Laufkäfer: Allesfresser für mehr Artenvielfalt KLIMA IM WANDEL
Eine Hoffnung für Österreichs Biodiversität ist wenige Zentimeter groß, gut zu Fuß und sehr hungrig. Laufkäfer fressen fast alles, was da ist. Die Universität Innsbruck erforscht, ob die Insekten Spritzmittel ersetzen könnten.
Österreich steckt in einer Biodiversitätskrise. In den letzten 20 Jahren sind rund 40 Prozent der Brutvögel der österreichischen Kulturlandschaft verloren gegangen. Etwa jede dritte Tierart ist bedroht, 82 Prozent aller Arten sowie 79 Prozent der Lebensräume sind in einem ungünstigen Erhaltungszustand. Vielleicht erinnern sich manche Leserinnen und Leser noch an den Artenreichtum ihrer Jugend. Wenn sich die Natur heute leerer anfühlt, dann, weil der Mensch sie Stück für Stück verdrängt hat. Ein Trend, der sich fortsetzt.
Gründe für den Verlust der Arten sind eine immer intensivere und großstrukturierte Landwirtschaft, die ungebremste Flächenversiegelung, das Fehlen eines bundesweiten Naturschutzgesetzes, zu wenig Geld für Nationalparks und Schutzgebiete sowie für die Biodiversitätsforschung, zu wenig Umweltbildung und vieles mehr. Österreich steht dabei nicht allein da. Weltweit geht die Zahl der Arten immer weiter zurück. Der Weltbiodiversitätsrat geht davon aus, dass in diesem Jahrhundert eine Million Arten aussterben werden. Es ist überfällig, gegenzusteuern. Gleichzeitig muss die Landwirtschaft weiterhin die Produktion von ausreichend Nahrungsmitteln gewährleisten.
Ökosysteme gegen die Klimakrise
Der neue und zugleich uralte Weg orientiert sich daher an „funktionierenden Ökosystemen“, also biologischen Systemen, die sich selbst regulieren: „Ich habe ein geniales Statement von einer Kollegin gelesen“, erzählt die Biologin Corinna Wallinger von der Universität Innsbruck: „Da war die Frage: ,Was ist eurer Meinung nach die beste Technologie, um die Klimakrise und Biodiversitätskrise in den Griff zu bekommen?‘ Ihre einzig wahre Antwort war: ,Funktionierende Ökosysteme.‘“
Wallinger versucht den Spagat in der konventionellen Landwirtschaft mit einer bisher weitgehend unbeachteten Käfergruppe, den Laufkäfern: „Laufkäfer sind so etwas wie der ,Leatherman‘ unter den Insekten“, so die Biologin: „Die fressen als Gruppe ziemlich alles, was da ist.“Eine Eigenschaft, die man sich zur Kontrolle von Schädlingen und Unkraut zunutze machen kann. Denn: Spezialisierte Insekten wie Marienkäfer oder die Florfliege kommen erst ins Feld, wenn „ihre“Schädlinge, wie etwa die Blattlaus, schon zahlreich vorhanden sind.
Laufkäfer sind schon früh im Feld: „Das heißt, die Mutter aller Blattläuse wird schon weggefressen, bevor sie sich explosionsartig vermehrt und großen Schaden anrichten kann“, so Wallinger. Viele Laufkäfer fressen darüber hinaus Unkrautsamen, gegen die noch intensiver gespritzt wird als gegen Schädlinge: „Wenn man in den Feldern eine gesunde Laufkäferpopulation aufrechterhalten kann, dann könnte man auf intensive
In Grünstreifen finden sich viele Laufkäfer. Die Tiere können von dort in die Felder einwandern und sich bei Bedarf auch wieder zurückziehen.
mechanische Bearbeitung und auf chemische Bekämpfungsmittel verzichten.“
Corinna Wallinger, Zoologin, Universität Innsbruck
Naturnahe Lebensräume fördern
Aber klappt das denn? Dem Bild vom Aussetzen gezüchteter Nützlingsschwärme erteilt Wallinger eine Absage: „Das funktioniert nur unter bestimmten Voraussetzungen, etwa in Glashäusern oder Gemüsetunneln.“Eine einfache und effektive Maßnahme, um Laufkäfer zu fördern, sind schmale Grünstreifen zwischen den Feldern, die unbewirtschaftet bleiben, sogenannte BeetleBanks. „Dort finden sich erfahrungsgemäß besonders viele Laufkäfer. Die Tiere können von dort in die Felder einwandern und sich bei Bedarf auch wieder zurückziehen“, erklärt die Ökologin. Eine Reduktion von Chemikalien ist dabei Voraussetzung:
„Wir haben auch Laufkäfer auf stärker gespritzten Flächen. Aber die Artenzahlen gehen dann drastisch herunter, weil wirklich nur die Harten bleiben.“
Auch wenn Spritzmittel in der Schädlingsbekämpfung effektiv scheinen mögen, gibt es einen Gewöhnungseffekt. Gegen Schädlinge wie den Rapsglanzkäfer muss heute viel öfter gespritzt werden als vor einigen Jahren. Ein „Weiter wie bisher“ist nicht möglich. Gleichzeitig brauchen Landwirtinnen und Landwirte Planungssicherheit.
Kann ein Käfer den Einsatz von Chemie in der konventionellen Landwirtschaft ersetzen? Im aktuellen Forschungsprojekt „Freshh“(„Farmer acceptable restoration of semi-natural habitat to limit herbicides“) versuchen Wallinger und ihr Team vom Institut für Zoologie das herauszufinden: „Wir
ermitteln, was die Landwirte und Landwirtinnen brauchen, um diese Laufkäfergesellschaften nachhaltig zu etablieren. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Gestaltung der Landschaft. Und da geht es um die Errichtung halbnatürlicher Habitate.“
Der Begriff „halbnatürliche Habitate“beschreibt Lebensräume, die trotz der Beeinflussung durch den Menschen ihre ursprüngliche Struktur nicht verloren haben und natürlichen Lebensräumen sehr ähnlich sind. Diese Lebensräume können auch künstlich geschaffen sein. Wichtig ist, dass sich die ökologischen Prozesse darin weitgehend auf natürliche Weise entwickeln können und sie typische einheimische Pflanzenund Tierarten beherbergen. In der Landwirtschaft kann das etwa der erwähnte Grünstreifen sein, die Beetle-Bank, aber auch ein Gehölzstreifen, ein kleiner Bach und vieles mehr.
Wallinger will herausfinden, wie man die Bereitschaft in der Landwirtschaft erhöhen kann, solche naturnahen Lebensräume in den genutzten Flächen einzubauen, um Laufkäfern als natürlichen Regulatoren eine Chance zu geben. Dafür gibt es innerhalb des aktuellen Projektes Umfragen und Workshops mit Landwirten. „Es geht darum, dass man es einfach greifbar macht. Brauchen die Landwirtinnen und Landwirte Förderungen? Mehr Informationen? Oder welche Form von Information?“, so Wallinger. Am Ende wollen die Forschenden Empfehlungen für die Attraktivierung von halbnatürlichen Habitaten geben und so die Voraussetzungen für die nachhaltige Etablierung von Laufkäfern schaffen.
Mehr halbnatürliche Habitate
Neben diesem „gesellschaftlichen Teil“des Projekts untersuchen die Forschenden in „Freshh“die Biodiversität in Gewässern von halbnatürlichen Habitaten: „Das Wasser rinnt von den Feldern in kleine Bäche und beeinflusst damit auch die Biodiversität darin. Wir vergleichen hier Felder, die mehr oder weniger halbnatürliche Habitate besitzen“, beschreibt die Biologin. Wenn ein Mehr an halbnatürlichen Habitaten auch eine größere Biodiversität im Gewässer zur Folge hat, „würde ich mir nämlich sparen, die ganzen Flächen im Detail anzuschauen, sondern ich kann mir viele Informationen aus den Gewässern holen darüber, wie die Artenvielfalt in den Flächen aussieht“, so Wallinger.
Neben der Uni Innsbruck sind Forschungseinrichtungen in Frankreich, Tschechien, den Niederlanden und Schweden an dem Projekt beteiligt. „Freshh“läuft im Rahmen des europäischen Partnerprogramms Biodiversa seit März 2022 für drei Jahre und wird vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF kofinanziert.