Bei der Residenzgalerie geht sicher noch mehr
Vor 100 Jahren wurde sie in Salzburg als Bildende-Kunst-Pendant zu den Festspielen gegründet. Zur Jubiläumsschau eines verborgenen Altmeister-Museums, das sichtliche Mühen mit neuen Medien hat.
Überfüllte Gassen, staubige Plätze, einen feudalen Innenhof und zwei Stockwerke Marmorstiegen hat man hinter sich gebracht. Bis man mitten in Salzburgs Zentrum dort angelangt ist, wo vor 100 Jahren das Bildende-Kunst-Pendant zu den Salzburger Festspielen gegründet wurde. Als solche war die Residenzgalerie vom Landtag angedacht. Verborgen im Scheinwerferlicht, das beschreibt ihre unaufdringlich-elegante Existenz, ein Geschoß über den ehemaligen Prunkräumen der Fürsterzbischöfe, wohl ganz gut. Immerhin ist ein prominentes Besucherzentrum im Hof für den ganzen Komplex des „Domquartiers“geplant.
2027 soll es fertig sein, gibt die neue Direktorin Andrea Stockhammer an. Seit 2022 ist die Wiener Kunsthistorikerin hier im Amt, nach Stationen in Deutschland wie der Leitung des Mainzer Landesmuseums. Gerade rechtzeitig kam sie, um noch in das Besucherzentrum eingebunden zu sein. Um 2024 zehn Jahre Domquartier vorzubereiten, dieser museale Rundgang um das Herzstück des Salzburger Welterbes, der Residenz, Dom und Benediktinerstift St. Peter verbindet. Ein touristisches Spektakel. Wie man es auch für Jugend und Salzburger attraktiver macht, Residenzgalerie inklusive, dazu wird sich Stockhammer einiges einfallen lassen müssen.
Ein peinlich karikaturhafter Graf
Die (nicht von ihr geplante) Ausstellung zum 100-Jahr-Jubiläum gibt über den Einsatz neuer Medien zu denken. Gleich zu Beginn kann man sich per Selfie-Station in ein Gratulationsbild einschreiben: Je mehr Besucher sich hier fotografieren lassen, desto vollständiger werden die Pixel an der Wand, die Gerrit van Honthorsts Gemälde „Junger Trinker“ergeben. Man sieht schon recht viel davon, wenn man gute Augen hat. Die Projektion an der Wand ist gar blass, ein „neuer Beamer“müsse dringend her, erklärt Stockhammer. Das Dilemma wird klar: Neue Medien brauchen die neuesten Medien, bei einer jungen Generation, die hier wohl eher das Bemühen merkt, als sich überwältigt zu fühlen.
Das trifft auch auf die Videos zu, die sich durch die Schau ziehen. In ihnen tritt in Manier von Mozart-Darstellern ein Schauspieler als Johann Rudolf Graf Czernin auf, der tatsächlich ähnlich ausgesehen haben dürfte, wie man von einem Porträt weiß. Über seine Kunstsammlung so outriert gesprochen haben wird er wohl nicht. Das Karikaturhafte mag liebevoll gemeint sein, grenzt aber ans Peinliche. Warum dieser Graf? 70 Werke seiner Anfang des 19. Jahrhunderts aufgebauten Sammlung bilden den Kernbestand der Galerie. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie nach und nach angekauft, darunter hochkarätige Niederländer: ein opulentes Austern-Stillleben von Cornelis de Heem, die außergewöhnliche Rembrandt-Charakterstudie einer betenden Alten auf mit Gold grundierter Kupferplatte oder ein „Viehaustrieb“ von Paulus Potter, bei dem Kühe besonders romantisch in den Morgen trotten. Schon Czernins 17-jähriger Sohn bemerkte süffisant, er goutierte den enormen Preis, den sein Vater dafür zahlte, nicht sonderlich.
Toiletten kamen erst mit den Nazis
Es ist ein seltsames Konstrukt, dieses Museum, das im Schatten vom Salzburg Museum gegenüber und vom Museum der Moderne am Mönchsberg liegt. Das deutet auch der Ausstellungstitel an: „Von 0 auf 100.“Eröffnet wurde 1923, ohne ein einziges Werk zu besitzen. Aber auch ohne Strom und Toiletten. Die bauten erst die Nazis hier ein, als der Gauleiter die Räume für sich beanspruchte. Nach dem Krieg wurde die Galerie wieder aufgesperrt. Sonderausstellungsräume fehlen bis heute. Man hängt also ständig um, zu netten, meist thematischen Schauen, vor allem aus eigenen Beständen oder mit Leihgaben befreundeter Adelssammlungen wie jener der Liechtensteins.
So auch zum Jubiläum, gespickt mit ein paar multimedialen Mitmachangeboten, die mehr Zauber nehmen als geben. Dafür wurde Makarts hypnotisches Porträt der ersten Gattin als falsch erklärt. Im Gegenzug kann das Waldmüller-Meisterwerk des Hauses, der sommerliche Fensterblick einer Kinderschar samt Mutter, frisch restauriert präsentiert werden (warum das zweite WaldmüllerKleinstformat kaum sichtbar hoch oben hängt, bleibt ein Rätsel). Trotz aller rosa Champagner-Bläschen, die grafisch über die Wände schwirren: „Von 0 auf 90“wäre der etwas bescheidenere, aber auch ambitioniertere Titel gewesen. Denn: Bei der Residenzgalerie geht (auch in Sachen Finanzierung) sicher noch mehr.
„Von 0 auf 100“: bis 13. Mai 2024, täglich außer Dienstag von 10 bis 17 Uhr, Juli und August bis 18 Uhr.