Mit den „Ösis“als Trumpf
Rund um Mathias Honsak sollen gleich vier Österreicher dabei helfen, dass Aufsteiger Darmstadt die Klasse hält.
Was war das für ein Saisonauftakt für den deutschen Bundesliga-Aufsteiger SV Darmstadt! Hessenderby gegen Eintracht Frankfurt, 54.000 Zuschauer im ausverkauften Deutsche Bank Park, Tropenhitze, die Stimmung am Überkochen. Nach der Pokalblamage gegen den Viertligisten Homburg hatte keiner einen Pfifferling auf die Darmstädter gegeben, die „Lilien“standen als Absteiger fest, als noch keine Minute der neuen Saison gespielt war. Doch die Elf, darunter neun Bundesliga-Debütanten, die Darmstadt-Coach Torsten Lieberknecht in den Hexenkessel aufs Feld schickte, lieferte einen packenden Derby-Fight.
Angefeuert von 5800 Darmstadt-Fans, die auf der Fahrt ins 30 Kilometer nördlich gelegene Frankfurt ihre Kehlen mit Bier und Apfelwein geölt hatten, ackerten sie, grätschten, warfen sich in jeden Zweikampf, so wie es ihr Trainer sehen will. Der Beobachter auf der Tribüne vermochte keinen Klassenunterschied zu erkennen. Selbst die üblen Schmähungen der Eintracht-Fans konnten den wackeren Kämpfern nichts anhaben, im Gegenteil. Sie spielten sich Chancen heraus. Viele sogar. Nur der Pfosten und ein eigener Spieler standen im Weg, sonst wäre dieses Spiel vermutlich anders ausgegangen. Am Ende stand ein 1:0 für Frankfurt auf der Anzeigetafel, weil die Hausherren abgezockter waren und einen Mann auf dem Platz hatten, dessen Marktwert das Doppelte des ganzen Darmstadt-Kaders beträgt: Randal Kolo Muani. Der Stürmerstar wird gerade von PSG umworben, die Eintracht soll eine festgeschriebene Ablösesumme von 100 Millionen Euro fordern.
Schnitzel und Tore
Bei den „Lilien“ist der Star das Team. Als der Schlusspfiff ertönte, feierte der blau-weiße Gästeblock seine Mannschaft, während die millionenschwere Eintracht-Truppe müde und verstohlen über den Rasen schlurfte, als hätte sie gerade einen Sieg erschlichen.
Zum Kader gehören mittlerweile vier Österreicher. Einer von ihnen ist der 26-jährige Stürmer Mathias Honsak, der gegen Frankfurt mit seinen Landsmännern Christoph Klarer und Emir Karic sein Debüt in der deutschen Bundesliga feierte und auf der linken Außenbahn immer wieder für Unruhe sorgte. „Das war schon ein cooles Erlebnis“, erzählt Honsak. „Es macht Spaß, in der Bundesliga anzutreten. Wir haben gesehen, dass wir mithalten können.“Das Leistungsniveau sei freilich ein anderes als in der zweiten Liga, es gebe noch mehr individuelle Qualität und Freiräume. „Man agiert noch taktischer als in der zweiten Liga, wo es auch schon einmal wild hinund hergehen kann.“
Der gebürtige Wiener spielt inzwischen in der fünften Saison für Darmstadt, er fühlt sich wohl in der gut angebundenen Metropolregion, in der auch schon kulinarisch angekommen ist. So hat er bereits Grüne Soße mit Schnitzel probiert, eine hessische Spezialität. Zwar schafft es „Honsi“, wie ihn alle rufen, nicht mehr allzu oft in die österreichische Heimat, aber dank der Ösi-Connection fühlt er sich fast wie zu Hause. Mit seinem Zimmerkameraden Emir Karic spricht er Dialekt und zockt auf der Playstation „Formel 1“, um nach den Spielen abzuschalten. In die Gamer-Gruppe haben sich auch andere Österreicher aus der Bundesliga eingeklinkt, verrät Honsak, der 2019 für eine Ablösesumme von 750.000 Euro von Red Bull Salzburg zu den „Lilien“gewechselt war.
Darmstadt-Coach Lieberknecht hat mit einem schmalen Budget eine robuste, zweikampfstarke Mannschaft geformt. In der vergangenen Aufstiegssaison hatten sein Team die beste Abwehr der zweiten Liga, und Weltmeister Mario Götze, bei der Eintracht verantwortlich für die Kreativabteilung, musste im Hessenderby mehrfach schmerzlich erfahren, wie es ist, wenn ein gut organisierter Defensivverbund die Räume eng macht. „Wir verteidigen alle zusammen, da kann sich keiner rausnehmen, auch wenn er als Stürmer aufgestellt ist“, erklärt Honsak die Taktik.
Lieberknecht, ein bodenständiger Pfälzer, ist ein akribischer Arbeiter, der Wert auf jedes kleinste Detail legt. Er gestikuliert, dirigiert und korrigiert am Seitenrand, tigert unruhig durch die Coaching-Zone, dass man meinen könnte, er möchte jeden Moment aufs Spielfeld rennen. Wo andere Trainer ihre Assistenten vor dem Spiel das Aufwärmtraining leiten lassen, räumt der Chef die Markierteller höchstpersönlich auf. Jeder packt mit an, niemand ist sich auf dem Platz für irgendetwas zu schade – das ist die Philosophie von Darmstadt. Und sie ist auch der Grund, warum die „Lilien“zum zweiten Mal nach 2016 aufgestiegen sind.
Ein Ort für Romantiker
Vielleicht ist die Erzählung vom „Aufstiegsmärchen“etwas zu kitschig, weil natürlich auch in der Heinerstadt die Mechanismen des Profisports greifen. Dass Darmstadt im Oberhaus spielt, ist kein Zufall, sondern Ergebnis harter Arbeit. Aber der Klub ist, wie auch der andere Bundesliga-Aufsteiger Heidenheim, eine ganz andere Hausnummer als die Hochfinanz in München oder Frankfurt. Die großen Gehälter werden hier nicht gezahlt, das Stadion am Böllenfalltor fasst gerade einmal 17.810 Zuschauer, die Stehtribünen wurden auf Kriegsschutt erbaut, die Spielstätte musste immer wieder saniert werden, um die strengen Auflagen der Liga zu erfüllen. Trotz zahlreicher Umbauten verströmt das „Bölle“noch den Charme des Ursprünglichen. Ein Traum für jeden Fußballromantiker.
Wenn die Bayern kommen, „werden wir hier schon noch mal durchwischen“, versprach Darmstadt-Präsident Rüdiger Fritsch im Jubeltaumel des ersten Aufstiegs 2015. Ob zusätzliche Hygienemaßnahmen ergriffen werden, wenn das Starensemble um Harry Kane im kommenden März zum Auswärtsspiel nach Darmstadt anreisen wird, ist nicht bekannt. Fest steht, dass die Gäste ein heißer Tanz erwarten wird.