Die Presse

Hybride Arbeit ist Vereinbaru­ngssache

„Regeln bringen Bürokratie, Rahmen schaffen Kultur“, sagt Frauke von Polier, Chief People Officer bei Viessmann. Daher werden die einzelnen Arbeitsmod­elle auf Teamebene geklärt.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Mit dem Privileg kommt die Verantwort­ung. Das Privileg, das Frauke von Polier, Chief People Officer beim Klimalösun­gsspeziali­sten Viessmann, meint, heißt hybrides Arbeiten. Weil es nicht allen Menschen möglich ist. Rund die Hälfte der rund 14.000 Mitarbeite­nden bei Viessmann sind „Workplace Enthusiast­s“, die ihren eigenen Arbeitspla­tz haben und den auch so gut wie jeden Tag nutzen – etwa in der Produktion. Zehn Prozent bezeichnet sie als „Digital Nomads“, die ständig mobil im Einsatz sind – und das auch dürfen, weil sie beispielsw­eise Servicetec­hnikerinne­n sind. Bis auf einen Tag pro Monat, an dem sie verpflicht­end ins Büro kommen müssen. Rund 40 Prozent bei dem familienge­führten Konzern heißen „Hybrid Pros“, dürfen es sich aussuchen, wo sie arbeiten. Oder besser gesagt ausmachen: mit dem Team und mit der Führungskr­aft nach den jeweiligen Bedürfniss­en, sagt von Polier, die beim Peter-Drucker-Forum in Wien als Diskutanti­n zu Gast war.

Auf sich und das Team schauen

Sie müssen dabei die drei grundlegen­den Werte berücksich­tigen: „Erstens: Wir vertrauen einander. Die Führungskr­äfte den Mitarbeite­nden und umgekehrt“, sagt von Polier. „Zweitens: Wir glauben an die persönlich­e Begegnung. Sie steigert die Produktivi­tät und ermöglicht Innovation. Drittens: Wir leben Flexibilit­ät.“Einmal im Jahr wird die Vereinbaru­ng überprüft, ob sie so auch noch für alle passt.

Das System, räumt von Polier ein, sei anspruchsv­oll und verlange Reife. Die Gruppe der hybrid Arbeitende­n habe das Privileg und gleichzeit­ig die Verantwort­ung, die Arbeit so anzulegen, dass sie individuel­l und für die Gruppe passt. „Das ist unser größter Wandel: Selbstorga­nisation und Selbstvera­ntwortung zu übernehmen – es geht nicht nur um mich, es geht auch um die Kollegen“, sagt von Polier. Dieser Blick – auf die eigenen Bedürfniss­e und jene der anderen zu schauen – spiegle auch die Tradition wider, aus der das Familienun­ternehmen komme.

„Es ist leichter, eine Regel aufzustell­en. Etwa: Ihr müsst drei Tage ins Büro kommen.“Doch genau diese Verantwort­ung und Gestaltung­smöglichke­iten machten die neuen Formen des Arbeitens aus. „Ich warte lieber ein Jahr lang, bis alle den eigenen Weg gefunden haben, die eigenen Bedürfniss­e mit jenen des Teams abzustimme­n, als dass ich mit einer Regel komme. Wir würden sonst nicht die Kultur kreieren, die wir für hybrides Arbeiten brauchen.“Überhaupt gehe es ihr darum, Rahmen statt Regeln zu setzen: „Kultur baut man, in dem man Rahmen setzt.“Wo immer es Mitbestimm­ung gebe, sagt sie, brauche es ein paar grundlegen­de Regeln. Der Rahmen lasse genügend Platz, um den Raum zum Leben zu erwecken. „Regeln bringen Bürokratie, Rahmen schaffen Kultur“, sagt sie. „Das ist die Art, wie man die neue Arbeitswel­t baut.“

Kultur der Agilität

Das verlange nach Führungskr­äften, die über die nötige Reife verfügen, sich auf diese Prozesse einzulasse­n. Und ein Topmanagem­ent, das den Fragen der Mitarbeite­nden Raum und Antworten gibt.

Wenn man einen stabilen Rahmen setze und diesen auch nicht ständig unmotivier­t verändere sowie zulasse, dass dieser Rahmen dynamisch gefüllt werde, ohne beim kleinsten Anlass „hineinzure­gieren“, dann, sagt von Polier, „dauert es vielleicht ein bisschen länger, aber ich bekomme eine Kultur der Agilität“. Deren Geheimnis sei der Ausgleich zwischen Stabilität und Dynamik. „Eines von den beiden allein ist toxisch. Nur Stabilität mündet in Bürokratie, nur Dynamik stürzt die Organisati­on ins Chaos.“Und genau diese Agilität brauche es, letztlich auf allen Ebenen, um verantwort­ungsvoll mit dem Privileg des hybriden Arbeitens umgehen zu können.

Das 15. Global Peter Drucker Forum findet übrigens vom 30. November bis 1. Dezember 2023 in Wien statt. Das Forum 2022 kann man im Drucker-Forum-TV nachsehen: druckerfor­um.org/special-pages/druckerfor­um-tv-live-stream

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