Warum der Nahe Osten in den Brics-Klub drängt
Nahoststaaten wenden sich vom Westen ab und suchen mit Beitritt zu Brics geopolitische Absicherung.
Die Staatengruppe Brics erweitert sich um sechs neue Mitglieder – und vier davon kommen aus dem Nahen Osten. Die wirtschaftlich stärksten von ihnen, Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), wollen sich im neuen OstWest-Konflikt zwischen USA und Europa auf der einen und China sowie Russland auf der anderen Seite geopolitisch absichern. Für den Iran bedeutet der Beitritt zu Brics einen Weg aus der Isolation.
Unkompliziert wird die Zusammenarbeit der künftig elf Brics-Staaten nicht. Saudiarabien und der Iran sowie Ägypten und Äthiopien sind seit Jahren zerstritten. Die neuen Brics-Staaten aus Nahost bringen ihre ungelösten Konflikte mit in die Organisation. Die fünf bisherigen Brics-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – wollen den Verband mit der Erweiterung zum wichtigsten Forum des Globalen Südens machen.
Positionierung in neuer Weltordnung
Zu ihren Zielen gehört die Abwendung vom US-Dollar als Leitwährung für den internationalen Handel. China und Russland betrachten die Organisation als Möglichkeit, ihren weltpolitischen Einfluss zulasten der USA auszubauen: Die Beitrittskandidaten Argentinien, Saudiarabien, VAE, Ägypten und Äthiopien sind Verbündete der USA; nur der Iran ist ohnehin schon ein politischer Gegner der Amerikaner. Brics gewinnt mit den großen Ölproduzenten Saudiarabien, VAE und Iran sowie Ägypten als bevölkerungsreichstem arabischem Land und Wächterin über den Suezkanal an geopolitischer Macht.
Für Saudiarabien und die VAE geht es nicht darum, die USA als Hauptpartner durch China und Russland zu ersetzen, sagt Sebastian Sons, Experte für die Golfregion an der Denkfabrik Carpo in Bonn. Das Königshaus Saud betrachte die mögliche Mitgliedschaft bei Brics als „Option, sich in einer multipolaren Weltordnung zu positionieren“. Brics sei zudem eine weitere
Plattform für Riad, um mit dem langjährigen Rivalen Iran ins Gespräch zu kommen; seit dem Frühjahr läuft ein von China vermittelter Annäherungsprozess zwischen Saudis und Iranern. „Für Saudiarabiens taktische Annäherung an Iran ist ein BricsBeitritt mit Sicherheit ein wichtiger Schritt“, sagte Sons der „Presse“.
Die Ölmonarchie werde möglicherweise auch die Mitgliedschaft in der ShanghaiGruppe anstreben, einem Zusammenschluss asiatischer Staaten unter Führung von China und Russland, meint Sons; der Iran ist kürzlich beigetreten. Riad wolle sich als „Sprecher des Globalen Südens“positionieren und engere Beziehungen zu Indien, Brasilien und Südafrika pflegen. „Das bedeutet aber nicht, dass man sich zwingend vom Westen weiter abwendet, sondern versucht, den Pendelkurs weiterzuführen: eine Hinwendung zum Osten bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Beziehungen zum Westen.“
Die VAE wollten sich wirtschaftlich breiter aufstellen und würden von ähnlichen Motiven angetrieben, sagt Sons. „Man versucht, in beiden Lagern zu spielen, und will nicht als Erfüllungsgehilfe des Westens wahrgenommen werden. Der mögliche Beitritt zu Brics ist für Saudiarabien wie die Emirate ein Signal an den Westen.“Beide Länder strebten eine unabhängigere Außenpolitik an und wollten „definitiv noch enger mit China zusammenarbeiten“.
Chinesisches AKW für Saudiarabien
China ist der Hauptabnehmer für Öl aus Saudiarabien und engagiert sich mit Großprojekten auch in anderen Nahost-Ländern; so sind chinesische Firmen führend am Bau einer neuen Verwaltungshauptstadt in Ägypten beteiligt. Das „Wall Street Journal“meldet, Saudiarabien wolle sich von einem chinesischen Staatsunternehmen das erste Atomkraftwerk des Landes bauen lassen – die USA zögern indes, weil sie befürchten, Saudiarabien könnte das Know-how nützen, um eine Atombombe zu bauen.
Allerdings geht Saudiarabien bei der Umgestaltung seiner Außenpolitik behutsam vor. Riad nahm das Angebot der BricsMitgliedschaft nicht sofort an, sondern kündigte an, die Details zu prüfen.
Der Iran zögerte keine Minute. Präsident Ebrahim Raisi nahm am Brics-Gipfel in Johannesburg teil und warb öffentlich für eine Abkehr vom Dollar. Sein Vize-Stabschef Mohammad Jamshidi schrieb auf X (vormals Twitter), der bevorstehende Beitritt der Islamischen Republik sei ein „strategischer Sieg“für die iranische Außenpolitik. Das Mullah-Regime ist wegen seines Atomprogramms mit internationalen Sanktionen belegt. Die Brics-Mitgliedschaft könnte den Iranern viele Handelserleichterungen bringen.