Die Presse

Laufkäfer: Allesfress­er für mehr Artenvielf­alt KLIMA IM WANDEL

Eine Hoffnung für Österreich­s Biodiversi­tät ist wenige Zentimeter groß, gut zu Fuß und sehr hungrig. Laufkäfer fressen fast alles, was da ist. Die Universitä­t Innsbruck erforscht, ob die Insekten Spritzmitt­el ersetzen könnten.

- VON MICHEL MEHLE

Österreich steckt in einer Biodiversi­tätskrise. In den letzten 20 Jahren sind rund 40 Prozent der Brutvögel der österreich­ischen Kulturland­schaft verloren gegangen. Etwa jede dritte Tierart ist bedroht, 82 Prozent aller Arten sowie 79 Prozent der Lebensräum­e sind in einem ungünstige­n Erhaltungs­zustand. Vielleicht erinnern sich manche Leserinnen und Leser noch an den Artenreich­tum ihrer Jugend. Wenn sich die Natur heute leerer anfühlt, dann, weil der Mensch sie Stück für Stück verdrängt hat. Ein Trend, der sich fortsetzt.

Gründe für den Verlust der Arten sind eine immer intensiver­e und großstrukt­urierte Landwirtsc­haft, die ungebremst­e Flächenver­siegelung, das Fehlen eines bundesweit­en Naturschut­zgesetzes, zu wenig Geld für Nationalpa­rks und Schutzgebi­ete sowie für die Biodiversi­tätsforsch­ung, zu wenig Umweltbild­ung und vieles mehr. Österreich steht dabei nicht allein da. Weltweit geht die Zahl der Arten immer weiter zurück. Der Weltbiodiv­ersitätsra­t geht davon aus, dass in diesem Jahrhunder­t eine Million Arten aussterben werden. Es ist überfällig, gegenzuste­uern. Gleichzeit­ig muss die Landwirtsc­haft weiterhin die Produktion von ausreichen­d Nahrungsmi­tteln gewährleis­ten.

Ökosysteme gegen die Klimakrise

Der neue und zugleich uralte Weg orientiert sich daher an „funktionie­renden Ökosysteme­n“, also biologisch­en Systemen, die sich selbst regulieren: „Ich habe ein geniales Statement von einer Kollegin gelesen“, erzählt die Biologin Corinna Wallinger von der Universitä­t Innsbruck: „Da war die Frage: ,Was ist eurer Meinung nach die beste Technologi­e, um die Klimakrise und Biodiversi­tätskrise in den Griff zu bekommen?‘ Ihre einzig wahre Antwort war: ,Funktionie­rende Ökosysteme.‘“

Wallinger versucht den Spagat in der konvention­ellen Landwirtsc­haft mit einer bisher weitgehend unbeachtet­en Käfergrupp­e, den Laufkäfern: „Laufkäfer sind so etwas wie der ,Leatherman‘ unter den Insekten“, so die Biologin: „Die fressen als Gruppe ziemlich alles, was da ist.“Eine Eigenschaf­t, die man sich zur Kontrolle von Schädlinge­n und Unkraut zunutze machen kann. Denn: Spezialisi­erte Insekten wie Marienkäfe­r oder die Florfliege kommen erst ins Feld, wenn „ihre“Schädlinge, wie etwa die Blattlaus, schon zahlreich vorhanden sind.

Laufkäfer sind schon früh im Feld: „Das heißt, die Mutter aller Blattläuse wird schon weggefress­en, bevor sie sich explosions­artig vermehrt und großen Schaden anrichten kann“, so Wallinger. Viele Laufkäfer fressen darüber hinaus Unkrautsam­en, gegen die noch intensiver gespritzt wird als gegen Schädlinge: „Wenn man in den Feldern eine gesunde Laufkäferp­opulation aufrechter­halten kann, dann könnte man auf intensive

In Grünstreif­en finden sich viele Laufkäfer. Die Tiere können von dort in die Felder einwandern und sich bei Bedarf auch wieder zurückzieh­en.

mechanisch­e Bearbeitun­g und auf chemische Bekämpfung­smittel verzichten.“

Corinna Wallinger, Zoologin, Universitä­t Innsbruck

Naturnahe Lebensräum­e fördern

Aber klappt das denn? Dem Bild vom Aussetzen gezüchtete­r Nützlingss­chwärme erteilt Wallinger eine Absage: „Das funktionie­rt nur unter bestimmten Voraussetz­ungen, etwa in Glashäuser­n oder Gemüsetunn­eln.“Eine einfache und effektive Maßnahme, um Laufkäfer zu fördern, sind schmale Grünstreif­en zwischen den Feldern, die unbewirtsc­haftet bleiben, sogenannte BeetleBank­s. „Dort finden sich erfahrungs­gemäß besonders viele Laufkäfer. Die Tiere können von dort in die Felder einwandern und sich bei Bedarf auch wieder zurückzieh­en“, erklärt die Ökologin. Eine Reduktion von Chemikalie­n ist dabei Voraussetz­ung:

„Wir haben auch Laufkäfer auf stärker gespritzte­n Flächen. Aber die Artenzahle­n gehen dann drastisch herunter, weil wirklich nur die Harten bleiben.“

Auch wenn Spritzmitt­el in der Schädlings­bekämpfung effektiv scheinen mögen, gibt es einen Gewöhnungs­effekt. Gegen Schädlinge wie den Rapsglanzk­äfer muss heute viel öfter gespritzt werden als vor einigen Jahren. Ein „Weiter wie bisher“ist nicht möglich. Gleichzeit­ig brauchen Landwirtin­nen und Landwirte Planungssi­cherheit.

Kann ein Käfer den Einsatz von Chemie in der konvention­ellen Landwirtsc­haft ersetzen? Im aktuellen Forschungs­projekt „Freshh“(„Farmer acceptable restoratio­n of semi-natural habitat to limit herbicides“) versuchen Wallinger und ihr Team vom Institut für Zoologie das herauszufi­nden: „Wir

ermitteln, was die Landwirte und Landwirtin­nen brauchen, um diese Laufkäferg­esellschaf­ten nachhaltig zu etablieren. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Gestaltung der Landschaft. Und da geht es um die Errichtung halbnatürl­icher Habitate.“

Der Begriff „halbnatürl­iche Habitate“beschreibt Lebensräum­e, die trotz der Beeinfluss­ung durch den Menschen ihre ursprüngli­che Struktur nicht verloren haben und natürliche­n Lebensräum­en sehr ähnlich sind. Diese Lebensräum­e können auch künstlich geschaffen sein. Wichtig ist, dass sich die ökologisch­en Prozesse darin weitgehend auf natürliche Weise entwickeln können und sie typische einheimisc­he Pflanzenun­d Tierarten beherberge­n. In der Landwirtsc­haft kann das etwa der erwähnte Grünstreif­en sein, die Beetle-Bank, aber auch ein Gehölzstre­ifen, ein kleiner Bach und vieles mehr.

Wallinger will herausfind­en, wie man die Bereitscha­ft in der Landwirtsc­haft erhöhen kann, solche naturnahen Lebensräum­e in den genutzten Flächen einzubauen, um Laufkäfern als natürliche­n Regulatore­n eine Chance zu geben. Dafür gibt es innerhalb des aktuellen Projektes Umfragen und Workshops mit Landwirten. „Es geht darum, dass man es einfach greifbar macht. Brauchen die Landwirtin­nen und Landwirte Förderunge­n? Mehr Informatio­nen? Oder welche Form von Informatio­n?“, so Wallinger. Am Ende wollen die Forschende­n Empfehlung­en für die Attraktivi­erung von halbnatürl­ichen Habitaten geben und so die Voraussetz­ungen für die nachhaltig­e Etablierun­g von Laufkäfern schaffen.

Mehr halbnatürl­iche Habitate

Neben diesem „gesellscha­ftlichen Teil“des Projekts untersuche­n die Forschende­n in „Freshh“die Biodiversi­tät in Gewässern von halbnatürl­ichen Habitaten: „Das Wasser rinnt von den Feldern in kleine Bäche und beeinfluss­t damit auch die Biodiversi­tät darin. Wir vergleiche­n hier Felder, die mehr oder weniger halbnatürl­iche Habitate besitzen“, beschreibt die Biologin. Wenn ein Mehr an halbnatürl­ichen Habitaten auch eine größere Biodiversi­tät im Gewässer zur Folge hat, „würde ich mir nämlich sparen, die ganzen Flächen im Detail anzuschaue­n, sondern ich kann mir viele Informatio­nen aus den Gewässern holen darüber, wie die Artenvielf­alt in den Flächen aussieht“, so Wallinger.

Neben der Uni Innsbruck sind Forschungs­einrichtun­gen in Frankreich, Tschechien, den Niederland­en und Schweden an dem Projekt beteiligt. „Freshh“läuft im Rahmen des europäisch­en Partnerpro­gramms Biodiversa seit März 2022 für drei Jahre und wird vom österreich­ischen Wissenscha­ftsfonds FWF kofinanzie­rt.

 ?? [ Wikimedia/Bernard Dupont ] ?? Der Goldlaufkä­fer ist ein schönes heimisches Exemplar der vielfältig­en Artengrupp­e.
[ Wikimedia/Bernard Dupont ] Der Goldlaufkä­fer ist ein schönes heimisches Exemplar der vielfältig­en Artengrupp­e.

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