Weniger Postleitzahl, mehr Grund und Nachhaltigkeit
Im Speckgürtel der Bundeshauptstadt verändern sich sanft die Prioritäten.
Der Wiener Speckgürtel hat hektische Zeiten hinter sich. Mit dem Beginn der Pandemie und der gleich nach dem ersten Lockdown begonnenen Jagd nach Immobilien im Grünen zogen hier die Preise an, waren Villen mit Garten das neue Penthouse, und die Nachfrage war weit höher als das Angebot. Langsam scheint sich aber wieder eine gewisse Normalität einzustellen, wie Peter Marschall, Inhaber von Marschall Immobilien, im nördlichen Speckgürtel beobachtet.
„Die Welle hinaus ins Grüne hat sich eingebremst, irgendwann tritt ein gewisser Sättigungseffekt ein, und nicht mehr alle suchen ein Objekt im Grünen“, so der Makler. Was nicht heißt, dass Häuser und Wohnungen vor den Toren der Stadt nicht mehr gefragt seien, aber zumindest der Hype hat sich – wie in vielen anderen Segmenten – auch hier beruhigt. Womit der Speckgürtel wieder für jene Klientel interessant ist, die auch schon vor Corona gern hier gelebt hat – plus eine zuzügliche Interessentengruppe, die sich durch die neuen Arbeitsmöglichkeiten weniger vor einem Pendeln in die Stadt fürchten als vor der Pandemie.
Mikrolagen sehr entscheidend
Dazu gehören Familien, die um ähnliche Summen, die eine großzügige Luxuswohnung in der Stadt kostet, hier ein Haus mit Garten bekommen – was im Verhältnis nach wie vor so stimmt. Wobei allerdings die Preisunterschiede je nach Mikrolage deutlich anders ausfallen können. So sieht Marschall die Bestlagen von Klosterneuburg im Vergleich zu Wien Döbling nur noch „um einen Deut günstiger, es nähert sich mehr und mehr an, wobei die Mikrolagen sehr entscheidend sind. Die Preise am Ölberg sind ähnlich wie im 19. Bezirk; die Nachfrage ist nach wie vor gut“, so der Makler.
Im Süden können die Unterschiede dagegen deutlich größer ausfallen, wie Oskar Beirer, Geschäftsführer von Engel & Völkers in Baden, berichtet. „Vor allem südlich von Mödling und in Baden spüren wir deutlich die Übergangszone in den ländlichen Bereich
mit entsprechend ländlichen Preisen“, berichtet der Makler. Besonders bei Zweitwohnsitzen entscheiden sich manche statt für eine Wohnung in Wien-Nähe für einen Grund mit Haus und Badesee etwas weiter draußen. Was auch den neuen Arbeitswelten, nicht fünfmal in der Woche ins Büro in der Stadt fahren zu müssen, geschuldet ist.
Und einem im internationalen Vergleich extrem großen Preisunterschied auf relativ kleinem Raum, wie Beirer vorrechnet. „Wenn ich mit einem Zirkel einen Radius von 60 Kilometern rund um London ziehe, habe ich einen Preisabfall von zehn bis 15 Prozent“, vergleicht er die Preise der internationalen Metropolen. „Wenn ich den Zirkel am Stephansdom ansetze, zahle ich 60 Kilometer entfernt – etwa in Leobersdorf – 80 Prozent weniger.“
Neben der schlichten Entfernung zu Wien sind manche Preise auch prestigeträchtigen Postleitzahlen geschuldet – die 1010 des Speckgürtels ist dabei die 2380 von Perchtoldsdorf. Die aber, wie auch die guten Namen von Gießhübel oder der Hinterbrühl, ein wenig an Strahlkraft einbüßen. „Es sind weniger Kunden postleitzahlgesteuert, sondern schauen wirklich genau, was für sie persönlich passt“, berichtet Karin Bosch, Leiterin des Bereichs Exklusivimmobilien bei S Real. „Ich hatte etwa kürzlich eine ältere Kundin, die von einer Villa in der Hinterbrühl in einen kleinen Bungalow in der Südstadt gezogen ist, weil das Haus und die Umgebung einfach perfekt für sie passen.
Nachhaltigkeit rückt auf
Neben dem neuen Lagenbewusstsein hat sich bei den Suchkriterien im Nachhaltigkeitsbereich etwas geändert, wie Beirer berichtet. „Bis vor Kurzen galt die Reihenfolge Lage, Größe, Zimmer und dann die Energieeffizienz. Heute kommt die Energieeffizienz gleich nach der Lage“, berichtet er. Und das bei der immer noch begehrtesten Wohnform im Speckgürtel, der historischen Villa. „Da ist dann die erste Frage: ,Wie bekomme ich das Haus energieeffizient‘“, sagt der Makler. (sma)