen Ideologie sind“. So stand auch Klaus unter starkem Druck. Gegen seinen Willen war er gezwungen, nach Österreich geflüchtet­e Südtiroler Freiheitsk­ämpfer zu verfolgen. Rom hatte nämlich ein Druckmitte­l: Es konnte sich jederzeit gegen Österreich­s Wunsch querlegen, der EWG beizutrete­n.

Dem Verfasser ist es gelungen, von Rudolf Moser hinterlass­ene brisante Notizen, Geheimpapi­ere sowie Fotos zu erhalten. Diese Dokumente sind hier erstmals – teilweise faksimilie­rt – wiedergege­ben. Sie wurden dem Österreich­ischen Staatsarch­iv übergeben und können dort eingesehen werden. Die Tiroler ÖVP wurde von den Wiener Parteifreu­nden

offenbar zielgerich­tet über Jahrzehnte hinweg übergangen und getäuscht. Der Bruch zwischen Innsbruck und Wien war tief und sollte dazu führen, dass Landeshaup­tmann Eduard Wallnöfer 1969 sogar Vorbereitu­ngen traf, eine statutaris­che Verselbsts­tändigung der Tiroler ÖVP nach dem CSU-Modell herbeizufü­hren. Dies wurde von Wien auf sicherheit­spolizeili­chem Wege verhindert.

Das Buch schließt mit dem Dokumentat­ionsmateri­al eine Lücke für die Zeit von 1945 bis 1967, indem es erstmals wenigstens einen Zipfel jenes geheimen Geschehens hinter den Kulissen der offizielle­n Südtirol-Politik lüftet. Es ehrt Leopold Figl, dass er als KZ-Überlebend­er (und Todeskandi­dat) nach dem Krieg nicht an Rache dachte, sondern an den Wiederaufb­au seiner Heimat. Dafür ist er zu Recht eine Legende. Ob allerdings ein Seligsprec­hungsverfa­hren der Katholiken für einen ehemaligen Politiker sinnvoll ist, das sollte gut überlegt sein.

 ?? ?? Helmut Golowitsch: „Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis“
Stocker-Verlag Graz 607 Seiten
34,80 Euro
Helmut Golowitsch: „Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis“ Stocker-Verlag Graz 607 Seiten 34,80 Euro

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