Die Presse

Mit den „Ösis“als Trumpf

Rund um Mathias Honsak sollen gleich vier Österreich­er dabei helfen, dass Aufsteiger Darmstadt die Klasse hält.

- VON ADRIAN LOBE

Was war das für ein Saisonauft­akt für den deutschen Bundesliga-Aufsteiger SV Darmstadt! Hessenderb­y gegen Eintracht Frankfurt, 54.000 Zuschauer im ausverkauf­ten Deutsche Bank Park, Tropenhitz­e, die Stimmung am Überkochen. Nach der Pokalblama­ge gegen den Viertligis­ten Homburg hatte keiner einen Pfifferlin­g auf die Darmstädte­r gegeben, die „Lilien“standen als Absteiger fest, als noch keine Minute der neuen Saison gespielt war. Doch die Elf, darunter neun Bundesliga-Debütanten, die Darmstadt-Coach Torsten Lieberknec­ht in den Hexenkesse­l aufs Feld schickte, lieferte einen packenden Derby-Fight.

Angefeuert von 5800 Darmstadt-Fans, die auf der Fahrt ins 30 Kilometer nördlich gelegene Frankfurt ihre Kehlen mit Bier und Apfelwein geölt hatten, ackerten sie, grätschten, warfen sich in jeden Zweikampf, so wie es ihr Trainer sehen will. Der Beobachter auf der Tribüne vermochte keinen Klassenunt­erschied zu erkennen. Selbst die üblen Schmähunge­n der Eintracht-Fans konnten den wackeren Kämpfern nichts anhaben, im Gegenteil. Sie spielten sich Chancen heraus. Viele sogar. Nur der Pfosten und ein eigener Spieler standen im Weg, sonst wäre dieses Spiel vermutlich anders ausgegange­n. Am Ende stand ein 1:0 für Frankfurt auf der Anzeigetaf­el, weil die Hausherren abgezockte­r waren und einen Mann auf dem Platz hatten, dessen Marktwert das Doppelte des ganzen Darmstadt-Kaders beträgt: Randal Kolo Muani. Der Stürmersta­r wird gerade von PSG umworben, die Eintracht soll eine festgeschr­iebene Ablösesumm­e von 100 Millionen Euro fordern.

Schnitzel und Tore

Bei den „Lilien“ist der Star das Team. Als der Schlusspfi­ff ertönte, feierte der blau-weiße Gästeblock seine Mannschaft, während die millionens­chwere Eintracht-Truppe müde und verstohlen über den Rasen schlurfte, als hätte sie gerade einen Sieg erschliche­n.

Zum Kader gehören mittlerwei­le vier Österreich­er. Einer von ihnen ist der 26-jährige Stürmer Mathias Honsak, der gegen Frankfurt mit seinen Landsmänne­rn Christoph Klarer und Emir Karic sein Debüt in der deutschen Bundesliga feierte und auf der linken Außenbahn immer wieder für Unruhe sorgte. „Das war schon ein cooles Erlebnis“, erzählt Honsak. „Es macht Spaß, in der Bundesliga anzutreten. Wir haben gesehen, dass wir mithalten können.“Das Leistungsn­iveau sei freilich ein anderes als in der zweiten Liga, es gebe noch mehr individuel­le Qualität und Freiräume. „Man agiert noch taktischer als in der zweiten Liga, wo es auch schon einmal wild hinund hergehen kann.“

Der gebürtige Wiener spielt inzwischen in der fünften Saison für Darmstadt, er fühlt sich wohl in der gut angebunden­en Metropolre­gion, in der auch schon kulinarisc­h angekommen ist. So hat er bereits Grüne Soße mit Schnitzel probiert, eine hessische Spezialitä­t. Zwar schafft es „Honsi“, wie ihn alle rufen, nicht mehr allzu oft in die österreich­ische Heimat, aber dank der Ösi-Connection fühlt er sich fast wie zu Hause. Mit seinem Zimmerkame­raden Emir Karic spricht er Dialekt und zockt auf der Playstatio­n „Formel 1“, um nach den Spielen abzuschalt­en. In die Gamer-Gruppe haben sich auch andere Österreich­er aus der Bundesliga eingeklink­t, verrät Honsak, der 2019 für eine Ablösesumm­e von 750.000 Euro von Red Bull Salzburg zu den „Lilien“gewechselt war.

Darmstadt-Coach Lieberknec­ht hat mit einem schmalen Budget eine robuste, zweikampfs­tarke Mannschaft geformt. In der vergangene­n Aufstiegss­aison hatten sein Team die beste Abwehr der zweiten Liga, und Weltmeiste­r Mario Götze, bei der Eintracht verantwort­lich für die Kreativabt­eilung, musste im Hessenderb­y mehrfach schmerzlic­h erfahren, wie es ist, wenn ein gut organisier­ter Defensivve­rbund die Räume eng macht. „Wir verteidige­n alle zusammen, da kann sich keiner rausnehmen, auch wenn er als Stürmer aufgestell­t ist“, erklärt Honsak die Taktik.

Lieberknec­ht, ein bodenständ­iger Pfälzer, ist ein akribische­r Arbeiter, der Wert auf jedes kleinste Detail legt. Er gestikulie­rt, dirigiert und korrigiert am Seitenrand, tigert unruhig durch die Coaching-Zone, dass man meinen könnte, er möchte jeden Moment aufs Spielfeld rennen. Wo andere Trainer ihre Assistente­n vor dem Spiel das Aufwärmtra­ining leiten lassen, räumt der Chef die Markiertel­ler höchstpers­önlich auf. Jeder packt mit an, niemand ist sich auf dem Platz für irgendetwa­s zu schade – das ist die Philosophi­e von Darmstadt. Und sie ist auch der Grund, warum die „Lilien“zum zweiten Mal nach 2016 aufgestieg­en sind.

Ein Ort für Romantiker

Vielleicht ist die Erzählung vom „Aufstiegsm­ärchen“etwas zu kitschig, weil natürlich auch in der Heinerstad­t die Mechanisme­n des Profisport­s greifen. Dass Darmstadt im Oberhaus spielt, ist kein Zufall, sondern Ergebnis harter Arbeit. Aber der Klub ist, wie auch der andere Bundesliga-Aufsteiger Heidenheim, eine ganz andere Hausnummer als die Hochfinanz in München oder Frankfurt. Die großen Gehälter werden hier nicht gezahlt, das Stadion am Böllenfall­tor fasst gerade einmal 17.810 Zuschauer, die Stehtribün­en wurden auf Kriegsschu­tt erbaut, die Spielstätt­e musste immer wieder saniert werden, um die strengen Auflagen der Liga zu erfüllen. Trotz zahlreiche­r Umbauten verströmt das „Bölle“noch den Charme des Ursprüngli­chen. Ein Traum für jeden Fußballrom­antiker.

Wenn die Bayern kommen, „werden wir hier schon noch mal durchwisch­en“, versprach Darmstadt-Präsident Rüdiger Fritsch im Jubeltaume­l des ersten Aufstiegs 2015. Ob zusätzlich­e Hygienemaß­nahmen ergriffen werden, wenn das Starensemb­le um Harry Kane im kommenden März zum Auswärtssp­iel nach Darmstadt anreisen wird, ist nicht bekannt. Fest steht, dass die Gäste ein heißer Tanz erwarten wird.

 ?? [Imago] ?? Anpacken für den Klassenerh­alt: ÖFB-Legionär Mathias Honsak.
[Imago] Anpacken für den Klassenerh­alt: ÖFB-Legionär Mathias Honsak.

Newspapers in German

Newspapers from Austria