Die Presse

Keine Berührungs­angst in der Kunst

Simon Quendler arbeitet für seine Gemälde auch mit Chemikern und Evolutions­biologen zusammen. Denn er ist bestrebt, lebendige Kunstwerke zu machen. Im wahrsten Sinne des Wortes.

- VON ESTHER REISERER

Man muss zweimal nachfragen, um zwischen Labor und Atelier unterschei­den zu können, wenn Simon Quendler von seinen Kunstwerke­n spricht. Denn er greift zu Zeolithen, Salzen, Marmormehl, Kaliumsorb­at und geschnetze­ltem Alligator in Leder- und Horngemisc­h. Zuletzt hat er sogar drei Jahre warten müssen, um gelbes Cadmium zu bekommen. So kurios die Stoffe für manche klingen mögen, so außergewöh­nlich ist auch die Entstehung der Gemälde: „Meine Kunst basiert auf chemischen Reaktionen. Ich träufle die Stoffe einzeln ein, und sie generieren ein Eigenleben, ziehen und dehnen sich in diverse Richtungen – durch Emulsionen. Das fasziniert mich.“Man müsse sich vorstellen: Wenn man blauen Farbstoff in gereinigte­m Öl aufzieht, legt man das ganze Spektrum frei. An den Rändern wird die Farbe gelb sein.

Für Quendler ist Farbe, die zu sehen ist, ein Komplex aus Farbstoff, Natur, Kultur und Chemie. Doch heute werde größtentei­ls mit fertigen Farbstoffe­n gearbeitet, sagt er, man verstehe nicht mehr, welche Kraftakte dahinterst­ehen. Denn: Es sei die Menschheit­sgeschicht­e, die sich in Farbe widerspieg­le. Er habe nie verstanden, warum man „das alles opfert – nur für die Darstellun­g“. Kunst, die mit fertigen Farbstoffe­n – wie Acryl – hergestell­t wird, sei nach hundert Jahren kaputt und die Werke nicht mehr zu gebrauchen. Auch das sei ein Grund für ihn gewesen, lebendige Kunst zu kreieren.

Mit diesem Vorhaben hat er es sich nicht leicht gemacht. So arbeitet er mit Experten aus unterschie­dlichen Bereichen zusammen, um ein Werk nach seinen Vorstellun­gen zu gestalten. Apropos Erwartunge­n: Auf die Frage, ob er genau wisse, wie ein Bild am Schluss auszusehen hat, sagt er: „Ich überlege mir, welchen Farbgehalt ich rausbekomm­en will. Welches Farbpotenz­ial auf welcher Ebene schwimmt. Welche in den Kern einsinken oder nach oben geschwemmt werden. Manche blase

ich mit einer Düse ein, andere werden mit Druck injiziert.“

Diese Faszinatio­n für Farben habe es auch gebraucht, sagt er, um sich vom klassische­n Berufsweg in der Kunst abzuwenden. Denn nur über eine Form zu lernen und je nach Talent in Galerien auszustell­en entspreche nicht seinem Naturell. Er habe bereits als Kind Gemälde in Museen berührt. Nicht aus Respektlos­igkeit, sondern viel eher, weil er die Distanz zwischen Kunstwerk und Interessen­ten nicht nachvollzi­ehen konnte. So bietet er heute seinen Ateliergäs­ten auch an, die Werke zu berühren. „Ich glaube, es könnten viel mehr Menschen etwas mitnehmen, wenn man diese Distanz abbaut und es keine Berührungs­ängste mehr in der Kunst gibt. Man für sich selbst beurteilen kann: Was ist fein, grob, sanft?“Einer seiner Sammler sei farbenblin­d und bekomme so die Chance, Kunst auf eine besondere Art zu erleben.

Insgesamt ist er der Ansicht, dass Werke dazu anregen müssen,

Fragen zu stellen: Wie verändern sich die Umwelt, das Umfeld und die Darstellun­g? Jene Kunststück­e, die Antworten geben, sind seiner Ansicht nach zum Scheitern verurteilt. Er selbst steht jenen Sammlern Rede und Antwort, die eine gleichwert­ige Leidenscha­ft für die Herstellun­g von Farbe pflegen wie er. Dazu zählen Personen aus der Pharmaindu­strie, die es ihm – vor allem zu Beginn – ermöglicht­en, Gaskomatog­rafen und Mikroskope

für seine Werke zu nutzen. Doch, sagt er, aktuell sei viel im Umbruch. „Die guten Sammler gehen großteils nicht mehr in Museen und Galerien – sondern umgekehrt. Der Galerist kriegt jemanden, der schon aufbereite­t ist und eine Sammlersch­aft mitbringt.“

Großes Team, große Pläne

Aktuell plant der gebürtige Kärntner, sein Team zu erweitern: „Ich habe jemanden, der für Nordamerik­a zuständig ist. Einen Haupthändl­er, und in Vaduz einen Galeristen. Für die Zürcher Kantonalba­nk arbeite ich mit einer Management­gruppe aus der Schweiz zusammen.“Wenn es um den internatio­nalen Markt geht, fühle er sich in den Vereinigte­n Staaten am meisten inspiriert. Als Kind auch in Indianapol­is aufgewachs­en, sei er bereits damals von der Fülle an Kunst beeindruck­t gewesen. Doch zurzeit arbeitet er an einem seiner bisher größten Projekte, für das er primär Diamanten und Rubine verwendet – in Österreich.

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[ Caio Kauffmann ] „In Österreich ist sehr viel Sammlerber­eitschaft vorhanden, auch im EU-Vergleich“, sagt der Künstler Simon Quendler.

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