Vom kurzen Hype um eine skandalumwitterte Tänzerin
Das Photoinstitut Bonartes widmet sich dem Schicksal von Anita Berber, die Wien in den Zwanzigerjahren mit „Tänzen des Lasters, des Grauens und der Ekstase“in Aufregung versetzte. Der Boulevard riss sich um sie, doch schon bald fiel sie in Ungnade.
Diese Frau wusste sich zu vermarkten: Im November 1922 versetzte ein Abend der Berliner Schauspielerin und Tänzerin Anita Berber im Wiener Konzerthaus das von der galoppierenden Inflation gebeutelte Publikum in Begeisterung. Während andere Theater leer blieben, weil sich viele die Karten nicht leisten konnten oder wollten, saßen die 2000 Kronen für die skandalumwitterten Vorstellungen von „Tänzen des Lasters, des Grauens und der Ekstase“locker. Wochenlang wurde diese Produktion täglich gezeigt, in der Berber und ihr Tanzpartner Sebastian Droste Tabuthemen wie Drogenmissbrauch, Suizid und homoerotische Fantasien auf die Bühne brachten. Das Theater mit 1800 Sitzplätzen war ausverkauft.
Dieser Medienrummel war neu
Das musste man gesehen haben, denn es war Gesprächsstoff in der Stadt und in den Feuilletons. Bald beflegelten sich die Kritiker, weil sie konträrer Meinung waren. „Diese Tänze haben einen Medienhype ausgelöst, wie er bis dahin nicht zu finden war“, sagt Magdalena Vuković, die ein Buch über Berbers verhängnisvollen Wien-Aufenthalt herausgebracht und eine Fotoausstellung dazu im Photoinstitut Bonartes kuratiert hat. Die Aufführungsserie war der Höhepunkt in Berbers Karriere. Sie inszenierte ihren Auftritt auf dem Wiener Parkett mit kleinen Skandalen und absichtlichem Aufsehen – und mit Fotos, die sie von der angesagten Wiener Fotografin Madame d’Ora anfertigen ließ. Diese setzte Berber und Droste in den dramatischen Rollen des Tanzabends in Szene.
In „Selbstmord“gab Droste einen „dem Puder und Parfüm zugetanen Mann“, der unter der Last der gesellschaftlichen Moralvorstellungen zusammenbricht. In „Morphium“setzte sich Berber auf der Bühne einen Schuss, über den noch heute gerätselt wird: War er echt? War er gespielt? Drogenabhängig war die damals 23-Jährige jedenfalls. In „Cocain“gab sie eine Prostituierte am Rande des Nervenzusammenbruchs. Für d’Ora posierten Berber und Droste im Studio. Sie fotografierte nicht während der Vorstellungen, sondern suchte effektvolle Posen. Es sind düstere und dramatische Bilder. Aber auch Inszenierungen der Berber in effektvollen Kleidern, die d’Ora an Modemagazine verkaufte. Berber war auch Mannequin und Stilikone.
Anfang 1923 veröffentlichten Berber und Droste ein Buch mit Gedichten, Texten, Zeichnungen und Fotografien zu ihren Choreografien. Drei Monate dauerte der Höhenflug, bis die beiden wegen eines kleinlichen Vorwurfs (sie konnten nicht alle Auftrittstermine einhalten) bei den Wienern in Ungnade fielen. Plötzlich wurde Berber als Nackttänzerin diskreditiert, obwohl es keinen Nachweis gibt, dass sie in Wien je nackt aufgetreten wäre. Immer trug sie auf der Bühne zumindest ein wenig Stoff oder Glitzer um die Lenden. Und selbst im Outfit eines Revuegirls war ihre Darstellung eine Form der Selbstermächtigung. „Sie gehörte sich selbst und verlieh sich selbst die Funktion der Herrscherin“, schrieb der tschechische Tanztheoretiker Joe Jenčík 1930.
Nacktfotos und Häme
Ihre Nacktfotos hatte die Künstlerin zeitlebens unter Verschluss gehalten. Doch 1928 wurden sie neben hämischen Nachrufen abgedruckt, die ihren frühen Tod (Berber starb mit 29 an Tuberkulose) als letzte Gelegenheit für eine reißerische Schlagzeile nutzten. Neben diesen Zeitungsartikeln und Fotoabzügen von d’Oras Werken findet man in der Ausstellung auch Auszüge aus den Gedichten von Berber und Droste, Aktfotografien, das Buch über die „Tänze des Lasters“sowie ein Fragment aus einem verschollenen Tanzfilm. Wissenswertes zu Berber und der Arbeit der Madame d’Ora wird in einem kleinen Faltblatt vermittelt.
Oder man befragt die Mitarbeiter von Bonartes, die ohnehin kommen, um aufzusperren: Ein Besuch ist nämlich nur nach Voranmeldung möglich (01/236 02 93-40 oder info@bonartes.org). Die Ausstellung läuft bis 17. November.