Virtuelle Faust-Stadt: Das fühlt sich notwendig falsch an
Salzburger Festspiele. Zu Max Reinhardts 150. Geburtstag inszeniert man eine geführte Zeitreise – bis zur Bühne der Felsenreitschule.
Vieles fühlt sich für uns verdächtig, ja falsch an bei diesem ungewöhnlichen Angebot der Salzburger Festspiele. Aber ist fast notwendig, berechtigt. Ein junger Schauspielschüler aus dem Mozarteum begrüßt einen im Faistauer-Foyer als Max Reinhardt – mit falschem Stück, falschem Text. Pardon, sagt er. Soll es doch um Faust gehen, die letzte Salzburger Inszenierung von Festspielmitbegründer Max Reinhardt, der vor 150 Jahren geboren wurde und vor 80 Jahren starb. In New York, wohin er sich 1937 vor den Nazis in Sicherheit brachte. Diesen runden Zahlen zu Ehren wird ihm heuer in Salzburg mit einer dreiteiligen Ausstellung von Archivmaterialien gedacht. Aber auch mit diesem seltsamen Erlebnis am Ende der Festspielzeit, für das man die in Theaterkreisen legendäre „FaustStadt“beschwört und erlebbar macht.
Reinhardt hat sie als eine Art DisneylandKulisse in die damals noch offene Felsenreitschule bauen lassen: mittelalterliche Häuser, eine Kirche, einen echten Garten. Sogar ein großer Ahorn wurde entwurzelt, um ihn hier als Faust-Linde auftreten zu lassen. Ja, alles falsch, irgendwie. Der Schauspieler führt die kleine Gruppe auf die Balustrade des Pausenfoyers. Mit dem Wiener Theatermuseum haben die Festspiele hier eine kleine Faust-Ausstellung eingerichtet. Ausgerechnet das deutscheste aller Stücke suchte Reinhardt aus, um es als Pendant zum „Jedermann“zu inszenieren: keine Stadt als Bühne wie am Domplatz, sondern eine Stadt auf der Bühne. Ausgerechnet die in der NS-Zeit beliebtesten Schauspielstars wählte er für die Hauptrollen: Paula Wessely als Gretchen, Ewald Balser als Faust. Zwischen 1933 bis 1937, zwischen Ständestaat und Nazi-Machtübernahme, brachten sie Leben in diese Kunststadt.
Sie halfen Reinhardt, den „Zauber der österreichischen Seele“zu beschwören, eine österreichische Identität durch eine alpine, bäuerliche, katholische Folklore, die sich in Kostümen und Tänzen spiegelte. Wir assoziieren damit NS-(Un-)Ästhetik, machen keinen Unterschied mehr. Fühlt sich falsch an.
Auch wenn man wenige Meter weiter, wenige Minuten später selbst auf dieser Bühne steht, die man gerade noch als Modell von Clemens Holzmeister in der Vitrine gesehen hat (Reinhardt hatte dafür vergeblich Oskar Strnad, jüdisch, präferiert). Gegenüber drei rekonstruierte Versatzstücke: den LindenAhorn mit Rundbank, eine Blumenwiese, Fausts Studierzimmer. Da ertönt Wesselys Stimme aus dem Lautsprecher: „Meine Ruh‘ ist hin, mein Herz ist schwer.“Du meine Güte, es kann einen schauern, auch vor der Betonung. Es wird noch irrealer, virtuell. Ein Gruß von Salzburg an Bayreuth? Dort hat man ja heuer auch erstmals VR-Brillen ausgeteilt.
Erträglicher Glühwürmchen-Kitsch
Auch in der Felsenreitschule warten jetzt die geheimnisvollen Apparaturen auf einen, die den Kopf so schwer machen und den Blick so weit. Auf einem Sessel sitzend (sonst droht Schwindel) kann man die Faust-Stadt in der Animation des Future Lab des Ars Electronica Centers erkunden. Das geht nicht ohne den dabei leider üblichen metaphysischen Glühwürmchen-Kitsch. Aber es ist erträglich.
Vor allem gegen Ende, wenn man sich (un)wirklich in der Kulisse umsehen kann. Wendet man den Kopf nach hinten, löst sie sich an den Rändern auf. Sie zerfällt in Ecken, spitze Formen, dahinter nichts. Brille ab. Noch ein kurzer Blick auf einen Ausschnitt eines Films zum „Egmont“, den die Nazis in der Faust-Stadt nach 1937 aufführen ließen. Mit Balser als Egmont. Die Ruh‘ ist tatsächlich hin. Raus in die ideologische Sicherheit des Toscaninihofs. Auch das tut manchmal Not.
Die Führungen finden am 31. August sowie dem 8., 9., 26. und 27. September statt. Sie müssen auf www.salzburgfestival.at gebucht werden.