Kurz freut sich auf Prozess. Er hat allen Grund dazu
Kostenlose mediale Präsenz, ständiges Rätselraten um Comeback trotz Dementis: Was kann dem ehemaligen Bundeskanzler noch Besseres passieren?
Selten hat sich ein österreichischer Politiker oder Ex- so sehr auf seinen Auftritt im Gerichtssaal gefreut wie Sebastian Kurz auf den Prozess am 18. Oktober wegen falscher Zeugenaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Seit seinem Rücktritt als Bundeskanzler im Dezember 2021 freut er sich darauf, wie er bei jeder (un-)passenden Gelegenheit bisher erklärte. Nun da der Termin feststeht muss seine Freude grenzenlos sein.
Das kann man aus zwei Gründen gut verstehen. Zum einen kann Kurz den Trump machen. Anklage und Prozess sichern ihm – heruntergestuft auf Österreichs Zwergenverhältnisse – die gleiche Medienpräsenz zu wie Donald Trump in den USA. Dieser setzte sogar sein Fahndungsfoto auf X (vormals Twitter) dafür ein – im vollen Bewusstsein, jede der vier bisherigen Anklagen und jeder Auftritt in einem Gefängnis werde seine Popularität steigern.
Wer jetzt einwendet, dass Kurz kaum damit rechnen könne, habe er doch eine Rückkehr in die Politik im Gegensatz zu Trump ausdrücklich ausgeschlossen, der hat offenbar seinen Drang an die Öffentlichkeit im letzten Jahr verschlafen. Oder er hat bereits vergessen, was im ÖVP-Universum von solchen Festlegungen nach den Landtagswahlen in Niederösterreich und Salzburg zu halten war. Oder er hat einen Ausspruch der früheren steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic im Bezug auf eine Aussage von Wolfgang Schüssel nicht mehr in Erinnerung. Sinngemäß ging sie so: Hat er halt gelogen. Dann geht er beichten und alles ist in Ordnung.
Daran musste man denken als der Anwalt der ÖVP, Werner Suppan, soweit erinnerlich davon sprach, Kurz habe sicher nicht absichtlich falsch ausgesagt. Wie geht das unabsichtlich? Es muss Kurz eine bewusste falsche Aussage nachgewiesen werden. Dem hat Suppan offenbar schon vorgebeugt. Außerdem könnte Kurz den sogenannten Aussagenotstand geltend machen, wie die ehemalige Richterin und Neos-Abgeordnete Irmgard Griss im TV erklärte: „Wenn er in einer Situation war“, in der ihm nichts anderes übrig geblieben ist, als so auszusagen, wie er es getan hat, „um sich nicht selbst zu belasten“. Das wäre dann allerdings bemerkenswert. Ein Bundeskanzler, für den ein parlamentarischer U-Ausschuss eine derartige Stresssituation darstellt, wirft wichtigere Fragen auf.
Wie auch immer, Kurz kann damit rechnen, vor dem Drei-Tage-Prozess, während und danach politisches Hauptthema zu sein.
Da kann schon Freude aufkommen, zumal er sich für die entsprechende Medienpräsenz nicht einmal vor eine österreichische Fahne neben Ungarns illiberalen Ministerpräsidenten Viktor Orbán stellen muss. Kurz hat offenbar an Orbáns Politik der offenen (Gefängnis-)Tür für 1500 Schlepper nichts auszusetzen, obwohl er doch stets den Schleppern das Handwerk legen wollte. Die Gesellschaft radikaler Rechter scheint der höhere Wert zu sein.
Das sollte auch nicht verwundern, hat Kurz doch nach seinem Ausstieg aus der Politik bei Peter Thiel angeheuert, jenem Milliardär, der als Unterstützer ultrarechter Organisationen auftritt und jüngst über den aufsteigenden Stern am rechten rassistischen Spektrum in den USA, Richard Hanania, Folgendes schrieb: „Hanania zeigt, dass wir die Stöcke und Steine der Regierungsgewalt benötigen, um die Dämonen der Diversität zu vertreiben.“
Der zweite Grund für Kurz’ Freude: Ihm bleibt die Rechenschaft der Politik der letzten zwölf Jahre erspart, wie bei einem Auftritt von Integrationsministerin Susanne Raab diese Woche klar wurde: „Wir haben die falsche Zuwanderung“, proklamierte sie.
Kurz kann sich also auch darüber freuen, dass Raab nicht einmal rot wurde, als sie trotz ÖVP-Zuständigkeit seit 2011 das totale Versagen der Integrationspolitik konstatierte. Aber der politische Scherbenhaufen wird am 18. Oktober nicht zur Sprache kommen. Wahrlich Grund zum Amüsement.
‘‘ Kurz hat an Orbáns Politik der offenen (Gefängnis-)Tür für 1500 Schlepper offenbar nichts auszusetzen.