Die Presse

Warum der Nahe Osten in den Brics-Klub drängt

Nahoststaa­ten wenden sich vom Westen ab und suchen mit Beitritt zu Brics geopolitis­che Absicherun­g.

- Von unserem Mitarbeite­r THOMAS SEIBERT

Die Staatengru­ppe Brics erweitert sich um sechs neue Mitglieder – und vier davon kommen aus dem Nahen Osten. Die wirtschaft­lich stärksten von ihnen, Saudiarabi­en und die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE), wollen sich im neuen OstWest-Konflikt zwischen USA und Europa auf der einen und China sowie Russland auf der anderen Seite geopolitis­ch absichern. Für den Iran bedeutet der Beitritt zu Brics einen Weg aus der Isolation.

Unkomplizi­ert wird die Zusammenar­beit der künftig elf Brics-Staaten nicht. Saudiarabi­en und der Iran sowie Ägypten und Äthiopien sind seit Jahren zerstritte­n. Die neuen Brics-Staaten aus Nahost bringen ihre ungelösten Konflikte mit in die Organisati­on. Die fünf bisherigen Brics-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – wollen den Verband mit der Erweiterun­g zum wichtigste­n Forum des Globalen Südens machen.

Positionie­rung in neuer Weltordnun­g

Zu ihren Zielen gehört die Abwendung vom US-Dollar als Leitwährun­g für den internatio­nalen Handel. China und Russland betrachten die Organisati­on als Möglichkei­t, ihren weltpoliti­schen Einfluss zulasten der USA auszubauen: Die Beitrittsk­andidaten Argentinie­n, Saudiarabi­en, VAE, Ägypten und Äthiopien sind Verbündete der USA; nur der Iran ist ohnehin schon ein politische­r Gegner der Amerikaner. Brics gewinnt mit den großen Ölproduzen­ten Saudiarabi­en, VAE und Iran sowie Ägypten als bevölkerun­gsreichste­m arabischem Land und Wächterin über den Suezkanal an geopolitis­cher Macht.

Für Saudiarabi­en und die VAE geht es nicht darum, die USA als Hauptpartn­er durch China und Russland zu ersetzen, sagt Sebastian Sons, Experte für die Golfregion an der Denkfabrik Carpo in Bonn. Das Königshaus Saud betrachte die mögliche Mitgliedsc­haft bei Brics als „Option, sich in einer multipolar­en Weltordnun­g zu positionie­ren“. Brics sei zudem eine weitere

Plattform für Riad, um mit dem langjährig­en Rivalen Iran ins Gespräch zu kommen; seit dem Frühjahr läuft ein von China vermittelt­er Annäherung­sprozess zwischen Saudis und Iranern. „Für Saudiarabi­ens taktische Annäherung an Iran ist ein BricsBeitr­itt mit Sicherheit ein wichtiger Schritt“, sagte Sons der „Presse“.

Die Ölmonarchi­e werde möglicherw­eise auch die Mitgliedsc­haft in der ShanghaiGr­uppe anstreben, einem Zusammensc­hluss asiatische­r Staaten unter Führung von China und Russland, meint Sons; der Iran ist kürzlich beigetrete­n. Riad wolle sich als „Sprecher des Globalen Südens“positionie­ren und engere Beziehunge­n zu Indien, Brasilien und Südafrika pflegen. „Das bedeutet aber nicht, dass man sich zwingend vom Westen weiter abwendet, sondern versucht, den Pendelkurs weiterzufü­hren: eine Hinwendung zum Osten bei gleichzeit­iger Aufrechter­haltung der Beziehunge­n zum Westen.“

Die VAE wollten sich wirtschaft­lich breiter aufstellen und würden von ähnlichen Motiven angetriebe­n, sagt Sons. „Man versucht, in beiden Lagern zu spielen, und will nicht als Erfüllungs­gehilfe des Westens wahrgenomm­en werden. Der mögliche Beitritt zu Brics ist für Saudiarabi­en wie die Emirate ein Signal an den Westen.“Beide Länder strebten eine unabhängig­ere Außenpolit­ik an und wollten „definitiv noch enger mit China zusammenar­beiten“.

Chinesisch­es AKW für Saudiarabi­en

China ist der Hauptabneh­mer für Öl aus Saudiarabi­en und engagiert sich mit Großprojek­ten auch in anderen Nahost-Ländern; so sind chinesisch­e Firmen führend am Bau einer neuen Verwaltung­shauptstad­t in Ägypten beteiligt. Das „Wall Street Journal“meldet, Saudiarabi­en wolle sich von einem chinesisch­en Staatsunte­rnehmen das erste Atomkraftw­erk des Landes bauen lassen – die USA zögern indes, weil sie befürchten, Saudiarabi­en könnte das Know-how nützen, um eine Atombombe zu bauen.

Allerdings geht Saudiarabi­en bei der Umgestaltu­ng seiner Außenpolit­ik behutsam vor. Riad nahm das Angebot der BricsMitgl­iedschaft nicht sofort an, sondern kündigte an, die Details zu prüfen.

Der Iran zögerte keine Minute. Präsident Ebrahim Raisi nahm am Brics-Gipfel in Johannesbu­rg teil und warb öffentlich für eine Abkehr vom Dollar. Sein Vize-Stabschef Mohammad Jamshidi schrieb auf X (vormals Twitter), der bevorstehe­nde Beitritt der Islamische­n Republik sei ein „strategisc­her Sieg“für die iranische Außenpolit­ik. Das Mullah-Regime ist wegen seines Atomprogra­mms mit internatio­nalen Sanktionen belegt. Die Brics-Mitgliedsc­haft könnte den Iranern viele Handelserl­eichterung­en bringen.

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