Fragt doch viel mehr die Frauen!
Wer nur Männer in Studien beachtet, erhält Produkte und Leistungen, die für Frauen nicht passen. Forscherinnen versuchen, Datenlücken zu schließen und die bisher negativen Auswirkungen dadurch abzufedern.
Das hat bestimmt ein Mann designt! Den Gedanken haben Frauen oft bei Produkten, die kompliziert zu bedienen sind, und bei Services, die nicht auf Familientauglichkeit getestet wurden. Sei es bei modernen Autos der hintere Sitz, der bei Regen nass wird, weil das Autodach schmäler ist als die Sitzfläche der Rückbank, sei es die Nähmaschine, bei der man drei Hände brauchte, um Jeans zu flicken. Hinter solchen Ärgernissen steckt ein systematischer Fehler unserer Gesellschaft: Frauen werden in der Produktentwicklung zu wenig beachtet. Handys rutschen Frauen öfter aus der Hand, weil Prototypen an Männerhänden getestet werden.
„Diese Lücke in der Datenbasis führt zu einer Reihe von Problemen“, sagt Sonja Sperber vom Institut für Strategie, Technologie und Organisation der WU Wien. Während sich in der Medizin schon viel getan hat und fast keine klinische Studie mehr auf rein männlichen Probanden beruhen darf, hinken die Bereiche Management und Organisation hinterher.
So viele männliche Entscheider
„Mir fiel das bereits auf, als ich an der Universität Bamberg in Deutschland meine Dissertation schrieb: Da war die Frage, welchen Einfluss Topmanager auf Innovationsprozesse haben“, sagt Sperber, die jetzt ihre Habilitation an der WU Wien erstellt. Sie befragte Führungskräfte, in welche Arbeitsschritte sie persönlich involviert sind und was an untere Ebenen delegiert wird. „Da habe ich fast nur Männer getroffen, weil es im Topmanagement, also letztlich bei den Entscheidern, wenige Frauen gibt. So erhält man im Innovationsprozess aber stets eine stark männliche Perspektive.“
Mit dem Team der WU und Kolleginnen aus den USA, Niederlanden und Frankreich publizierte
Sperber Ende 2022 eine viel beachtete Überblicksstudie über die Folgen der Gender Data Gaps in Managementwissenschaften (European Management Journal). Die Teams behandeln die Problematik, dass in der Zeit von Big Data und künstlicher Intelligenz die Datenlücke noch mehr Gewicht bekommt, wenn beim Sammeln der Daten die Frauen unterrepräsentiert sind. Im Gegensatz zum Gender Pay Gap, der die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen ausweist, ist der Gender Data Gap noch nicht so stark im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen.
„Mir hat vor Kurzem ein Topmanager gesagt, dass die Unternehmen wenig ändern werden, wenn sie es nicht müssen“, sagt Sperber. Denn Manager sehen bloß Kosten, wenn man Frauen und Männer als eigene Zielgruppen bewerten und Produkte unterschiedlich gestalten soll.
„Ein Beispiel der Diskriminierung ergibt sich schon im Bewerbungsprozess“, sagt Sperber. Oft wird die erste Sichtung der Jobsuchenden von Algorithmen digital durchgenommen. „Wenn die Daten, auf denen die Berechnungen basieren, nicht geschlechtersensitiv erhoben wurden, schneiden Frauen bei dieser ersten Evaluierung schlechter ab und werden aus dem Prozess eliminiert.“
Sperber betont, dass Gender Data Gaps auch Minderheiten betreffen wie Women of Colour (nicht weiße Frauen) oder Menschen mit Behinderungen. „Auch Frauen aus den Arbeiterschichten werden ausgeschlossen, wenn die Datenbasis aus der Mittelschicht stammt“, sagt Sperber. Der „alte weiße Mann“ist nicht nur ein Schlagwort, das die Diskrepanzen sichtbar macht. Vielmehr muss die Forschung nun gezielt Daten von vielfältigen Personen aller Geschlechter
und Altersklassen erheben. „Wir wissen, dass zum Beispiel Sprachassistenten überwiegend mit Daten von Männern erstellt werden und Frauen beim Navi, bei Alexa und anderen Sprachsystemen
öfter nicht verstanden werden und ihre Eingabe wiederholen müssen“, sagt Sperber.
Sind Frauen zurückhaltender?
Ihr Team bereitet eine Spezialausgabe des European Management Journal vor, das sich gänzlich um Gender Data Gaps dreht. Dazu sind Forschende weltweit aufgerufen, empirische Studien einzureichen, die sichtbar machen, welche Hürden in Management und Organisation durch geschlechterspezifische Datenlücken entstehen.
„Es bringt nichts, wenn man die Männer im Spitzenmanagement fragt, wie man mehr Frauen dorthin bekommt“, so Sperber. Sie will Lösungen finden, die mehr Daten von Frauen in Big Data und künstliche Intelligenz bringen: „Wir müssen auch die Hürde überwinden, dass Frauen oft zurückhaltender beim Preisgeben von persönlicher Information sind.“