Von Hütte zu Hütte zu Hütte in Alta Badia
Mitten in den Dolomiten werden Skifahrer vor allem vom Gastronomischen geleitet.
Dieser Skitag in Alta Badia hat noch gar nicht richtig begonnen, schon dampft die Schüssel auf dem Tisch. Ihr Inhalt ist nicht irgendeiner, schon gar kein skihüttenüblicher. Oben in der gemütlichen Ütia I Tabla` wird pürierte Karfiolsuppe mit Hendl und Teryaki-Sauce, Erdäpfel-Churros und Bergpilztopping ausgeschenkt. Beim Saisonauftakt zu dieser „Gourmet-Skisafari“steht Simone Cantafio, der Küchenchef vom La Stüa de Michil im Hotel La Perla in Corvara, sogar selbst mit dem Schöpfer vor den Gästen. Michelin-Stern-Suppe für den Pistengebrauch quasi. Verträgt sich übrigens gut mit dem dazu gereichten Gewürztraminer Riserva Brenntal 2020 von der Kellerei Kurtatsch an der Südtiroler Weinstraße.
Mittelstation Gerstensuppe
Man sieht schon: Aus vielen Pistenkilometern wird heute nix. Auch nicht mit der Sellaronda – der Runde um das berühmte Gebirgsmassiv, geschweige denn mit der anspruchsvollen Gebirgsjägertour. Die prächtigen Dolomitengipfel rund um Alta Badia, das obere Gadertal, lassen sich auch passiv – aus der Verkostungsperspektive – bewundern. Da drüben, nur eine Abfahrt, einen Lift und ein großartiges Panorama weiter, steht bereits die nächste Empfehlung
auf dem Tresen. In der Ütia Las Vegas, einer größeren, recht lustigen Hütte, ist die Schale Gerstensuppe mit Kichererbsen, Minze und Schwarzkohl das Ziel. Dazu gibt’s einen Schluck Chardonnay Reserve Burgum Novum 2019 vom Weingut Castelfeder. Das alles schmeckt sehr nach Südtirol, stammt konzeptionell aber von ein paar Kilometern weiter südlich. Ausgedacht hat sich die Kombi Fulvio Pierangelini, der Creative Director of Food der Rocco Forte Hotels. Auch gut, wir bleiben noch ein bisschen.
Finale: Graukas und Gnocchi
Station Numero drei dieser Pistenskitour durch die gastronomischen Höhen von Alta Badia liegt in kurzer Luftlinie: Bis man die Ütia de Bioch erreicht, ist der Verdauungsprozess noch nicht einmal in Gang gekommen. Was tun? Also legt man doch ein paar Extrakilometer durch das weitläufige Skigebiet ein und schaut sich unglaubliche Felsmonumente wie den Sassongher (2665 m), den Lagazuoi (2835 m) und den Sella-Stock mit seinem Piz Boè (3152 m) an. Dauert gar nicht so lang, bis sich der Magen erneut meldet, dass da wieder was geht.
So steuern unsere Skispitzen auf die Bioch-Hütte (sprich: Biok) zu, nicht nur deswegen, aber auch, weil dort Norbert Niederkofler keine Suppe, sondern einen Klassiker adaptiert hat. Die Erdäpfelgnocchi und das Puccia-Brot mit Graukascreme und Speckragout beinhalten nur, was aus nächster Nähe stammt. Niederkofler ist seit Langem ein Verfechter einer Küche der ganz kurzen Wege, der Verwertung von möglichst allem und der engen Zusammenarbeit mit kleinen lokalen Produzenten. Nicht nur seine Kochkunst, auch seine respektvolle Haltung dem alpinen Kulturraum und seinen Traditionen gegenüber („Cook the Mountain“) hat Niederkofler mit seinem St. Hubertus (im Hotel Rosa Alpina in San Cassiano) drei MichelinSterne und einen grünen Stern gebracht.
12.000 Flaschen im Berg
Ach ja, und welcher Wein passt jetzt zu Niederkoflers Hüttengericht? Das soll ein Achterl St. Magdalener klassisch Hub 2020 vom Untermoserhof sein. Viel
leicht geht sich hier in der kleinen Ütia de Bioch auch noch ein Blick in den neuen Weinkeller aus. Familie Valentini hat da unten 1280 Etiketten und 12.000 Flaschen lagern, ein Very-Best-of Südtirol, Essenzielles aus Österreich und Restitalien, dazu Flaschen, die eine Gastronomie haben muss, deren Kunde sich gern etwas leistet. Damit sitzt er dann glücklich auf der Terrasse vor der Hütte, delektiert sich an Sonne, Panorama und der Leichtigkeit, in den Alpen, aber eben schon in Italien zu sein.
Viele Pisten sind’s auch von da nicht bis ins Tal, zurück ins Hotel. Das ist in unserem Fall das Posta Zirm mitten in Corvara und nah beim Col-Alto-Lift, ein fein erweitertes Traditionshaus mit langer Geschichte als k. k. Poststation.
Sportlich zum Frühstück
Am Berg etwas verpasst? Morgen ist für Genuss-Skifahrer in Alta Badia auch noch ein Tag, könnte man sagen. Den ganzen Winter über werden die genannten Gerichte in den genannten Hütten zubereitet, überdies wurden weitere fünf Speisen für den gehobenen Alpineinsatz entwickelt. Acht Hütten in Summe machen bei dieser Aktion mit, darunter etwa auch die Ütia Pralongia`, ein schöner Berggasthof an einer etwas ruhigeren Stelle im Skigebiet – auf einer traumhaften Hochebene.
Eine Reihenfolge gibt es für dieses sogenannte Skifahren mit Genuss natürlich keine. Eine gute Sache jedenfalls, denn sie ist nicht nur dem eigenen Genuss dienlich: Drei Euro vom Preis jedes bestellten Gourmetgerichts gehen an Wohltätigkeitsorganisationen, die schwer kranke Kinder unterstützen.
Bei allem sportlichen Willen – vieles ist in Alta Badia kulinarisch aufgeladen. Die örtlichen Unterschiede zwischen Badia, La Val, La Villa, San Cassiano, Corvara und Colfosco sind nicht allzu groß. Manches neigt mehr dem Traditionellen, dem Deftigen, dem Alpinen zu, manches dem Verfeinerten, dem Kreativen, dem Mediterranen. Schlutzkrapfen oder Spaghetti allo scoglio – so oder so wird das Skifahren ein gastronomisches Kleinereignis. Selbst wenn man nur kurz zum Aufwärmen einkehrt.
Manches, was die Touristiker bereits vor etlichen Jahren mit Erfolg auf den Weg gebracht haben, lässt sich zu bestimmten Terminen verbinden. Man startet etwa mit dem Skifahren bei Sonnenaufgang („SunRisa“), das bei einem gut gedeckten Frühstückstisch in einer Hütte endet, macht weiter bei der Aktion „Sommelier auf der Piste“, was kein Aufruf zum Promillesammeln ist. Hier wird allgemein gepflegt genippt, und wenn geschüttet, dann in den Verkostungskübel. Da bleibt bis Ende des Tages immer noch genug Energie, ein paar Takte Ski zu fahren. Und dazwischen, man ist ja nur neugierig, noch ein paar Hütten abzuklappern. Weil es hier ja so viele gibt.
Der kleine Unterschied
Aber was sind das für Einkehren? Die klassische Hütte in Alta Badia, ja vielerorts in Südtirol, ist so eine Art Referenzmodell für alles im Alpenraum. Viele sind klein und gewachsen, die meisten gemütlich, manche urig, viele kitschfrei, einige modern, doch mit viel Holz ausgestattet. Die Grundausrichtung: Authentisches statt Turbofolklore. Die Stimmung drinnen wie draußen: recht entspannt. Im Betrieb: Wirtsfamilien, oft seit Generationen im Einsatz. Man spricht Ladinisch, wie viele hier in diesem und vier benachbarten Dolomitentälern. Viele haben bäuerliche Betriebe im Hintergrund, Pisten sind im Sommer Weiden, manche Hütten Almen. Pommeswolken, Industrieschnapsfahnen: Fehlanzeige. Hohe Nachfrage gibt’s nach Erdäpfeln mit Spiegelei, Knödel, Strudel. Spaghetti mit Tomatensauce müssen auf der Karte stehen, quasi der Pumuckl-Teller für die Bambini.
In den Untergeschoßen befinden sich nicht (nur) die Toiletten, sondern oft Weinkeller, bestens und mit vielen Südtiroler Weinen bestückt. Ganz generell, die Atmosphäre: Auf musikalische Untermalung wird oft verzichtet. Euphorisierte
Wintersportler sind ohnedies nicht die leisesten, so gibt es keinen Anlass zum akustischen Horror Vacui, wenn man fesch zusammensitzt. Und wenn schon Musik durch Gaststuben und über Terrassen flutet, dann eine, mit der man auch nüchtern gut leben kann. Stimmt, das sind Kleinigkeiten, aber in Summe machen sie wohl die Anziehungskraft aus. Und den Unterschied.
Der Club am Berg
Laut wird’s schließlich doch noch da oben. Am Abend verwandelt sich die originelle wie exklusive Moritzino-Hütte auf dem Piz la Ila nach dem Buffet in eine Disco. Die Rich Kids aus Oberitalien reißen die Hände in die Höhe und brüllen die Italohits von gestern in der Clubversion von heute mit. Die Gäste weiter aus dem Norden kommen aus dem Staunen nicht heraus, vielleicht hätte doch noch etwas Partygarderobe in den Koffer gepasst. Egal, auch in Jeans macht’s offensichtlich Spaß, den Partytiger herauszulassen, um dann kurz vor Mitternacht in der ersten Pistenraupe wieder in Richtung Tal zu sitzen. Viel sollte man zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht getankt haben, denn der Pistenbully düst die Gran Risa, die Weltcupstrecke hinunter wie ein Einheimischer – immerhin nicht auf ihrer schwarzen Variante. Wie steil schon die rote ist, wird man sich am nächsten Tag anschauen. Wenn keine Hütte dazwischenkommt.