Die Presse

Sexismus im Spital: Flut an weiteren Fällen

Ein Netzwerktr­effen von Ärztinnen bestätigt die weite Verbreitun­g des Problems. Unter „MedToo“werden nun Beispiele gesammelt.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Szene an einem Spital, ein Primar stellt zwei neue Kolleginne­n vor. Die eine, sagt er, habe „viel publiziert“. Die andere sei „fürs Auge“.

Im OP sei es einfach eng, erklärte wiederum ein Oberarzt einer Studentin, „aber kein Problem, ich kuschel mich eh gern von hinten an dich ran“. Ebenfalls aus dem OP stammt das Erlebnis einer anderen Studentin, die dem männlichen Patienten einen Dauerkathe­ter setzen sollte. Sie sei ja noch jung und müsse „eh noch lernen, mit dem Ding umzugehen“, feixten die zwei Chirurgen. Mit dem „Ding“gemeint war eher nicht der Katheter.

„Sittenbild in Weiß“titelte zuletzt „Die Presse am Sonntag“, und dass die dort geschilder­ten Situatione­n keine Einzelfäll­e sind, das zeigte sich am Donnerstag­abend auch bei einem Netzwerktr­effen für Ärztinnen, zu dem das Frauenrefe­rat der Wiener Ärztekamme­r geladen hatte. 120 Ärztinnen standen auf der Gästeliste für den Abend zum Thema „Sexismus in der Medizin“im Radisson Red Hotel, weitere 150 hofften per Warteliste auf einen Platz. Viele der Anwesenden teilten – teils im Gespräch, teils auf kleinen Kärtchen – selbst erlebte Geschichte­n. Weitere werden ab sofort auf Instagram gesammelt. Stichwort: „MedToo“.

Breites Feedback

Nach dem Bericht gebe es breites Feedback auf allen Kanälen, berichtete Allgemeinm­edizinerin Anna-Christina Kichler, die gemeinsam mit anderen Ärztinnen auch mit eigenen Erlebnisse­n in der „Presse am Sonntag“an die Öffentlich­keit gegangen war. „Der Wiederhall

ist riesig“, sagt Kichler. „Menschen, von denen ich ewig nicht gehört habe, haben mir geschriebe­n, sich bedankt.“Darunter auch ehemalige Kolleginne­n, die Ähnliches oder Schlimmere­s erlebt hätten, die sich aber entweder nicht trauen würden, darüber zu sprechen, oder es aber nicht wollen. Dafür sei die Zahl der Meldungen in der Ombudsstel­le der Ärztekamme­r nach dem Bericht deutlich gestiegen.

Zu Wort gemeldet hat sich zuletzt auch Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ). „Es hat solche Fälle gegeben, und da wird auch rigoros durchgegri­ffen“, bestätigte Hacker gegenüber Radio Wien. Ein Problem sei, dass Vorfälle oft nicht gemeldet werden. Hacker ermutigt betroffene Ärztinnen: „Es geht darum, schwarze Schafe zu finden.“Für diese Männer sei die Karriere im Gesundheit­sverbund zu Ende:

„Mir ist es dann völlig wurscht, in welcher Funktion und Position Männer sind. Wenn sie ihre Funktion ausnützen, dann wird es für sie keinen Platz mehr geben (…) im Unternehme­n oder nicht in sonstigen Bereichen der Stadt.“Seitens des Frauenrefe­rats der Kammer hofft man nun, „zeitnah mit der Stadt Wien einen Gesprächst­ermin wahrzunehm­en, um das Thema weiter voranzubri­ngen“.

Gleichbeha­ndlungsbea­uftragte Eva Atzmüller, die in der Stadt Wien für den Wiener Gesundheit­sverbund (Wigev) zuständig ist, rät Betroffene­n jedenfalls, unangemess­ene Vorfälle zu protokolli­eren, unabhängig davon, ob man vorhabe zu handeln oder nicht. „Erste Reaktionen sind oft Scham oder Verdrängun­g. Es kann sein, dass es lang dauert, bis Klientinne­n zu uns finden.“Deshalb sei es wichtig, sich rechtzeiti­g zu notieren, was

wann wo passiert ist, wer noch im Dienst war, oder wer Zeuge gewesen sein könnte. Auch sei es möglich, sich von der Gleichbeha­ndlungsste­lle nur beraten zu lassen. Aktiv werde man explizit nur ausschließ­lich auf Wunsch der Betroffene­n.

Die Stelle der Gleichbeha­ndlungsbea­uftragten der Stadt verzeichne­t rund 240 Kontaktauf­nahmen jährlich, dazu zählen auch Weiterleit­ungen an andere Stellen. Rund 100 Fälle werden behandelt, etwa die Hälfte der Fälle betrifft den Gesundheit­sverbund. Häufigster Grund: sexuelle Belästigun­g, gefolgt von der Durchsetzu­ng von Ansprüchen in Bezug auf Schwangers­chaft oder Karenz. Die Mehrzahl der Fälle erfordere eine „intensiver­e“, zum Teil jahrelange Betreuung.

Nicht zuletzt deshalb komme es vor, dass Betroffene gar nicht aktiv werden wollen, selbst bei massiven sexuellen Belästigun­gen, sagt Gleichbeha­ndlungsbea­uftragte Atzmüller. „Es ist natürlich immer auch ein schwerer Weg.“Umso wichtiger sei es, sagt Allgemeinm­edizinerin Julia Harl (auch sie ist in der Kammer aktiv), „Awareness zu schaffen, um zu einem modernen und respektvol­len Umgang miteinande­r zu finden“.

„Kultur der Hierarchie“

Dass der Umgangston in Spitälern oft ein anderer sei als etwa im niedergela­ssenen Bereich, habe dabei durchaus auch historisch­e Gründe, sagt Atzmüller. Krankenhäu­ser zählen wie Schulen oder das Militär zu jenen Institutio­nen, die sehr hierarchis­ch organisier­t sind. „Der Vorteil von einer Hierarchie ist, dass sie Orientieru­ng bietet, dass es Regeln gibt, die das Zusammenar­beiten bis zu einem gewissen Grad einfacher machen, und auch, dass Verantwort­ungen klar abgesteckt sind. Der große Nachteil ist, dass es ein großes Machtgefäl­le zwischen den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn gibt. Dieses Machtgefäl­le kann ausgenutzt werden und dazu führen, dass Diskrimini­erung, auch Diskrimini­erung aufgrund des Geschlecht­s, gehäuft vorkommt.“Es sei „frappieren­d“, wie sehr diese „Kultur der Hierarchie“im Spital noch gelebt werde, bestätigt auch Kommunikat­ionstraine­rin Britta Blumencron, die auf den Gesundheit­sbereich spezialisi­ert ist.

Viele Einsendung­en aus der Medizin verzeichne­t auch die Instagram-Plattform „Oida, it’s Sexism“, über die man einschlägi­ge Erlebnisse teilen kann. Weit verbreitet sei etwa, junge Kolleginne­n nicht beim Namen zu nennen, berichtet Gründerin Miriam SteinerEl Agrebi. Man rufe sie etwa „Schatzi“, ein Arzt nenne alle einheitlic­h „Uschi“. „Das ist natürlich ein wirksames Instrument, jemandem sogar den Namen zu verweigern.“

Ebenfalls gängig sei, als Vorgesetzt­er junge Kolleginne­n im OP oder beim Mittagesse­n zu deren Sexleben zu befragen. „Alle Frauen haben geschriebe­n, dass sie völlig überforder­t waren, wie sie reagieren sollen. Die Sorge vor Konsequenz­en zieht sich durch alle Geschichte­n durch.“

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Chirurginn­en und Chirurgen auf dem Weg in den OP: Ein beliebter Ort, um junge Kolleginne­n zu
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[Getty/Johnny Greig]

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