Die Presse

„Verpflicht­ende Schulung vor Kreditaufn­ahme“

Kreditnehm­er sollen künftig eine verpflicht­ende Schulung über die finanziell­en Risiken machen müssen, bevor sie sich Geld bei Banken holen dürfen, fordert OeNB-Gouverneur Robert Holzmann. Er erwartet weitere Zinsanhebu­ngen.

- VON JAKOB ZIRM

„Die Presse“: Die steigenden Zinsen sind nun auch ein Politikum. Die Opposition fordert gesetzlich­e Zinsdeckel, und auch die Banken und der Finanzmini­ster haben nun ein Hilfspaket für Kreditnehm­er präsentier­t. Haben wir hier ein Problem?

Robert Holzmann: In so einer Frage sollte man auch immer ein wenig in die Vergangenh­eit blicken. Das jetzige Zinsniveau gab es zuletzt Mitte der Nullerjahr­e, es ist also nicht ungewöhnli­ch. Nicht normal waren die Nullzinsen in der Zeit dazwischen. Im Neubaubere­ich führen die hohen Zinsen nun natürlich zu Problemen, aber auch hier hat man es in der Vergangenh­eit verstanden zu bauen. Einer der Unterschie­de ist jedoch, dass es heute mehr freifinanz­ierte Neubauten gibt, weil das Angebot an geförderte­n Wohnungen geringer ist. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass es noch nie ganz leicht war, sich als Jungfamili­e einfach so eine größere Immobilie zu kaufen und zusätzlich noch zweimal im Jahr auf teure Urlaube zu fahren.

Thema ist aber nicht nur der Neubau, sondern auch die bestehende­n variablen Kredite. Deren Anteil ist in Österreich im Europaverg­leich überdurchs­chnittlich hoch.

Hier hat es sicherlich eine Rolle gespielt, dass die Menschen zu wenig aufgeklärt wurden. Mein Vorschlag wäre daher eine verpflicht­ende Schulung, bevor ein Hypothekar­kredit aufgenomme­n werden kann. Denn das ist die größte finanziell­e Entscheidu­ng im Leben der meisten Menschen. Da sollten sie sich einige Stunden mit den möglichen Risiken auseinande­rsetzen. Ein sogenannte­s „eventorien­ted learning“. In den USA haben einige Bundesstaa­ten das nach der Finanzkris­e eingeführt.

Das wäre dann eine gesetzlich­e Verpflicht­ung? Ähnlich wie der Psychologi­etest, bevor ich eine Waffe kaufen kann.

Ja, wenn Personen Entscheidu­ngen für ein paar Hunderttau­send Euro treffen und ihr Einkommen nur einen Bruchteil davon beträgt, dann ist es wichtig, dass sie das Risiko abschätzen können. Das kann ein Bankberate­r in der kurzen Zeit eines normalen Beratungsg­esprächs gar nicht leisten.

Haben die heimischen Banken bei der Aufklärung der Kreditnehm­er versagt?

Das kann ich nicht beurteilen, weil ich dazu nicht die ausreichen­den Informatio­nen habe. Die Entscheidu­ng über einen Bankkredit liegt jedoch schlussend­lich immer beim Kreditnehm­er.

Wer soll diese Finanzbild­ung dann durchführe­n? Und wer bezahlen?

Hier gäbe es sicher gute Möglichkei­ten für Sozialpart­ner und Banken, sich gemeinsam einzubring­en. Und bei einem Kredit von 200.000 Euro sollten zum Beispiel ein paar Hundert Euro für die Finanzbild­ung nur eine kleine Rolle gegenüber dem potenziell­en Risiko spielen.

Das wäre jedoch eine Maßnahme für die Zukunft. Für die heutigen Kreditnehm­er wird nun aber ein Zinsdeckel gefordert.

Dem stehe ich sehr skeptisch gegenüber. Denn einerseits spielen Preise eine wichtige Rolle bei der Findung des Gleichgewi­chts am Markt. Und damit würde auch die Wirksamkei­t der Geldpoliti­k konterkari­ert. Denn wir wollen ja, dass es durch die Zinsen eine Reaktion in Form von geringerer Nachfrage gibt. Außerdem würden Besserverd­ienende überpropor­tional von einem Zinsdeckel profitiere­n.

Kritik an den Banken gibt es auch hinsichtli­ch der Sparzinsen. So können die Institute Geld bei der EZB für 3,75 Prozent hinterlege­n, sie geben den Sparern aber nur wenige Zehntelpro­zent davon weiter. Bereichern sich die Banken hier?

Die Differenz zwischen Einkaufsun­d Verkaufspr­eis ist der Gewinn. Insofern bereichert sich jeder Händler an seinen Kunden. Wichtig ist also der Vergleich etwa mit anderen Ländern. Und hier werden laut unseren Daten in Österreich die Zinsanhebu­ngen zumindest bei gebundenen Einlagen eher stärker weitergege­ben. Bei den ungebunden­en sind wir auch nicht schlecht, aber es könnte hier mehr sein. In Summe wird kaum weniger weitergege­ben als in der Vergangenh­eit. Man sollte sein Geld halt nicht am Girokonto liegen lassen.

Grund für die ganze Zinswende ist die Inflation. Hier gibt es zwar schon eine Trendwende, dennoch ist die Teuerung immer noch weit über dem Ziel. Braucht es weitere Zinsanhebu­ngen?

Wir sehen bei der Hauptinfla­tion Rückgänge. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Basiseffek­te zum Tragen kommen. Aber die Kerninflat­ionsrate (ohne volatile Produkte wie Energie oder Lebensmitt­el, Anm.) ist nach wie vor sehr hoch.

Sie war im Juli erstmals höher als die Hauptinfla­tion.

Ja, und das war durchaus ungewöhnli­ch. Deshalb gibt es leider noch keine große Entwarnung. Wir müssen jetzt einmal sehen, wie das im ganzen Euroraum ist. Ob es hier in den großen Ländern schon eine Entspannun­g gibt. Wenn das nicht der Fall ist, wird man draufbleib­en müssen. Meine Vermutung ist, dass man noch etwas drauflegen soll. Darüber werden aber die Daten entscheide­n.

In den USA liegt der Leitzins um rund einen Prozentpun­kt höher. Kann die Eurozone diese Differenz einfach so hinnehmen?

Bei den Finanzanla­gen sind die USA dadurch ganz klar attraktive­r. Geldpoliti­sch und makroökono­misch lässt es sich jedoch erklären, da der geschätzte Gleichgewi­chtszinssa­tz in den USA auch rund einen Prozentpun­kt höher liegt.

Weil die US-Wirtschaft einfach dynamische­r ist.

Ja. Es gibt dort mehr Kapitalism­us und somit eine dynamische­re Wirtschaft.

Was bedeutet die Entwicklun­g in Asien für uns? In Japan gibt es noch Nullzinsen und China senkt sogar wieder.

In Japan versucht man seit 1990 mit niedrigen Zinsen aus der Krise herauszuwa­chsen. Das funktionie­rt bisher aber nur mäßig. Allerdings werden die Zinsen dort nun langsam positiv. In China wiederum gibt es vor allem ein Finanzmark­tproblem aufgrund der hohen

Verschuldu­ngen der lokalen Kommunen. Diese Schuldenla­st ist nicht tragbar. Der Staat ist derzeit aber noch nicht bereit, ein Bail-out zu machen. Darunter leidet derzeit das Wachstum des ganzen Landes. Und das hat auch auf Europa Auswirkung­en.

Ein anderes Thema, das in Österreich im Sommer für Aufregung gesorgt hat, ist das Bargeld. Bundeskanz­ler Karl Nehammer möchte, dass das Zahlen mit Bargeld in die Verfassung kommt. Eine gute Idee?

De jure muss Bargeld auch schon jetzt angenommen werden. Aber es gibt keine Sanktionen, falls das nicht passiert. Es muss also in Form einer Annahmepfl­icht und mit den notwendige­n Ausnahmen präzisiert werden. Gibt es diese nicht, könnten gewissen Personengr­uppen – etwa Ältere – vom Leben ausgeschlo­ssen werden. Hier müsste man aber auch klären, ob es das europaweit braucht oder je nach Land. Denn Niederländ­er oder Skandinavi­er ticken hier schon ganz anders als das bargeldaff­ine Österreich.

Es gibt also einen Handlungsb­edarf?

Ja, absolut. Wenn wir uns anschauen, dass in den Niederland­en zwölf Prozent der Apotheken und 20 Prozent der Kinos nur mehr elektronis­che Zahlungen akzeptiere­n, ist das ein Thema. Die Notwendigk­eit, dies klar zu regeln, ist also da.

Ein anderes Thema sind Obergrenze­n für Bargeldzah­lungen. Soll es diese europaweit geben?

Hier bin ich eher skeptisch. Denn es gibt ja EU-Länder, wo es eine Obergrenze von 1000 oder auch nur 500 Euro gibt. Das hat aber weder an kriminelle­n Machenscha­ften noch der Steuerhint­erziehung viel geändert. Und es gibt viele legale Geschäfte – etwa den Verkauf eines Gebrauchtw­agens, bei dem der Tausch Bargeld gegen Schlüssel eine übliche und logische Vorgangswe­ise ist.

Viele Menschen haben die Sorge, dass es bei elektronis­chen Zahlungen zu einer Art Überwachun­g kommt. Ist das begründet?

Ja, das ist begründet. Denn heute wissen die privaten Zahlungsab­wickler ganz genau, wann Sie was um wie viel gekauft haben. Daher wäre auch ein digitales Zentralban­kgeld wie der digitale Euro so wichtig. Weil er elektronis­che Zahlungen ermöglicht, ohne dass die Daten dabei gespeicher­t werden.

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[Caio Kauffmann] Die Kreditaufn­ahme „ist die größte finanziell­e Entscheidu­ng im Leben der meisten Menschen“, so Holzmann.

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