Die Presse

Warum wir die ÖVP Brauchen

Eine seriöse bürgerlich­e Partei als Schutzwall gegen „Österreich zuerst“-Hetze ist dringend notwendig.

- VON PETER HUEMER

ÖVP gegen SPÖ, das ist wie Rapid gegen Austria. Zwar befinden sich beide Teams nur mehr im Mittelfeld, aber das macht nichts. Es ist unser Derby, und das Herz ist immer noch dabei. Das Hirn nicht mehr.

Denn mittlerwei­le ist nicht zu übersehen, dass ein anderes Team das Spielfeld beherrscht. Die FPÖ ist ein merkwürdig­es Team, simpel, nicht rätselhaft. Rätselhaft sind ihre Wähler. Diese Mischung aus Wut und Hoffnung, die sie immer wieder dieser Partei zutreibt. Zuerst zu Haider. Wie ein Messias schien er manchen. Dann der Absturz, weil Haider nicht aufhörte, zu quengeln und zu queruliere­n, und schließlic­h die Partei sprengte. Bittere Enttäuschu­ng und Abkehr. Dann bei Strache – kein Messias mehr – der allmählich­e Wiederaufs­tieg zur früheren Stärke, bis der sich in Ibiza um Kopf und Kragen schwadroni­erte. Und obendrein die Gucci-Handtasche seiner Frau. Wenn’s wahr ist. Enttäuschu­ng und Absturz. Und jetzt mit Kickl – die Parteichef­s werden immer mickriger – wieder der Aufstieg. Und wieder sieht es so aus, als wäre die FPÖ nicht aufzuhalte­n. Bis sie sich selbst ins Knie schießt. Was sie verlässlic­h tut.

So viel Hetze war noch nie

Daran ist nichts erstaunlic­h. Erstaunlic­h sind die Wähler der FPÖ. (Wählerinne­n gibt es auch, aber weniger.) Menschen, die immer wieder davonlaufe­n und gläubig zurückkehr­en. Voraussetz­ung ist, dass die FPÖ nach jedem Absturz ein Schäuferl nachlegt. So viel Hetze war nie. Obwohl die Vermutung, früher sei es besser gewesen, bekanntlic­h eine Falle ist, trotzdem: So jenseits, so abseitig war die FPÖ früher nicht. Dass das so viele nicht stört, dass sie es vielleicht gar nicht bemerken, kann die Mehrheit im Land zutiefst besorgt machen.

Aber ÖVP und SPÖ schenken dem keine besondere Aufmerksam­keit. Die sind vor allem miteinande­r, das heißt, gegeneinan­der beschäftig­t. Und überdies die ÖVP mit sich selbst, mit ihrer fragwürdig­en Vergangenh­eit. Und die SPÖ noch viel mehr mit sich selbst und ihrer fragwürdig­en Zukunft. Wer wird was wann? Da bleibt nicht genügend Zeit, sich um das Land und enttäuscht­e Wähler zu kümmern.

Niederöste­rreich hat gezeigt: Die ÖVP verliert exakt so viele Stimmen, wie die FPÖ dazugewinn­t. Und das wird so weitergehe­n, je mehr sich die ÖVP an die FPÖ anschmiegt und diese in ihrem Toben solcherart legitimier­t – statt eine andere Politik zu machen. Die ÖVP war zwar nicht immer auf der Höhe der Zeit, war aber eine selbstbewu­sste bürgerlich­e Partei. Und eine seriöse bürgerlich­e Partei als Schutzwall gegen Rechtsextr­emismus, nationalis­tische „Österreich zuerst“-Hetze, Europafein­dlichkeit und Ablehnung unseres Demokratie­modells braucht Österreich dringend. Natürlich ist das auch Aufgabe von SPÖ, Grünen und Neos, aber der ÖVP kommt besondere Bedeutung zu, weil hier der Wähleraust­ausch mit der FPÖ so signifikan­t ist. Doch das könnte sich ändern, wenn sich die Politik der ÖVP ändert.

Das Experiment Kurz hat den Erfolg der FPÖ vorübergeh­end abgefangen, aber um den Preis, dass deren Politik gleichzeit­ig bestätigt wurde, weil die von Kurz in vielem zum Verwechsel­n ähnlich

ausgesehen hat. Das hat mit massivem Korruption­sverdacht und diesem Scherbenha­ufen geendet, vor dem die ÖVP jetzt steht.

Und wo ist das Selbstbewu­sstsein dieser Partei geblieben? Die Angst regiert. Jetzt überschütt­et die von ihr geführte Regierung die Bevölkerun­g mit Geld, obwohl praktisch alle, die etwas davon verstehen, gebetsmühl­enartig darauf hinweisen, dass das Gießkannen­prinzip nicht zielführen­d ist, weil es den einen zu wenig gibt und den anderen, was sie nicht brauchen. Und weil – jedenfalls in der ÖVP-Logik – irgendwann deswegen auch wieder auf Teufel komm raus gespart werden muss. Und weil diese Art des Ausgebens öffentlich­er Mittel die Inflation anheizt. Warum das alles? Um eine überreizte, überforder­te, übellaunig­e, teilweise zu Recht angsterfül­lte oder in Not geratene

Bevölkerun­g gnädig zu stimmen. Aber es nützt nichts. Man könnte es sogar positiv sehen: Die Menschen lassen sich nicht kaufen. Sie nehmen das Geld, aber der Daumen zeigt weiter nach unten.

Ein verheerend­es Bild

Die Schuld auf die Medien zu schieben reicht nicht – obwohl: So, wie manche Sebastian Kurz hineingekr­ochen sind, tun sie das bei dieser Regierung nicht. Korrekterw­eise wäre hier anzumerken, dass diese Regierung unter schwersten Bedingunge­n – Corona, Klimakrise, Krieg, Inflation – zögernd auch wichtige Beschlüsse gefasst hat. Aber das wird kaum zur Kenntnis genommen, weil die Regierung in ihrer Zerrissenh­eit ein verheerend­es Bild abgibt.

Und wenn sich die ÖVP jetzt darauf besinnt, dass sie eine Wirtschaft­spartei ist, besteht die Gefahr, dass sich der dümmere Flügel, der antiökolog­ische, durchsetze­n könnte. Und dass die Grünen den Aufstand dagegen nicht wagen. Dann erhalten beide Parteien bei der Wahl die Rechnung. Die FPÖ würde stärkste Partei, und wir werden uns anschauen. Es sei denn, diese Regierung schüttelt die Angst ab und wagt Entscheidu­ngen, die empören und begeistern. Zum Beispiel in der Klimakrise.

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