Wohnungsnot durch Untätigkeit
Die wieder aufkommende Mietdeckel-Debatte vernebelt den Blick auf ein Problem mit fatalen Folgen, wenn nicht schneller gehandelt wird.
Wien. Für Mieter wird die Lage am Wohnungsmarkt immer enger. Wie viele andere Kosten verteuerten sich die Mieten mit der Inflation. Doch damit nicht genug. Der Wettkampf, um überhaupt eine erschwingliche Wohnung zu bekommen, wird immer härter. Jährlich nimmt die Bevölkerung zu – vor allem in der Bundeshauptstadt. Bis ins Jahr 2080 soll Wien rund 2,5 Millionen Einwohner haben. Wo sollen die alle wohnen? Denn die Neubautätigkeit in Österreich ist geradezu eingebrochen. Im ersten Quartal wurden nur rund halb so viele Baubewilligungen erteilt wie im langjährigen Durchschnitt. In Wien ist die Lage besonders dramatisch. Droht ein Wohnungsmangel?
Die SPÖ spricht sich für ein stärkeres Eingreifen in den Wohnungsmarkt aus. Zu Beginn der Woche schlug Bundesparteichef Andreas Babler nicht nur eine Leerstandsabgabe vor, sondern belebte den Ruf nach der Mietpreisbremse wieder. Diese soll die Mieten nicht nur bis Ende 2025 einfrieren, sondern auch die heuer bereits erfolgten Erhöhungen zurücknehmen. Die Regierung aus ÖVP und Grüne hatte Anfang des Jahres über einen solchen Mietpreisdeckel verhandelt, konnte sich jedoch bis zuletzt nicht einigen, was das Vorhaben platzen ließ. Bisher werden bestimmte Wohnungen wie zum Beispiel jene in einem Altbau an die Inflation angepasst.
Rendite schwimmt davon
In der öffentlichen Debatte werden die Vermieter gern als große Gewinner dargestellt. Dabei haben Mieter in den vergangenen Jahren von der Mietindexierung profitiert, als die Inflation sehr niedrig war. Babler jedenfalls sieht den freien Markt gescheitert. Würde eine Deckelung der Indexierung die Probleme des Wohnungsmarktes lösen?
Genauer angesehen hat sich das der Thinktank Agenda Austria. Aus der vereinfachten Modellrechnung geht hervor, dass die Abschaffung der Mietindexierung starken Einfluss auf die Renditen der Investoren hätte. Würde man 400.000 Euro in den Bau einer Immobilie investieren, zum Beispiel über einen Immobilienfonds, so würden die Investoren erstmals nach rund 24 Jahren ein Plus aus dieser Investition sehen (siehe Grafik). Würde die Inflationsanpassung wegfallen, würden sich die Investition erst vier Jahre später lohnen. Agenda Austria nimmt die Prognosen der Nationalbank zur Hand, wonach sich die Inflation in ein paar Jahren bei zwei Prozent einpendeln soll.
Investoren springen ab
„Wer heute eine Wohnung baut, muss über lange Zeiträume solide kalkulieren können“, sagt der Agenda-Ökonom Jan Kluge zur „Presse“. In dem Rechenbeispiel sind Steuern, Reparaturkosten oder etwa der Umstand eines zwischenzeitlichen Leerstandes aufgrund eines Mieterwechsels sogar außen vor gelassen. Auch Fremdkapitalkosten wie Kreditzinsen könnten in der Realität noch obendrauf gerechnet werden. Damit verschiebt sich die Aussicht auf Renditen noch weiter in die Zukunft. Viele Investoren würden bei solchen Kalkulatio
nen abspringen und lieber woanders ihr Geld anlegen.
Das hat weitreichende Konsequenzen, sagt Kluge. Es gehe darum, stabile Investitionsbedingungen zu schaffen, damit die benötigten Wohnungen überhaupt zustande kommen. „Wir laufen in eine Situation, in der wir zu wenig Wohnraum haben.“Allein 2050 soll eine Viertelmillion mehr Menschen in Wien leben als heute. Einige Bauprojekte würden wohl abgesägt werden. Nur noch die lukrativsten könnten umgesetzt werden.
Gemeinnützige bauen wenig
Schon jetzt legen große Entwickler ihre Pläne auf Eis. Erschreckend sind hier Juli-Zahlen aus Deutschland. Laut dem Ifo-Institut fehlt es 40 Prozent der Unternehmen im Wohnungsbau an Aufträgen. Außerdem werden nach wie vor überdurchschnittlich viele Aufträge storniert. In den vergangenen zwei Monaten meldeten rund 19 Prozent der Betriebe abgesagte Projekte. Zusätzlich sorgen erhöhte Baukosten und eine stagnierende Immobilienpreisentwicklung für Zurückhaltung in der Branche. Manche Firmen meldeten schon Abschreibungen.
Auch die öffentliche Hand war hier lang de facto untätig. Seit 2015 hat die Gemeinde Wien gerade einmal 1000 Wohneinheiten produziert. Österreichweit stellten die gemeinnützigen Bauvereinigungen (GBV) im Jahr 2022 rund 16.700 Wohneinheiten fertig, etwa 80 Prozent davon mit Wohnbauförderung, der Rest freifinanziert. Ab 2024 erwarten die GBV einen massiven Einbruch. Außerdem muss auch viel Geld in Sanierungen fließen. Das Investitionsvolumen der Gemeinnützigen teilte sich 2022 mit 3,8 Mrd. auf den Neubau und 1,2 Mrd. auf Sanierungen auf. GBVVertreter fordern mehr Wohnbaufördermittel. Vor 25 Jahren wurden 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zur Förderung eingesetzt, heute sind es lediglich 0,8 Prozent.
Somit ist absehbar, dass es in wenigen Jahren an leistbaren Wohnungen fehlen wird. „Die Leidtragenden sind die Mieter am freien Markt“, sagt Kluge. Der Abstand zwischen den geschützten Mieten (Richtwert- und Kategoriemieten, Gemeindewohnungen etc.) und dem freien Markt würde noch weiter ansteigen. Diese könne sich dann nur eine bestimmte Klientel leisten.