Sexismus im Spital: Flut an weiteren Fällen
Ein Netzwerktreffen von Ärztinnen bestätigt die weite Verbreitung des Problems. Unter „MedToo“werden nun Beispiele gesammelt.
Szene an einem Spital, ein Primar stellt zwei neue Kolleginnen vor. Die eine, sagt er, habe „viel publiziert“. Die andere sei „fürs Auge“.
Im OP sei es einfach eng, erklärte wiederum ein Oberarzt einer Studentin, „aber kein Problem, ich kuschel mich eh gern von hinten an dich ran“. Ebenfalls aus dem OP stammt das Erlebnis einer anderen Studentin, die dem männlichen Patienten einen Dauerkatheter setzen sollte. Sie sei ja noch jung und müsse „eh noch lernen, mit dem Ding umzugehen“, feixten die zwei Chirurgen. Mit dem „Ding“gemeint war eher nicht der Katheter.
„Sittenbild in Weiß“titelte zuletzt „Die Presse am Sonntag“, und dass die dort geschilderten Situationen keine Einzelfälle sind, das zeigte sich am Donnerstagabend auch bei einem Netzwerktreffen für Ärztinnen, zu dem das Frauenreferat der Wiener Ärztekammer geladen hatte. 120 Ärztinnen standen auf der Gästeliste für den Abend zum Thema „Sexismus in der Medizin“im Radisson Red Hotel, weitere 150 hofften per Warteliste auf einen Platz. Viele der Anwesenden teilten – teils im Gespräch, teils auf kleinen Kärtchen – selbst erlebte Geschichten. Weitere werden ab sofort auf Instagram gesammelt. Stichwort: „MedToo“.
Breites Feedback
Nach dem Bericht gebe es breites Feedback auf allen Kanälen, berichtete Allgemeinmedizinerin Anna-Christina Kichler, die gemeinsam mit anderen Ärztinnen auch mit eigenen Erlebnissen in der „Presse am Sonntag“an die Öffentlichkeit gegangen war. „Der Wiederhall
ist riesig“, sagt Kichler. „Menschen, von denen ich ewig nicht gehört habe, haben mir geschrieben, sich bedankt.“Darunter auch ehemalige Kolleginnen, die Ähnliches oder Schlimmeres erlebt hätten, die sich aber entweder nicht trauen würden, darüber zu sprechen, oder es aber nicht wollen. Dafür sei die Zahl der Meldungen in der Ombudsstelle der Ärztekammer nach dem Bericht deutlich gestiegen.
Zu Wort gemeldet hat sich zuletzt auch Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). „Es hat solche Fälle gegeben, und da wird auch rigoros durchgegriffen“, bestätigte Hacker gegenüber Radio Wien. Ein Problem sei, dass Vorfälle oft nicht gemeldet werden. Hacker ermutigt betroffene Ärztinnen: „Es geht darum, schwarze Schafe zu finden.“Für diese Männer sei die Karriere im Gesundheitsverbund zu Ende:
„Mir ist es dann völlig wurscht, in welcher Funktion und Position Männer sind. Wenn sie ihre Funktion ausnützen, dann wird es für sie keinen Platz mehr geben (…) im Unternehmen oder nicht in sonstigen Bereichen der Stadt.“Seitens des Frauenreferats der Kammer hofft man nun, „zeitnah mit der Stadt Wien einen Gesprächstermin wahrzunehmen, um das Thema weiter voranzubringen“.
Gleichbehandlungsbeauftragte Eva Atzmüller, die in der Stadt Wien für den Wiener Gesundheitsverbund (Wigev) zuständig ist, rät Betroffenen jedenfalls, unangemessene Vorfälle zu protokollieren, unabhängig davon, ob man vorhabe zu handeln oder nicht. „Erste Reaktionen sind oft Scham oder Verdrängung. Es kann sein, dass es lang dauert, bis Klientinnen zu uns finden.“Deshalb sei es wichtig, sich rechtzeitig zu notieren, was
wann wo passiert ist, wer noch im Dienst war, oder wer Zeuge gewesen sein könnte. Auch sei es möglich, sich von der Gleichbehandlungsstelle nur beraten zu lassen. Aktiv werde man explizit nur ausschließlich auf Wunsch der Betroffenen.
Die Stelle der Gleichbehandlungsbeauftragten der Stadt verzeichnet rund 240 Kontaktaufnahmen jährlich, dazu zählen auch Weiterleitungen an andere Stellen. Rund 100 Fälle werden behandelt, etwa die Hälfte der Fälle betrifft den Gesundheitsverbund. Häufigster Grund: sexuelle Belästigung, gefolgt von der Durchsetzung von Ansprüchen in Bezug auf Schwangerschaft oder Karenz. Die Mehrzahl der Fälle erfordere eine „intensivere“, zum Teil jahrelange Betreuung.
Nicht zuletzt deshalb komme es vor, dass Betroffene gar nicht aktiv werden wollen, selbst bei massiven sexuellen Belästigungen, sagt Gleichbehandlungsbeauftragte Atzmüller. „Es ist natürlich immer auch ein schwerer Weg.“Umso wichtiger sei es, sagt Allgemeinmedizinerin Julia Harl (auch sie ist in der Kammer aktiv), „Awareness zu schaffen, um zu einem modernen und respektvollen Umgang miteinander zu finden“.
„Kultur der Hierarchie“
Dass der Umgangston in Spitälern oft ein anderer sei als etwa im niedergelassenen Bereich, habe dabei durchaus auch historische Gründe, sagt Atzmüller. Krankenhäuser zählen wie Schulen oder das Militär zu jenen Institutionen, die sehr hierarchisch organisiert sind. „Der Vorteil von einer Hierarchie ist, dass sie Orientierung bietet, dass es Regeln gibt, die das Zusammenarbeiten bis zu einem gewissen Grad einfacher machen, und auch, dass Verantwortungen klar abgesteckt sind. Der große Nachteil ist, dass es ein großes Machtgefälle zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gibt. Dieses Machtgefälle kann ausgenutzt werden und dazu führen, dass Diskriminierung, auch Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, gehäuft vorkommt.“Es sei „frappierend“, wie sehr diese „Kultur der Hierarchie“im Spital noch gelebt werde, bestätigt auch Kommunikationstrainerin Britta Blumencron, die auf den Gesundheitsbereich spezialisiert ist.
Viele Einsendungen aus der Medizin verzeichnet auch die Instagram-Plattform „Oida, it’s Sexism“, über die man einschlägige Erlebnisse teilen kann. Weit verbreitet sei etwa, junge Kolleginnen nicht beim Namen zu nennen, berichtet Gründerin Miriam SteinerEl Agrebi. Man rufe sie etwa „Schatzi“, ein Arzt nenne alle einheitlich „Uschi“. „Das ist natürlich ein wirksames Instrument, jemandem sogar den Namen zu verweigern.“
Ebenfalls gängig sei, als Vorgesetzter junge Kolleginnen im OP oder beim Mittagessen zu deren Sexleben zu befragen. „Alle Frauen haben geschrieben, dass sie völlig überfordert waren, wie sie reagieren sollen. Die Sorge vor Konsequenzen zieht sich durch alle Geschichten durch.“