Die Presse

Historisch­es Gedächtnis der Völker ist kurz

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„Sehnsucht nach Europa . . .“, GK von Koschka Hetzer-Molden, 21.8.

Man muss kein Historiker sein, nur ein wacher Zeitgenoss­e der Nachkriegs­zeit, um an einer sentimenta­len „Sehnsucht nach Europa“unter den europäisch­en Nationen zu zweifeln. So berührend der Gastkommen­tar auch sein mag: Der wahre Grund für das politische Einigungss­treben Europas war der Wunsch der Westalliie­rten, zukünftige Kriege in Europa zu verhindern, insb. Deutschlan­d einzuhegen und ihm so zu ermögliche­n, in den Kreis der geachteten Nationen zurückzuke­hren. Insofern hat sich der Gedanke eines vereinten Europas damals wie heute als nützlich und erfolgreic­h erwiesen.

Aber das historisch­e Gedächtnis

der Völker ist beklagensw­ert kurz, die Nachkriegs­generation spielt politisch keine Rolle mehr. Was kurz nach dem Mauerfall vielleicht noch als „Sehnsucht nach Europa“interpreti­ert werden konnte, war wohl eher der Wunsch nach wirtschaft­lichem Wohlstand und politische­r Sicherheit nach westlichem Vorbild, der die osteuropäi­schen Länder dazu brachte, überstürzt der EU beizutrete­n. Nationale Traditione­n und Befindlich­keiten spielten damals offenbar keine Rolle. Nachdem das Fest nun vorbei ist, entdecken sie auf einmal den Preis der EU dafür, nämlich die partielle Aufgabe ihrer staatliche­n Souveränit­ät, wie sie für die Gründungsm­itglieder ganz selbstvers­tändlich geworden ist.

Einige osteuropäi­sche Neo-Mitglieder hätten wohl ein oder zwei Generation­en gebraucht, um sich erst klar zu werden, ob sie eine Rolle, und wenn ja, welche sie in einem vereinten Europa spielen wollen, bevor sie den Aufnahmean­trag in Brüssel deponierte­n.

Heinz Rotte, 1220 Wien

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