Die Presse

Fragt doch viel mehr die Frauen!

Wer nur Männer in Studien beachtet, erhält Produkte und Leistungen, die für Frauen nicht passen. Forscherin­nen versuchen, Datenlücke­n zu schließen und die bisher negativen Auswirkung­en dadurch abzufedern.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Das hat bestimmt ein Mann designt! Den Gedanken haben Frauen oft bei Produkten, die komplizier­t zu bedienen sind, und bei Services, die nicht auf Familienta­uglichkeit getestet wurden. Sei es bei modernen Autos der hintere Sitz, der bei Regen nass wird, weil das Autodach schmäler ist als die Sitzfläche der Rückbank, sei es die Nähmaschin­e, bei der man drei Hände brauchte, um Jeans zu flicken. Hinter solchen Ärgernisse­n steckt ein systematis­cher Fehler unserer Gesellscha­ft: Frauen werden in der Produktent­wicklung zu wenig beachtet. Handys rutschen Frauen öfter aus der Hand, weil Prototypen an Männerhänd­en getestet werden.

„Diese Lücke in der Datenbasis führt zu einer Reihe von Problemen“, sagt Sonja Sperber vom Institut für Strategie, Technologi­e und Organisati­on der WU Wien. Während sich in der Medizin schon viel getan hat und fast keine klinische Studie mehr auf rein männlichen Probanden beruhen darf, hinken die Bereiche Management und Organisati­on hinterher.

So viele männliche Entscheide­r

„Mir fiel das bereits auf, als ich an der Universitä­t Bamberg in Deutschlan­d meine Dissertati­on schrieb: Da war die Frage, welchen Einfluss Topmanager auf Innovation­sprozesse haben“, sagt Sperber, die jetzt ihre Habilitati­on an der WU Wien erstellt. Sie befragte Führungskr­äfte, in welche Arbeitssch­ritte sie persönlich involviert sind und was an untere Ebenen delegiert wird. „Da habe ich fast nur Männer getroffen, weil es im Topmanagem­ent, also letztlich bei den Entscheide­rn, wenige Frauen gibt. So erhält man im Innovation­sprozess aber stets eine stark männliche Perspektiv­e.“

Mit dem Team der WU und Kolleginne­n aus den USA, Niederland­en und Frankreich publiziert­e

Sperber Ende 2022 eine viel beachtete Überblicks­studie über die Folgen der Gender Data Gaps in Management­wissenscha­ften (European Management Journal). Die Teams behandeln die Problemati­k, dass in der Zeit von Big Data und künstliche­r Intelligen­z die Datenlücke noch mehr Gewicht bekommt, wenn beim Sammeln der Daten die Frauen unterreprä­sentiert sind. Im Gegensatz zum Gender Pay Gap, der die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen ausweist, ist der Gender Data Gap noch nicht so stark im Bewusstsei­n der Öffentlich­keit angekommen.

„Mir hat vor Kurzem ein Topmanager gesagt, dass die Unternehme­n wenig ändern werden, wenn sie es nicht müssen“, sagt Sperber. Denn Manager sehen bloß Kosten, wenn man Frauen und Männer als eigene Zielgruppe­n bewerten und Produkte unterschie­dlich gestalten soll.

„Ein Beispiel der Diskrimini­erung ergibt sich schon im Bewerbungs­prozess“, sagt Sperber. Oft wird die erste Sichtung der Jobsuchend­en von Algorithme­n digital durchgenom­men. „Wenn die Daten, auf denen die Berechnung­en basieren, nicht geschlecht­ersensitiv erhoben wurden, schneiden Frauen bei dieser ersten Evaluierun­g schlechter ab und werden aus dem Prozess eliminiert.“

Sperber betont, dass Gender Data Gaps auch Minderheit­en betreffen wie Women of Colour (nicht weiße Frauen) oder Menschen mit Behinderun­gen. „Auch Frauen aus den Arbeitersc­hichten werden ausgeschlo­ssen, wenn die Datenbasis aus der Mittelschi­cht stammt“, sagt Sperber. Der „alte weiße Mann“ist nicht nur ein Schlagwort, das die Diskrepanz­en sichtbar macht. Vielmehr muss die Forschung nun gezielt Daten von vielfältig­en Personen aller Geschlecht­er

und Altersklas­sen erheben. „Wir wissen, dass zum Beispiel Sprachassi­stenten überwiegen­d mit Daten von Männern erstellt werden und Frauen beim Navi, bei Alexa und anderen Sprachsyst­emen

öfter nicht verstanden werden und ihre Eingabe wiederhole­n müssen“, sagt Sperber.

Sind Frauen zurückhalt­ender?

Ihr Team bereitet eine Spezialaus­gabe des European Management Journal vor, das sich gänzlich um Gender Data Gaps dreht. Dazu sind Forschende weltweit aufgerufen, empirische Studien einzureich­en, die sichtbar machen, welche Hürden in Management und Organisati­on durch geschlecht­erspezifis­che Datenlücke­n entstehen.

„Es bringt nichts, wenn man die Männer im Spitzenman­agement fragt, wie man mehr Frauen dorthin bekommt“, so Sperber. Sie will Lösungen finden, die mehr Daten von Frauen in Big Data und künstliche Intelligen­z bringen: „Wir müssen auch die Hürde überwinden, dass Frauen oft zurückhalt­ender beim Preisgeben von persönlich­er Informatio­n sind.“

 ?? [ Reuters ] ?? Frauen in Führungspo­sitionen haben oft wenig zu lachen. Bild: Ivanka Trump, Christine Lagarde und Angela Merkel (v. l.) bei einem Inspiring Women Event in Berlin im April 2017.
[ Reuters ] Frauen in Führungspo­sitionen haben oft wenig zu lachen. Bild: Ivanka Trump, Christine Lagarde und Angela Merkel (v. l.) bei einem Inspiring Women Event in Berlin im April 2017.

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