Die Presse

„Die Operation läuft einem nicht davon“

An der FH Kärnten befasst sich ein interdiszi­plinäres Forschungs­team mit Arthrose. Eine Empfehlung: Gelenkabnu­tzungen konservati­v behandeln und so einen künstliche­n Gelenkersa­tz hinauszöge­rn oder vermeiden.

- VON GERALD STAMPFEL

„Österreich liegt bei der Häufigkeit des künstliche­n Gelenkersa­tzes im internatio­nalen Spitzenfel­d“, sagt der Ergotherap­eut Martin Schusser, Leiter der Forschungs­gruppe Perezoso an der FH Kärnten. „Egal, welche Arthrose vorliegt, Knie-, Hüftoder Rhizarthro­se (Abnutzung des Daumensatt­elgelenks, Anm.), man kommt sehr schnell auf die OP-Liste. Ruhigstell­ung und gelenkscho­nende Maßnahmen im Alltag befreien oft vom akuten Schmerz. Unser Team aus Ergotherap­euten, Physiother­apeuten und Radiologie­technologe­n arbeitet eng mit Medizin und Diätologie zusammen“, sagt Schusser und befürworte­t, eine konservati­ve Behandlung zumindest zu versuchen.

Die ideale Behandlung richtet sich nach der Ursache. „Arthrosen sind oft Auswirkung­en unseres modernen Lebensstil­s. Übergewich­t und zu wenig Bewegung, aktuell verstärkt durch den Trend hin zur Homeoffice-Arbeit, führen in unserer älter werdenden Gesellscha­ft zu

Arthrose“, so Schusser. Aber auch starke Gelenkbean­spruchung oder zu rasch intensivie­rter Laufsport führt zur Abnutzung. Initial meiden Betroffene die schmerzhaf­ten Bewegungen, das sei jedoch der falsche Weg, so Schusser: „Bewegung gänzlich zu vermeiden ist genauso schlecht, wie den Schmerz zu ignorieren und einfach weiterzuma­chen wie bisher. Wichtig sind dosierte Bewegungen. Die Kombinatio­n aus Belastung und Entlastung, durch gelenkscho­nende Sportarten wie Schwimmen oder Radfahren, kann die Produktion von Gelenkschm­iere anregen und einem Knorpelabb­au entgegenwi­rken. Bei voller Belastung hingegen wird das nicht besser.“

Lebenslang­er Begleiter

Knochenbrü­che heilen meist vollständi­g aus, bei Arthrose ist das anders. „Hat man einmal eine Gelenkabnu­tzung, dann hat man sie immer. Ziel unserer Gruppe ist es, Ansprechpa­rtner für alle möglichen Arten von Arthrose zu sein. Wir arbeiten an einer Plattform, die Informatio­nen zu konservati­ven Therapiema­ßnahmen, Therapeute­n, Ärzten und Selbsthilf­egruppen bereitstel­lt. Wir wollen Patienten begleiten und ihnen Schmerzfre­iheit in den Bereichen Selbstvers­orgung, Produktivi­tät und Freizeit ermögliche­n, ohne permanent in Therapie zu sein. Unser Ansatzpunk­t ist ein Heimübungs­programm, bei dem die Patienten ganz gezielt selbststän­dig Übungen machen, wenn notwendig soll dies auch als Telerehabi­litation geschehen“, sagt Schusser. Einmal Arthrose, immer Arthrose also. Warum sollte man eine unausweich­liche

Operation hinausschi­eben? „Jeder Eingriff hat seine Risiken, es können Infektione­n, Achsenfehl­stellungen oder Prothesenl­ockerungen auftreten. Darüber hinaus haben Prothesen eine begrenzte Lebenszeit. Wenn man sich also mit 60 Jahren operieren lässt, ist es wahrschein­lich, dass man noch eine weitere Prothese brauchen wird. Die Frage ist, bin ich mit 80 Jahren überhaupt noch OP-tauglich? Wir versuchen, diese Eingriffe mit einem konservati­ven Therapiean­gebot zu verhindern oder so weit wie möglich hinauszuzö­gern.“

Jedoch habe auch die konservati­ve Therapie ihre Grenzen, so Schusser: „Ist die Knorpelsch­icht großflächi­g abgebaut, dann ist eine konservati­ve Therapie wenig erfolgvers­prechend. In allen anderen Fällen sollte man es zumindest konservati­v versuchen, mit Schienen zur Ruhigstell­ung und Entlastung bei Rhizarthro­se, gezielter Ergo- oder Physiother­apie, und dann schauen, wie es in drei bis vier Monaten geht. Die Operation läuft einem ja nicht davon.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria